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Oben & Unten | 23.07.2025
Sex und Geld
Erklärungsversuche erscheinen uns besonders glaubhaft, wenn als Mutter aller Motive etwas Materielles hervorlugt. Ist das wirklich so zwingend?
Text: Axel Klopprogge
 
 

Dass Kriege im Interesse der Rüstungsindustrie geführt werden, ist ein altes Narrativ. Krupp und andere dienen als Beleg dafür, wie man mit Kanonen und Panzern reich werden kann. Auch jetzt um die Steigerung der Militärausgaben herum kursiert diese Erklärung, und sie scheint sich zu bestätigen durch Wachstumsprognosen und steigende Börsenwerte von Unternehmen wie Rheinmetall oder Diehl. Bei näherem Hinsehen ist diese Vermutung jedoch keineswegs so logisch, wie es scheint. Die Rüstungsindustrie ist eine kleine Branche verglichen mit Schwergewichten wie Automobil, Elektro, Maschinenbau, Chemie oder Handel. Die viel größeren zivil geprägten Industrien haben kein Interesse an Kriegen oder Krisen, die ihr Geschäft bedrohen. Ja, noch platter: Sie haben zunächst einmal kein Interesse an höheren Steuerlasten durch erhöhte Rüstungsausgaben.

Dasselbe kann man mit Corona-Impfstoffen durchspielen: Natürlich hat – um ein deutsches Unternehmen anzuführen – BioNTech die Chance genutzt und an der Produktion des MRNA-Impfstoffes grandios verdient. Natürlich wird sich BioNTech gut verkauft haben, und vermutlich kann man hinter manche Vertragsbestimmungen ein paar Fragezeichen setzen. Aber volkswirtschaftlich betrachtet ist BioNTech ein Zwerg. Keine Regierung inszeniert eine Impfkampagne oder gar eine Pandemie, damit BioNTech und Co. große Profite absahnen. Alle Kosten für Impfstoffe landen als Steuerlast oder als Arbeitgeberbeiträge zur Krankenkasse auch bei allen anderen Unternehmen – ganz zu schweigen von der immensen Belastung durch die Einschränkungen der Pandemie überhaupt, die durch gestörte Lieferketten teilweise bis heute nachwirken.

Man kann gewiss unterschiedlicher Meinung sein über die gegenwärtige Erhöhung der Rüstungsausgaben oder über die Handhabung der Pandemie. Aber als Beispiel für eine von den Profitinteressen der Rüstungs- und Pharmakonzerne ferngesteuerte Politik taugen sie nicht. Im Gegenteil: Allein schon die Größenverhältnisse belegen, dass die Politik nicht davon ferngesteuert sein kann. Übrigens haben auch weder „die Konzerne“ noch „die Herrschenden“ ein Interesse daran, dass sich Einzelne auf Kosten der anderen durch dubiose Masken-Deals bereichern.

Wenn man dieses Profit-Narrativ in zwei Minuten auseinandernehmen kann, warum ist es dann so hartnäckig? Warum leuchtet es uns so sehr ein?

Die Erklärung liegt zum einen in der Auffassung, dass es hinter menschlichen Entscheidungen immer eine Ursachenkette gibt, sozusagen ein Wollen des Wollens. Karl Popper hat das weit verbreitete „Das sagst du jetzt nur, weil du…“ zu Recht als Verstoß gegen die Prinzipien des Diskurses und der offenen Gesellschaft gewertet. Für unseren Zusammenhang ist aber noch entscheidender, dass uns die Rekonstruktion der motivatorischen Ursachenkette umso überzeugender erscheint, je mehr irgendetwas Egoistisches und vor allem etwas Materielles in ihnen vorkommt. Alle anderen Erklärungen wischen wir leicht mit einem spöttischen Lächeln als naiv beiseite und sind erst zufrieden, wenn wir die vermeintliche Mutter aller Motive gefunden haben: Sex, Geld, Macht.

Der marxistische Philosoph Ernst Bloch hat solche eindimensionalen Erklärungsversuche als „klotzmaterialistisch“ bezeichnet. Abgesehen davon, dass man überhaupt das Konzept der Motive infrage stellen kann, haben Menschen für nichtmaterielle Ziele (im Guten wie im Bösen!) Dinge getan, die sie für Geld nie tun würden.

Auch in Betriebswirtschaft und Managementlehre ist die klotzmaterialistische Motivationstheorie weit verbreitet. Etwa in Vergütungssystemen. Und auch hier zeigt sich rasch, dass Geld zwar ein Hygienefaktor, aber kein nachhaltiger Motivationsfaktor ist. Die Freude verpufft schnell, und der Bonus wird umgehend zum neuen Normal erklärt. Und wenn Personalmanager hochkomplexe Vergütungssysteme konstruieren, bei denen ein Dutzend Parameter die Vergütungsbestandteile beeinflussen, so als könne man auf diese Weise Menschen wie Puppen im Marionettentheater steuern, dann wird es nur noch absurd.

Ebenso wenig taugt der plumpe Klotzmaterialismus zur Unternehmenssteuerung. Unternehmensgewinn und Unternehmenswertsteigerung sind ein schönes Ergebnis klugen Handelns – übrigens auch in gemeinnützigen Unternehmen. Aber sie sind kein hilfreiches Ziel. Man kann nicht Profit machen, indem man Profit macht. Genauso wenig, wie man Arbeitsplätze schafft, indem man Arbeitsplätze schafft. Nicht einmal den Krankenstand kann man senken, indem man den Krankenstand senkt. Eigentlich ist es trivial: Jeder halbwegs intelligente Unternehmer weiß, dass er nachhaltige Gewinne und Wachstum nur mit guter Arbeit erwirtschaften wird. Ich habe selbst in den 1990er Jahren erlebt, dass Parolen wie „Profit! Profit! Profit!“ und „Shareholder-Value“ zum genauen Gegenteil, nämlich zu einer gigantischen Wertvernichtung führten. Oft genug gilt „Gier frisst Hirn“, und das falsche Spiel endet in Machenschaften, die einfach nur noch kriminell sind.

Ein befreundeter Startup-Investor, der meine Gedanken weitgehend teilt, hielt mir entgegen, dass manche Leute eben Dollarzeichen in den Augen hätten – und führte als Beispiel einen Zahnarzt an. Ich habe keinen Zweifel, dass es solche Leute gibt – übrigens in jedem Feld gibt, auch bei Arbeitern. Aber der eine Zahnarzt kann nur überproportional abkassieren, weil vor ihm Zehntausende Zahnärzte durch gute Arbeit dafür gesorgt haben, dass der Gesellschaft eine gute Zahnbehandlung gutes Geld wert ist.

Wenn das Gespräch auf die großen Tech-Milliardäre unserer Zeit zu sprechen kommt, dann wird sehr schnell unterstellt, dass sie alles, was sie getan haben, nur des Geldes wegen getan haben. Ich kenne Leute wie Elon Musk, Steve Jobs oder Jeff Bezos nicht und kann deshalb nichts über ihre persönlichen Beweggründe sagen. Ich möchte nur betonen, dass die Unterstellung nicht sehr überzeugend ist. Das wäre ja wunderbar, wenn es, um reich zu werden, nicht mehr braucht, als reich werden zu wollen. Wenn man in die jeweiligen Geschichten schaut, dann sieht man, dass diese Unternehmensgründer bestimmte Entscheidungen getroffen haben, als noch niemand wusste, dass alles so erfolgreich enden würde. Und wollten etwa andere Automobilkonzerne, die andere Entscheidungen als Tesla getroffen haben, nicht reich werden?

Es liegt mir fern, irgendetwas zu verniedlichen. Ich mag nur nicht, wenn klotzmaterialistische Reflexe vom eigenen Denken, Meinen und Wollen abhalten. Dies gilt auch für die gegenwärtigen Diskussionen um Aufrüstung – egal, zu welchem Ergebnis man dabei als Einzelner oder als Gesellschaft kommt.

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.

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Bildquellen: Elon Musk 2014. Foto: Tesla Owners Club Belgium, CC BY 2.0