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Medien-Tresen | 05.12.2025
Richtig drohen
Die selektive Wahrnehmung des Ukraine-Kriegs in den Medien geht weiter: Der Böse ist und bleibt der Putin.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Er ist bereit. Sofort. Der Kriegstreiber. Der Oberschurke. Putin hat schon wieder gedroht. Mit dem Bösen vom Dienst gibt es keinen Frieden. Das ist in wenigen Schlagwörtern die Position der meisten Mainstream-Journalisten. Kurz vor den weiteren Verhandlungen in dieser Woche in Moskau hat Putin also wieder gedroht. Und uns Medienkonsumenten – wenn wir uns dem Mainstream nicht verweigern – wird zu verstehen gegeben: Wenn hier in Europa einer zündelt, dann ist das der Russe. Das können die Propagandisten, die von sich selbst denken, sie seien Journalisten, gar nicht oft genug verkünden.

Bevor wir hier am Medien-Tresen einmal aufdröseln, was Putin wirklich gesagt hat, schauen wir kurz auf einige der Meldungen der vergangenen Tage. Sie stehen als Teile für das Ganze. Die Frankfurter Rundschau titelt

Putins Drohung: „Sind sofort bereit“ für Krieg mit Europa.

Bei T-Online heißt es:

Putin droht: „Wenn Europa Krieg will, sind wir ab sofort bereit“

Und n-tv titelt unter der Dachzeile „Ab sofort“ noch recht dicht am Original:

Putin: Wenn Europa Krieg will, sind wir bereit.

Unsere Medien, zumindest die auf der Seite des Mainstreams, möchten den Krieg fortsetzen und haben wie Rheinmetall und Co. Friedensangst. Seit ihrer ersten öffentlichen Vorstellung wird die erneute Friedensinitiative aus den USA landauf, landab niedergeschrieben. Der Aggressor dürfe nicht durchkommen. Wenn Russlands Drängen jetzt nachgegeben werde, dann könne niemand den Erzbösewicht auf seinem Durchmarsch in Richtung Atlantik stoppen. So oder so ähnlich wurden die Vermittlungsversuche der USA kommentiert, und die europäischen Politiker stimmten mit ein. Sie, die auf den billigen Zuschauerplätzen das Geschehen wie gelähmt verfolgen durften, haben in der Folge versucht, den „Friedensplan zum Kriegsplan“ zu machen, wie Sevim Dağdelen schrieb.

Europa also möchte Krieg und keinen Frieden. Davon zeugte auch der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, Giuseppe Cavo Dragone. Ein „Präventivschlag“ könne als „Verteidigungsmaßnahme“ betrachtet werden, sagte er. Das liege zwar außerhalb der üblichen Denk- und Verhaltensweise, aber was lag da nicht schon alles und wurde später doch zur Handlungsweise? Die Drohung Dragones kam jenseits der Berliner Zeitung und einiger alternativer Medien erst im Mainstream an, als Russland reagierte. Denn diese unverhohlene Drohung muss Russland ernst nehmen. Sie erinnert zudem an historische Angriffe, denn schließlich rechtfertigten auch Napoleon und Hitler ihren Vormarsch auf Moskau jeweils mit vorgeblicher Verteidigung, daran erinnert noch einmal Sevim Dağdelen. Aber welcher Kriegsherr würde auch sagen, dass er mal rasch das Völkerrecht brechen und einen Angriffskrieg führen werde? Eben. Der „totale Krieg“, er kam selbst bei den NS-Faschisten erst am Ende.

Zurück nun zu den Drohungen Putins, die wir uns von einem sanktionierten Desinformationsakteur – Sie erinnern sich vermutlich an meinen Text vor zwei Wochen – einmal aufdröseln lassen. Thomas Röper bietet wie so oft die andere Seite der Geschichte. Es hat sie gegeben, die Drohungen, aber sie stehen in einem Kontext. Der steht zwar teilweise auch in den Texten, die ich oben beispielhaft zitiert habe, aber die Überschriften wirken und geben die Richtung vor. Vor allem hat Putin in dem Gespräch, aus dem die Drohung stammt, vom Realitätsverlust der Europäer gesprochen. Diese könnten mitverhandeln, wenn sie denn ebendiese Realitäten anerkennen würden.

Der Kernsatz ist dann der folgende:

Wir wollen keinen Krieg gegen Europa führen, das habe ich schon hundertmal gesagt.

Danach kommt die vielzitierte Drohung:

Aber wenn Europa plötzlich gegen uns Krieg führen will und damit anfängt, sind wir genau jetzt bereit.

Das passt so natürlich nicht so recht in die Propaganda vom Kriegstreiber im Osten und den Friedenstauben im Westen. Thomas Röper hat in seinem Bericht besonders auf die letzten Sätze des russischen Präsidenten hingewiesen:

Wenn Europa plötzlich einen Krieg gegen uns beginnen will und ihn beginnt, könnte sehr schnell eine Situation entstehen, in der es niemanden mehr gibt, mit dem wir verhandeln können.

Sollen Atomwaffen eingesetzt werden, die Europa verwüsten? Röper interpretiert anders. Die europäischen Politiker sollten das als Drohung gegen sie ganz persönlich verstehen, denn „er hat damit gesagt, dass in so einem, von den Europäern begonnenen, Krieg auch deren Regierungsmitglieder für Russland legitime Ziele wären“. Genau dieser Teil des Zitats fehlt in den Berichten, ob im Spiegel, auf den sich Röper bezieht, oder anderswo.

Wenn man die Medienberichte dieser Tage genauer anschaut, dann ist offen zu erkennen, worum es Europa geht: ums Ganze. Um die eigene Existenz. Zumindest legt das eine aktuelle Studie nahe, über die die Frankfurter Rundschau ebenfalls berichtet hat. Laut dieser Studie würde ein russischer Erfolg Europa doppelt so viel kosten wie ein ukrainischer. Dazu kommt das Problem, dass man kein Geld hat und versucht, das russische Vermögen im Westen anzutasten – was das Vertrauen gegenüber Europa als Finanzplatz erschüttern könnte.

Kommt durch die Hintertür vielleicht doch ein wenig Realismus in den hiesigen Redaktionen an? Der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Eric Gujer, hat zuletzt immerhin über die Notwendigkeit des Friedens geschrieben. Und die NZZ hat sich in der Vergangenheit nicht als besonders friedlich hervorgetan. Sind das Bewegungen raus aus der Moralfalle des notwendigen Kampfes gegen den Großfeind der Demokratie aus Moskau? Wir werden es sehen. Noch bleibt vieles offen. Ob (und wenn ja, wie) sich die meisten Medien wieder aus ihren Schützengräben herausarbeiten können, wenn es mit dem Töten in der Ukraine endlich ein Ende hat, das bleibt offen. Wir stoßen vorerst am Medien-Tresen mit einem Wodka Gorbatschow an. Seit 1921 wird die russische Spezialität in Berlin produziert: Das wäre doch mal etwas für die Völkerverständigung von Ost und West.

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Wladimir Putin (rechts) 2013 mit Sergej Shoigu. Foto: Kreml, CC BY 3.0