Heute gibt es an dieser Stelle Kaffee. Es heißt, wach und aufmerksam zu bleiben. Schließlich sollen sich auf diesem TikTok diese ganzen Fake News versammeln. Denen wollen wir nicht auf den Leim gehen, wenn sich der Medien-Tresen in neue Gefilde begibt. Auf in die neuen Welten des digitalen Raumes, hallo TikTok. Wobei: So ganz neu ist das auch wieder nicht. Kollege Aron Morhoff war vor einigen Wochen dort unterwegs und hat sich mit dem Netzwerk aus China und dem Ruhm der 15 Sekunden im Hochkantformat beschäftigt. Die Einführung in das Netzwerk gibt es dort, die können wir uns sparen. Wir machen uns auf die Suche nach Inhalten. Damit können wir natürlich nur Teile erkennen, denn die Algorithmen, mit denen den meist jugendlichen Nutzern Videos vorgeschlagen werden, machen den eigentlichen TikTok-Zauber aus.
Wir aber nutzen die Suche: CDU, AfD, SPD, Grüne, Linke, BSW und FDP, zuweilen die Spitzenkandidaten. Streng nach aktuellen Umfragewerten, auch wenn die oft genug selbst Teil des Wahlkampfes und der Manipulation sind, aber das nur nebenbei. Der Kanzler in spe, Mr. BlackRock Merz, verströmt wenig „Kanzleraura“, während er seine Krawatte löst – ach wie jugendlich – und an anderer Stelle verspricht: „Wir werden diesen Zustand beenden.“ Sie wissen schon, was er meint. Die Kommentatoren meinen: Wird er nicht. Noch ein Wortwitz gefällig? „Immer nah am Burger“: Merz bei McDonald‘s beim Essen. Professionell gemacht, immerhin. Man muss halt auf TikTok sein. Wo dann auch Videos wie das des eingegipsten Philipp Amthor ertragen werden müssen.
Die AfD hingegen soll auf TikTok beim Wahlkampf führen (vor der Linken, da kommen wir noch dazu). 123 Millionen Aufrufe fallen auf die vermeintliche Alternative, die Linken verzeichnen 108 Millionen – nur damit Sie einen Eindruck davon bekommen, welche Dimension das Ganze mittlerweile hat. Wir nippen am Kaffee und gehen rein ins blaue Getümmel. Da geht es wie erwartet zur Sache, egal ob gegen die Grünen gestichelt oder die Freude über den Abstimmungserfolg an der Seite der CDU zelebriert wird. Polarisierende Inhalte sind gut für soziale Netzwerke, wo es nur ein Entweder-oder gibt. Davon hat die AfD wahrlich genug. Kein Wunder also, dass die Partei auf Social Media funktioniert – positiv und negativ, versteht sich.
Bei der SPD sollte das ein wenig anders aussehen. Sie hat den geborenen Langweiler als Aushängeschild, der sich beim näheren Hinsehen ins Nichts auflöst, wie Roberto De Lapuente diese Woche schrieb. Scholz macht auf lustig, wenn er Bus fährt und sich daran versucht, über „bekloppte Ansichten“ im Netz und früher an den Stammtischen zu philosophieren („Tünnkram“, wie der Hamburger sagt). Ein wenig Fake News gibt es auch, wenn auf Scholz‘ eigenem Account mit ein wenig Musik unterlegt behauptet wird, er sei auf dem Weg, die Mehrwertsteuer zu senken. Unter welchem Kanzler nochmal sind die Preise gestiegen? Sagen Sie jetzt nicht wieder Putin, Herr Scholz. Anders als Merz hat Scholz sich auch dem TikTok-Influencer Niko Kappe gestellt. Gut, wenn man über andere reden kann. Der Scholzomat steht steif in der Gegend herum, lächelt. Immerhin. Die Kanzlerschaft rettet das nicht.
Nach einem weiteren Schluck Kaffee – leider kalt geworden, auf TikTok kann man sich festsehen, selbst bei der SPD – weiter zu den Grünen. Die haben diese Woche Probleme mit Doktorarbeiten. Dabei macht der Promovend doch so sehr auf seriös, anständig und respektvoll, wie in dem Video, das die Grünen von ProSieben übernommen haben. Habeck redet und redet. Zu viele Worte, zu viel Pathos, zu wenig Inhalt. Wichtig ist natürlich die Abgrenzung von Union und AfD nach dem „Wortbruch“ von Merz. Zwei unterschiedliche Aussagen von Merz, aber kein einziges Wort der Grünen: Sowas schauen die Leute offenbar. Ansonsten fragt man sich im Team Habeck, warum manche Posts (in diesem Fall auf Facebook) nicht funktionieren. Also will er bei der Bundesnetzagentur anrufen. Das erfahren wir einem WDR-Beitrag zum Wahlkampf. Gut, wenn man die richtigen Nummern hat.
Und die kleinen Parteien? Die Linke ist wie bereits erwähnt auf TikTok besonders groß. Sie hat einen neuen Star in ihren Reihen: Heidi Reichinnek. Die Vorsitzende der Bundestagsgruppe wähnt sich im antifaschistischen Abwehrkampf gegen die Opposition im Land und geht quasi mit der Regierung auf die Barrikaden – Nazi-Vergleiche inklusive. Sowas zieht bei der Klientel der Linken und darüber hinaus: Mehr als sechs Millionen Aufrufe hat die spontane Rede nach der gemeinsamen Abstimmung von CDU und AfD im Bundestag mittlerweile. Und so kann sich die Partei über ihre Likes freuen – sie hat offenbar sogar mehr als die AfD. Die Brandmauer steht, wenn auch nicht überall. Im Kreistag Weimarer Land stimmte die Linke beispielsweise zuletzt mit der AfD.
Beim BSW gibt es ganz viel Sahra. Lange Statements, viele Reden und Ausschnitte aus Interviews. Wenn es um Migration geht, schauen das viele, wie beispielsweise die Aufklärung über gestiegene Kriminalität, die der ehemalige Parteifreund Jan van Aken in der Diskussion mit Wagenknecht geleugnet hat. Deutlich wird: TikTok ist nicht das Medium des BSW, Sahra gibt es nicht in 15 Sekunden. Und die kleinen Comic-Filmchen zu Corona und zum Frieden hat kaum jemand geschaut. Liegt sicher auch an den Themen, die aus dem Wahlkampf herausgehalten werden. Schließlich noch zur FDP. Der Spitzenkandidat schafft es nicht einmal, bei „Yes or No“ sympathisch zu wirken. Immerhin sind die Kommentare lustig. Aber die Statistik sagt: Die Partei ist auf Platz drei der Aufrufe auf TikTok. Was schon deshalb überrascht, weil die Beiträge nicht nach TikTok ausschauen. Lindner im Auto, Kubicki im Interview. Hat man alles schon gesehen und gehört.
Und jetzt? Trinken wir noch einen Kaffee und schauen bei den TikTok-Wahlinfos vorbei. Auf die wird immer verlinkt, wenn man sich ein Wahlkampf-Video anschaut. Der Link führt auf eine Seite mit offiziellen Informationen der Bundeswahlleiterin und offiziösen der „Faktenchecker“ – die übrigens noch weit weniger Aufrufe haben als einige der Parteien. Nach gut zwei Stunden auf TikTok sind wir nicht schlauer. Gut, das war auch nicht zu erwarten. Dass die Parteien mittlerweile alle auf TikTok setzen, liege auch am Schock nach der Europawahl, heißt es beim BR, der sich auf eine Studie der Münchener Bundeswehr-Uni beruft. Die AfD sei unter anderem so viel von den jungen Menschen gewählt worden, weil sie im Netzwerk stark war. Ob das auf die Bundestagswahl übertragbar ist? Abwarten und Kaffee trinken.
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
Berichte, Interviews, Analysen
Freie Akademie für Medien & Journalismus