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Meyen am Tresen | 27.10.2025
Rundfunkreform
Noch einmal das Leipziger Urteil zur Beitragspflicht – auch weil Aktivisten jetzt auf Gerichte und Experten hoffen und so den Zeitgeist füttern.
Text: Michael Meyen
 
 

Hammer-Urteil! Großer Erfolg! Jetzt beenden wir den Zwangsbeitrag! Wahrscheinlich muss das so sein. Verlieren ist schwer. Das sehen wir nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch nach jeder Wahl. In Leipzig haben die Gerichte gewonnen, die Experten und damit in gewisser Weise auch ARD und Co. Das Bundesverwaltungsgericht sagt: Wer nicht zahlen will, muss nachweisen, dass das „Gesamtangebot“ nicht das bietet, was der Medienstaatsvertrag fordert – „Vielfalt und Ausgewogenheit“ vor allem. Es geht dabei nicht um diesen oder jenen Beitrag, sondern um alles, was „über einen längeren Zeitraum“ gesendet worden ist. Mindestens zwei Jahre. Und es geht nicht um dieses oder jenes Thema, das genauso zu kurz gekommen sein könnte wie diese oder jene Partei, sondern um „gröbliche“ Verfehlungen, festgestellt in Gutachten vor einem Verwaltungsgericht, das dann sogar das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anrufen könnte.

Wer den Wissenschaftsbetrieb von innen kennt und vielleicht sogar schon eine Inhaltsanalyse gelesen hat, der weiß: Eine solche Studie wird es nicht geben. Ich meine damit gar nicht die Befangenheiten, die die Bewusstseinsindustrie bei diesem Thema lähmen und verhindern, dass wir über einen Anachronismus diskutieren, den die Besatzer nach 1945 in einer ganz anderen Medienwelt platziert haben. Richter, Journalisten und Lehrer, Professoren, Pfarrer und Künstler: Sie alle profitieren davon, dass (fast) jeder für den Rundfunk bezahlen muss. Das ist wie bei Oper, Ballett und Sinfoniekonzert. Man könnte sich den Marktpreis leisten, ruft aber lieber die Solidargemeinschaft an, beschwört irgendwelche Werte – und bekommt das Ganze billiger. Der Stempel „öffentlich-rechtlich“ hilft außerdem beim Tagewerk. Egal ob Vorlesung, Schulstunde oder Theaterstück: Ich kann das Material nutzen, ohne Angst haben zu müssen, morgen am Pranger zu stehen. Probieren Sie das einfach selbst aus mit diesem Text. Der Publikationsort schwingt immer mit. Welcher Medienforscher würde sich da freiwillig ins Abseits stellen? Und selbst wenn er das wollte: Bei der Angebotsflut, die sich aus den Beitragsmilliarden speist, findet sich immer irgendwo ein Leckerli. Eine Doku auf arte. Ein Bericht in der Tiefe des Webs. Julia Ruhs.

Das Urteil zementiert ein System, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine beispiellose Legitimationskrise gestürzt hat, und führt die Anstalten noch weiter weg vom Souverän und Beitragszahler, als sie ohnehin schon sind. Ich komme gleich zur Krise und zur Therapie, will aber vorher noch darauf hinweisen, dass die Richter mit ihrem Loblied auf Kollegen und Akademikergutachten einen Trend fortschreiben, der das Wort „Demokratie“ mit einem neuen Zungenschlag versieht. Gefragt sind nicht mehr Bevölkerung, Wahlsiege oder Parlamente, sondern Höchstgerichte, die selbst Politik machen und sich im Zweifel auf das stützen, was sie gerade für Wissenschaft halten. Klimaurteil, Parteienverbote, der Streit um Brosius-Gersdorf. Macht liegt heute da, wo die Roben verteilt werden, weil so ein Richtergremium selbst klare Mehrheiten aushebeln und, so geschehen jetzt in Leipzig, gewissermaßen im Vorübergehen auch alle Instanzen erledigen kann, die bisher für uns Wache standen.

Und damit zu einem Rundfunk in der Krise. Jeder weiß, wie viele Menschen sich inzwischen weigern, die 18,36 Euro zu überweisen. Offiziell sind fast vier Millionen Beitragskonten „in einer Mahnstufe oder in der Vollstreckung“ – die Spitze eines Eisbergs, da manche einfach stunden, stückeln oder nur ein paar Monate auslassen, um nicht gleich in ein Mahnverfahren zu müssen. Jeder weiß auch, was sehr viel mehr Menschen auf die Palme bringt – der Zugriff von Staat, Behörden und Regierungsparteien auf ein Programm, das sich deshalb bei zentralen Themen wie Klima und Corona, Migration oder Krieg auf „offizielle“ Positionen beschränkt, Widerspruch ausblendet oder abwertet, so keine öffentliche Debatte erlaubt, die diesen Namen verdient, und folglich den „Auftrag“ verfehlt, der im Medienstaatsvertrag steht und der allein die Finanzierung aus Rundfunkbeiträgen rechtfertigt.

Darüber wird geredet – in der Gegenöffentlichkeit vor allem, an Stammtischen und ein wenig auch in den Landtagen, wenn gerade mal wieder ein Staatsvertrag durchzuwinken ist. Das Leipziger Urteil degradiert die Abgeordneten nun genauso zu Statisten wie die Rundfunkräte und vertagt jede Reformdiskussion auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

Wer an der Idee „öffentlich-rechtlich“ festhalten und nicht auch ganz offiziell zu einem Staatsfunk übergehen möchte, kann sich aus einem Füllhorn an Ideen bedienen. Ich greife hier nur die drei Punkte Finanzierung, Aufsicht und Arbeitsbedingungen heraus. Das KEF-Verfahren, mein erster Punkt, hat einen Selbstbedienungsladen produziert. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs kann nicht sinnvoll prüfen, was ihr die Anstalten vorlegen. Es gibt keinen Maßstab, weil kommerzielle Sender einen anderen Auftrag haben, es gibt keine öffentliche Kontrolle, weil in der KEF Schweigepflicht herrscht, und es gibt auch keinen parlamentarischen Hebel, wie das Beispiel Sachsen-Anhalt 2020/21 gelehrt hat. Die Lösung liegt auf der Hand: Die Landtage müssen die Finanzierung vom Kopf auf die Füße stellen und den Anstalten neben einem Auftrag ein festes Budget zuteilen, deutlich kleiner als bisher. Die Deutsche Welle produziert in 32 Sprachen und braucht dafür nicht einmal eine halbe Milliarde im Jahr.

Zum zweiten Punkt, zur Aufsicht, hat die Otto-Brenner-Stiftung gerade aktuelle Zahlen veröffentlicht. 42 Prozent der Rundfunkräte lassen sich Parteien zuordnen und 53 Prozent der Verwaltungsräte. Ich kenne die mentale Hürde, vor der die Politik hier steht. Es geht um Verzicht – um Verzicht auf die Möglichkeit, an den wichtigsten Schrauben zu drehen, am Spitzenpersonal und an den Budgets. Was spricht sonst gegen echte Publikumsräte? Gegen Wahlen, gegen Losen, gegen Ombudsstellen und transparente Beschwerdewege? Mit all dem ließe sich Vertrauen zurückgewinnen.

Das gilt auch bei meinem dritten Punkt, bei den Arbeitsbedingungen. Im Moment produziert die Hierarchiepyramide auf jeder Stufe Abhängigkeiten, die in den Redaktionen zu Misstrauen, Unmut und Angst führen und alles verhindern, was für Qualität sorgen könnte – 2023 vom NDR eindrucksvoll dokumentiert in einem „Klimabericht“ mit gut tausend Stimmen aus dem eigenen Haus. Auch hier braucht es einen Befreiungsschlag. Obergrenzen ganz oben, feste Arbeitsverträge ganz unten. Zusammengenommen wäre all das dann wirklich ein Hammer.

Dieser Text ist im Auftrag der Wochenzeitung Junge Freiheit entstanden, wo am 24. Oktober eine gekürzte Version erschienen ist.

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Bildquellen: Funkhaus in der Nalepastraße 2017. Foto: Rexchecks, CC BY 4.0