Bald können sich die Belgrader mit den Budapestern kurzfristig im „New York Café“ verabreden. Ungarns Strategie der Konnektivität scheint sich auszuzahlen – dank der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zwischen den beiden Hauptstädten. Nach 380 Kilometern in 2 Stunden und 40 Minuten folgt das hoffnungsfrohe Warten auf einen Tisch im prunkvollen Kaffeehaus der Gründerzeit. Das „New York Café“ trägt seit 2011 den Titel „Das schönste Café der Welt“.
Für den Erfolg des größten Eisenbahnprojektes, das es je in Ungarn gab, wird Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Selbst das Bergbauunternehmen der Familie Orbán engagiert sich, damit unsere südlichen Nachbarn, mit denen wir die Konnektivität seit über zehn Jahren beispielhaft pflegen, rasch die Eszterházy-Torte bestellen können – den Stolz der ungarischen Konditoren und so zugleich ein Stück historische Verbundenheit bis in die Monarchie.
Der Verkehr zwischen Belgrad und Subotica an der ungarisch-serbischen Grenze (Szabadka auf Ungarisch) soll bereits dieser Tage, Ende November 2024, aufgenommen werden. Ein Jahr früher als geplant! Ein beneidenswertes Tempo. Der ungarische Abschnitt der Eisenbahnlinie Budapest-Belgrad wird laut Plan 2026 fertig und für den Verkehr freigegeben, erklärte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Mai.
Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass das Projekt als Teil der „Neuen Seidenstraße“ chinesischen Handelsinteressen dienen würde. Durch die eiserne Seidenstraße erreichen chinesische Waren aus griechischen und anderen südeuropäischen Häfen in einem Ritt über Belgrad, Budapest und Wien Westeuropa. „Politik ist ein Reich der Anwendung“, sagte Orbán kürzlich beim Eurasia-Forum in Budapest. „Und das Wesen der Anwendung ist Tempo.“ Dass für die Chinesen Ungarisch wie Chinesisch klingt, ist dabei unwichtig.
Der Bau der Eisenbahnlinie Budapest-Belgrad wurde 2014 von der Regierung beschlossen. 2015 einigte man sich mit der chinesischen und der serbischen Seite. Der Bauvertrag wurde jedoch erst vier Jahre später unterzeichnet, im Jahr 2019. Das Projekt hat einen Wert von rund 1,7 Milliarden Euro und wird vom ungarischen Staat mitfinanziert. 85 Prozent der Investitionen kommen aus einem chinesischen Darlehen mit festem Zinssatz und die restlichen 15 Prozent aus eigenen Mitteln.
Die Chinesen – aus deutscher Sicht „Partner, Wettbewerber und Rivalen"– haben also neben der K.u.K.-Spezialität und ein paar Snapshots vom Parlamentsgebäude andere Vorteile Ungarns erkannt. Die geostrategische Lage. Hoho, geehrte deutsche Politiker, wie wäre es mit einem Blick auf die Karte?
EU-Ratspräsident Orbán erzählt immer wieder gern, dass in seinem Büro drei Karten der gleichen Welt hängen. Eine ist die traditionelle Europakarte. Wenn man den Globus auf einem flachen Blatt ausbreite, so der Regierungschef der Magyaren, ist Europa irgendwie immer in der Mitte. Auf der zweiten Karte sind die Vereinigten Staaten in der Mitte, „und wenn ich diese Karte anschaue, kann ich genau sehen, wie die Welt aussieht, wenn man sie in Washington betrachtet“, so Orbán. „Ein riesiger Unterschied!“ Die dritte Karte zeigt, was Asiaten sehen, „wenn sie die Welt betrachten, wie sie die Welt verstehen, wie sie positioniert sind, wie sie im Verhältnis zu etwas positioniert sind“.
Die europäische Elite sei eindeutig darauf eingestellt, so Orbán, den Status quo des alten Ruhms zu verteidigen. Als Angela Merkel vor Jahren auf einer Tagung des Europäischen Rates China als systemischen Konkurrenten ansprach, wollte er von der Bundeskanzlerin wissen, „wer Ungarn in diesen Wettbewerb gestellt hat“. Er, Orbán, glaube nicht, dass Ungarn in China einen systemischen Konkurrenten hat. Ungarn habe sich zu diesem Wettbewerb nicht angemeldet. „Wir können über Zusammenarbeit, über Interessenkonvergenz oder über Konflikte sprechen, aber wie kommt es, dass wir eine aufstrebende Zivilisation als unseren Konkurrenten einstufen?“
Chinesische Unternehmen investieren bereits über 16 Milliarden Euro (6.400 Milliarden Forint) in Ungarn und schaffen damit direkt etwa 25.000 neue Arbeitsplätze. Nach den Zahlen des letzten Jahres ist China der neuntgrößte Handelspartner Ungarns und der wichtigste außerhalb Europas.
Zurück zur Bahn: Sie bringt das südliche Nachbarland Serbien näher als je zuvor. Außerdem rollt zwischen den beiden Ländern nicht nur die Bahn schneller – wie die tatsächliche Fahrtzeit durch Kabelklau, Polizeieinsatz, Schafe auf der Strecke, medizinische Notfälle, Schneeflocken auf den Gleisen, Zugausfall wegen Haarausfall beeinflusst wird, dürfte sich im Reich der Anwendung zeigen.
Auch die Energieversorgung sorgt für Vernetzung und Tempo. „Heute gibt es keine ungarische Energiesicherheit ohne Serbien, und es gibt keine serbische Energiesicherheit ohne Ungarn“, sagte der ungarische Außen- und Handelsminister Péter Szíjjártó im Frühling 2023 in Belgrad. So kommt das russische Gas hauptsächlich über Serbien nach Ungarn. Weil Budapest die EU-Sanktionen gegen das größte Land der Erde, die ihr Ziel verfehlen, nicht unterstützen will. Selbstgeißelung mit russischem Gas über Indien ist kein gängiges Ritual für das Land.
„Ein Staat gibt eine zuverlässige und preislich konkurrenzfähige Energiequelle nur auf, wenn er ein besseres Angebot erhält; für Ungarn gibt es derzeit keine gute Alternative zu den russischen Energiequellen“, sagte Péter Szijjártó am Donnerstag in Brüssel.
Ein anderer Meilenstein im Verkehr und ein weiteres Zeichen für die Konnektivität wurde dieser Tage in Budapest enthüllt: das erste lebensgroße Lego-Fahrzeug der Welt, das auf einem festen Gleis fährt. Das sechs Tonnen schwere Fahrzeug ist originalgetreu elfeinhalb Meter lang, zwei Meter breit und zwei Meter hoch. Um die Lego-Straßenbahn zusammenzusetzen, benötigten die 90 Baumeister insgesamt mehr als 6.800 Stunden. Zum Tempo dieser Spielzeugbahn habe ich leider keine zuverlässigen Daten. Sicher ist: Die Bausteine kommen garantiert nicht aus dem Bergwerk der Orbáns.
Éva Péli ist freie Journalistin und Übersetzerin mit Schwerpunktthemen aus Mittel- und Osteuropa, schreibt unter anderem für die nachdenkseiten, das Magazin Hintergrund und das ungarische Fachportal für den postsowjetischen Raum moszkvater.com.
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