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Kommentar | 26.11.2025
Rüsten für den Frieden
Deutschland hat kein Interesse am Ende des Ukraine-Kriegs. Stattdessen: Wehrdienst-Propaganda und Scheinmoral in Politik und Medien.
Text: Brit Gdanietz
 
 

Kommt mir nicht mit Moral. Ja, ich habe (auch an dieser Stelle) bereits meinen Unmut hinsichtlich der Militarisierung unseres Landes kundgetan. Ich werde es weiter tun. Am 13. November hat sich die Regierungskoalition aus Union und SPD nach langem Ringen auf eine Wehrdienstreform geeinigt. Der Fraktionsvorsitzende der CDU/ CSU, Jens Spahn, trat, umgeben von entschlossenen Kollegen, ans Mikrofon und verkaufte den Zuhörern erfreut den langwierig ausgehandelten Kompromiss, als ginge es um eine Diätenerhöhung und nicht um die Zukunft unserer Kinder.

Wir werden die Freiwilligkeit attraktiver machen, wir möchten möglichst viele junge Menschen auch für den Dienst am Vaterland begeistern. Sollte es am Ende nicht reichen in der Freiwilligkeit, braucht es auch eine Verpflichtung.

Moment mal. Das hatten wir doch kürzlich erst. Vor meinem geistigen Auge tauchen Zitate verschiedener Politiker auf, die in der Coronazeit die Freiwilligkeit der Impfentscheidung betonten und nicht müde wurden, die gesellschaftliche und moralische Verpflichtung hervorzuheben. Aus den RKI-Files wissen wir heute, wie viel davon mit Moral und wie viel mit politischem Willen zu tun hatte. Es wurden alle Register gezogen, um die Unentschiedenen mit fragwürdigen Methoden zur Impfung zu überreden. Die Motivationshilfen: von Vergünstigungen im sozialen Leben bis hin zu Bratwürsten. Reichte das nicht, gab es massive Beschränkungen für die Uneinsichtigen.

Bildbeschreibung Bild: Jens Spahn am 4. Juli 2018 in der US-Botschaft. Public Domain.

Jugendliche im Fokus

Jetzt also sollen junge Menschen mit attraktiver Besoldung und finanziellen Zuschüssen in die Armee gelockt werden. Na wenn das keine Aussichten sind. Die Jahrgänge ab 2008 haben ein marodes Schulsystem durchlaufen. Sie haben die Corona-Jahre mit Entbehrungen und Einschränkungen in Schule, Ausbildung und Freizeit ertragen. Mit Folgen, die sich bis heute auswirken. Viele kämpfen mit Lernrückständen und psychischen Erkrankungen. Wenn das statistische Bundesamt darüber hinaus noch meldet, dass etwa jedes siebte Kind unter 18 Jahren in Deutschland als armutsgefährdet gilt, kann es nur hilfreich sein, wenn Väterchen Staat dem Nachwuchs jetzt so eine großartige Zukunftsperspektive bietet.

Natürlich vergaß Jens Spahn auch dieses Mal nicht, ein Freiheitsargument hinzuzufügen:

… unsere Bundeswehr ist unsere Freiheitsgarantie.

Da war sie wieder, die Parallele zur Corona-Zeit: Parteiübergreifend verkauften Politiker auch das Impfen als Freiheitsgarantie. Selbst Kirchenvertreter tönten damals:

Impfen ist Freiheit.

Wer wollte nicht die Freiheit verteidigen? Das ausgerufene Ziel zum Aufwuchs der Truppe bis zum Jahr 2030 wird vermutlich durch Freiwilligkeit alleine nicht zu erreichen sein. Das dürfte auch den politischen Akteuren klar sein. Es ist nur eben reichlich unpopulär, das auch so zu sagen. Wahlumfragen zeigen, dass die 18- bis 30- Jährigen nicht die Parteien wählen, die eine Wehrpflicht befürworten. Im Gegenteil. Zum Glück hat man für diesen Fall schon mal vorgebaut. Sollte die Freiwilligkeit trotz unschlagbarer Angebote nicht ausreichen, wird eben die Pflicht eingeführt. Da können sich unsere Politiker ganz entspannt zurücklehnen. Nur eben nicht die jungen Menschen, die es betrifft.

58 Millionen Werbeetat für die Bundeswehr

Für die hehren Ziele wird massiv geworben, nahezu überall. In Schulen, Bahnhöfen, auf Straßenbahnen, im Kino und natürlich im Netz. Unter anderem mit dem Slogan:

Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.

Dass dies nicht ganz ernst gemeint ist, belegt der Fall eines Freiburger Schülers. An seinem Gymnasium protestierte er gegen den Besuch eines Bundeswehr-Offiziers und muss sich deshalb nun vor Gericht verantworten.

In der ARD-Sendung „Hart aber fair“ zum Thema „Krieg in Europa: keine Sicherheit ohne Wehrpflicht?“ äußerte die Journalistin Özge Inan von der Zeit, dass sie kein Verständnis dafür habe, dass die Bundesregierung ab dem Geburtsjahrgang 2008 alle heranwachsenden jungen Männer mustern möchte. Sie fände es pervers, die jungen Menschen als Verfügungsmasse der Bundeswehr zu betrachten. Hier konnte Norbert Röttgen (CDU) nur schwer an sich halten. Er betonte, dass wir in „der Zeit der Rückkehr eines großen Krieges in Europa“ leben. Das sei schließlich der Grund, warum wir auch die moralische Dimension sehen müssten, wenn nun abgefragt würde, ob junge Menschen bereit wären, für den Erhalt unserer Freiheit dem Vaterland zu dienen. Wir hätten ja damit noch keine Wehrpflicht. Er verstehe nicht, warum sich Frau Inan über Friedrich Merz aufrege, nicht aber über Putin, der immerhin dafür verantwortlich sei, dass die Bundesrepublik nun massiv aufrüsten müsse.

Als die Journalistin Ängste beschrieb, die viele junge Menschen umtreiben – nämlich im Schützengraben verheizt zu werden –, entgegnete er, das wäre völliger Unsinn. Die jungen Leute wären gar nicht für die erste Reihe im Kampfeinsatz vorgesehen. Mit so einem Szenario würde Frau Inan den Krieg ja bereits planen. Der Sinn der Bundeswehr bestehe nicht darin, Krieg zu führen, sondern den Frieden zu sichern, so Röttgen. Na, dann ist ja alles gut.

Was unsere Politiker bei der Argumentation „Wir rüsten für den Frieden“ völlig außer Acht lassen, ist, dass Deutschland in den letzten dreieinhalb Jahren keinerlei Bestrebungen gezeigt hat, sich auf diplomatischem Wege für eine Beendigung des Krieges in der Ukraine einzusetzen oder für Deeskalation. Das hat man anderen überlassen. Möglicherweise ein Grund, weshalb viele Menschen das Gefühl haben, es gäbe gar kein Interesse an einem Ende des Krieges.

Wie verschiedene Medien im September meldeten, rechnet die Bundeswehr im Ernstfall mit 1000 Verletzten pro Tag. Angesichts solcher Nachrichten scheint es nicht glaubwürdig, wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt, beim neuen Wehrdienst ginge es um „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ oder gar „Demokratieerfahrung“. Hier kann ich der Journalistin nur zustimmen. Ziel ist es, kriegstüchtig zu werden, gerne getarnt durch den Begriff „verteidigungsfähig“, der noch eher Akzeptanz verspricht. Es geht ganz offensichtlich um eine Inventur der Verfügungsmasse, die im Ernstfall an die Front geschickt werden kann.

Die französische Regierung ist in dieser Hinsicht etwas ehrlicher: So verkündete Generalstabschef Fabien Mandon in der vergangenen Woche:

Wir müssen den Verlust unserer Kinder und wirtschaftliche Einbußen hinnehmen.

Da weiß man doch zumindest, wozu man gebeten ist.

Bildbeschreibung Bild: 2019 in Dresden. Foto: Lupus in Saxonia, Public domain, via Wikimedia.

Propaganda in Reinform

In welchem Ausmaß beim Werben für die Ziele der Bundeswehr pure Propaganda zum Einsatz kommt, dafür lieferte die ARD-Sendung „Die 100“ mit Ingo Zamperoni ein Paradebeispiel. Der Titel der Debattenshow: „Brauchen wir eine Wehrpflicht in Deutschland?“ suggeriert zwar, es ginge um eine Entscheidungsfindung, aber selbst den gutwilligsten Zuschauern konnte kaum verborgen bleiben, worum es hier wirklich ging.

Zunächst flog zur Veranschaulichung des Krieges eine laut summende Drohne durch das Studio, und es wurden „moderne Kriegsbilder“ eingeblendet. Dann teilte Ralph Caspers, hier als Gast, die 100 Teilnehmer der Show in zwei Gruppen. Nun standen auf einer Seite elf und auf der anderen Seite 89 Personen. Dies würde das Kräfteverhältnis zwischen der russischen Armee und der Bundeswehr spiegeln. Caspers: „Und nun kämpfen Sie!“ Ein Scherz natürlich, beeilte er sich klarzustellen. Es wäre ja ein sehr ernstes Thema.

Der Hinweis, dass die Rüstungsausgaben der Nato schon ohne die USA bereits heute knapp viermal so hoch sind wie die Russlands, wird lieber weggelassen. Auch dass noch im letzten Jahr sowohl die Nato unter Generalsekretär Jens Stoltenberg als auch der Bundesnachrichtendienst keine Bedrohung durch Russland sahen. Im weiteren Verlauf der Show kommen per Videosequenzen zu Wort: Nato-Generalsekretär Marc Rutte, Verteidigungsminister Pistorius, der oberste General der Bundeswehr, der ukrainische Präsident. Und das funktioniert: Von den wenigen Personen, die zu Beginn der Sendung noch auf der Kontra-Seite standen, begaben sich zum Schluss noch einige hinüber in die wesentlich größere Gruppe der Wehrdienst-Verfechter.

Die Friedensangst geht um

Nicht hilfreich für das Großvorhaben Aufrüstung, das mit der angeblichen russischen Bedrohung begründet wird, ist der 28-Punkte-Friedensplan. Unabhängig davon, wie man dieses Papier im Einzelnen bewerten mag, enthält es einen umfassenden Nichtangriffspakt zwischen Russland, der Ukraine und Europa. Könnte das unter anderem ein wesentlicher Punkt sein, warum unsere Regierung knapp zwei Wochen nicht reagierte, obwohl sie bereits Kenntnis von dem Plan hatte?

Vor dem Hintergrund nämlich, dass Bundeskanzler Merz in seiner Regierungserklärung vom Mai 2025 versprach, die Bundeswehr in „die stärkste konventionelle Armee in Europa“ zu verwandeln, dürfte ihm die Aussicht auf Frieden nicht besonders gefallen. Sollte es tatsächlich gelingen, auf Grundlage der neuen Initiative Frieden zu erreichen, darf man gespannt sein, welche Argumente in Zukunft für das Aufrüsten herhalten dürfen.

Nicht nur unsere Regierung erweckte den Eindruck, in einer Schockstarre zu verharren, bevor sie sich schließlich am vergangenen Wochenende mit ihren europäischen Partnern in Genf dem Friedensplan widmete. Die Rheinmetall-Aktie rutschte in den Keller. Verständlich, dass die Profiteure in der Rüstungsindustrie kein Interesse an baldigem Frieden haben.

Brit Gdanietz ist Schauspielerin und Sprecherin und hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Matias_Luge @ Pixabay (Titel)