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Oben & Unten | 29.10.2025
Von toten Pferden
Ein versöhnlich klingender Artikel zur Gendersprache offenbart, dass eigentlich alles egal ist, solange nur die Deutungsherrschaft gewahrt bleibt.
Text: Axel Klopprogge
 
 

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich nicht mehr mit dem Thema Gendersprache aufzuhalten und schon gar nichts mehr darüber zu schreiben. Es wurde alles dazu gesagt, es hat sich de facto ausgegendert und vor allem ist Argumentation nutzlos, wenn es kein Gegenüber gibt, das überhaupt zu einer Diskussion bereit und fähig ist. Als ich in der FAZ vom 26. August 2025 einen langen Beitrag von Saba-Nur Cheema und Meron Mendel mit dem Titel „Das Kreuz mit den Sternchen“ entdeckte, war ich erstaunt, dass diesem aus der Zeit gefallenen Thema immer noch so viel Aufmerksamkeit gewidmet wird.

Saba-Nur Cheema und Meron Mendel sind keine Befürworter der Gendersprache. Sie kritisieren sogar den missionarischen Eifer der Wokies von Gendersternchen bis Ledersandalen, auf den sie offenbar auch in ihrem Bekanntenkreis und auf Kindergeburtstagen treffen. Aber sie pflegen und empfehlen einen entspannten Umgang. Wenn ein Verlag es haben will, dann machen sie es. Im Artikel traf ich also in keiner Weise auf Gendersprachen-Fanatismus, ja, eigentlich geht es im Artikel gar nicht um Gendersprache in inhaltlichem oder fachlichem Sinne. Aber gerade deshalb ärgerte mich der Text, je länger ich ihn las.

Für Cheema und Mendel sind die Hauptrollen an „Progressive“ und „Konservative“ vergeben. Die Progressiven sind für Gendersprache, die Konservativen dagegen. Offenbar sind das in ihrem Weltbild oder in ihrer Soziologie feste und eindeutig zuzuordnende Etiketten. Die Progressiven wollen offenbar voranschreiten, egal wohin. Die Konservativen wollen bewahren, egal was. Oder gibt es einen vorbestimmten Pfad der Heilsgeschichte, auf dem die einen planmäßig vorankommen, während die anderen wie quengelnde Kinder zurückbleiben? Und gibt es Bahnwärter, die das Einhalten des Fahrplans überwachen? Alle diese Etiketten setzen das voraus, was es eigentlich erst zu diskutieren gilt. Gerade der versöhnliche Tonfall der Verfasser erweckt den Eindruck, Progressive und Konservative bräuchten sich nur zu einigen und dann müssten wir alle diesen sprachlichen Kompromiss exekutieren. Müssen wir aber nicht, denn für das, was korrekte deutsche Sprache ist, sind solche Schreibstubenkonstrukte irrelevant.

Der Begriff „deutsch“ bezeichnete keinen Volksstamm, sondern er bezog sich auf die Sprache: Er bedeutete „wie das Volk spricht“ im Unterschied zum Latein der klerikalen Führungsschichten. Seitdem folgt die Entwicklung unserer Sprache einer schönen basisdemokratischen Tradition. Deutsch ist das, was die Deutschen sprechen. Wie man sich jederzeit durch einen Gang an die frische Luft überzeugen kann, ist der Befund eindeutig: Jenseits winziger weltabgewandter Zirkel gendert niemand. In über vierzig Jahren ist es den Befürwortern der Gendersprache nicht gelungen, die Menschen zu gewinnen, denen die Sprache gehört. Dann werden die Argumente wohl nicht überzeugend gewesen sein. Cheebas und Mendels Vorwurf des Missionarischen ist unzutreffend. Es ist schlimmer: Die Befürworter machen sich nicht einmal die Mühe des Missionierens. Es ist lange her, dass ich zum letzten Mal ein inhaltliches Argument zugunsten der Gendersprache gehört habe – stattdessen umso mehr inhaltsfreie Selbstbeweihräucherungen wie „fortschrittlich“, „gerecht“, „inklusiv“.

Nach über vierzig Jahren gibt es immer noch unzählige sich widersprechende Begründungen und Anwendungsregeln der Gendersprache. Obendrein kann ich mich an keinen gendernden Text erinnern, der sich konsequent an seine eigenen Regeln gehalten hätte. Während Cheema und Mendel generell zu Gelassenheit mahnen, werden sie plötzlich sensibel, wenn es um muslimische oder jüdische Begrifflichkeiten geht. Ihren Beispielen kann ich zustimmen. Allerdings zeigt sich die Verkorkstheit der Gendersprache nicht nur in diesem, sondern auch in jedem beliebigen anderen Feld.

Bildbeschreibung Korrektorvorschlag durch die Textverarbeitung. Kein Fake.

Gendersprache ist eben kein zukunftsweisendes und intellektuell überlegenes Konzept, das die geistigen Fähigkeiten von „Kassiererinnen, Straßenbahnfahrern und Schreinerinnen“ überforderte. Es ist genau umgekehrt: Die Unkenntnis der einfachsten grammatischen Regeln wie der Unterschied zwischen Genus und Sexus, der falsche Gebrauch des Partizip Präsens, Formulierungen wie „Ein:e Rechtsanwalt aus der Branche xy hat Ihr Profil angesehen“ oder „Wir suchen noch PädagogenInnen“, Begriffe wie „Steuerinnenzahler“ oder „Mitgliederinnen“ machen Gendersprache immer mehr zum Kennzeichen bildungsferner Schichten. Jedenfalls wirkt das alles ziemlich abgehängt und zunehmend nur noch schrullig.

Der Vorwurf von Cheema und Mendel an Kulturstaatsminister Wolfram Weimer, durch das Verbot der Gendersprache in seinem Ressort einseitig in den Kulturkampf einzugreifen, stellt die Dinge auf den Kopf. Es gibt keinen Kulturkampf, sondern nur eine winzige Minderheit, die eine verstaubte und längst gescheiterte Schreibstubengeburt immer noch über Mikrofone und Studienordnungen der Mehrheit aufzwingen will. Jeder kann privat so reden, wie er will. Aber der Staat sollte einfach korrektes Deutsch sprechen. Der Skandal besteht darin, dass diese Selbstverständlichkeit erst durch einen Ministererlass durchgesetzt werden muss.

Und was um Himmels willen soll an der Gendersprache progressiv sein? Wollen wir wirklich zurück zu einem Priesterlatein 2.0, einschließlich neuer Versionen der Verballhornung von „Hoc est corpus meum“ zu „Hokuspokus“? Ich persönlich verstehe unter links, fortschrittlich und inklusiv, dass staatliche Einrichtungen, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und Hochschulen so reden, wie die Menschen, die den Staat, die Universitäten und Medien mit ihren Steuern und Gebühren finanzieren.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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Bildquellen: Coyote III, CC BY-SA 4.0