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Medien-Tresen | 21.11.2025
Legal, illegal, der EU egal
Die Sanktionen gegen deutsche Journalisten verstoßen laut einer Studie gegen Grundrechte in der Europäischen Union. Sie gelten aber weiter.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Deutlicher kann man es wohl nicht sagen: Das Sanktionsregime der EU entspricht nicht dem EU-Recht. Es gibt keine Grundlagen für die Sanktionierung dreier deutscher Journalisten, denn diese verstößt gleich mehrfach gegen fundamentale Rechtsgrundsätze, auf die sich die Union als ach so hehrer Hort von Freiheit und Demokratie immer wieder beruft. Dies steht – auf Englisch und mit vielen Rechtsbegriffen, die schwer verständlich sind, wir haben es schließlich mit der EU zu tun – in dem Gutachten zweier Rechtsprofessorinnen, die es wissen müssen: Ninon Colneric und Alina Miron. Colneric ist Rechtswissenschaftlerin und ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, Miron Völkerrechtlerin an der Universität Angers in Frankreich. Beauftragt wurden sie von den zwei Europaabgeordneten des BSW: Ruth Firmenich und Michael von der Schulenburg.

Hintergrund des Gutachtens sind die Sanktionen gegen die drei deutschen Journalisten Thomas Röper, Alina Lipp und Hüseyin Doğru, die wir hier am Medien-Tresen bereits thematisiert haben und die seit genau einem halben Jahr in Kraft sind. Das aktuelle Gutachten gibt Anlass, die Entwicklungen seit unserem ersten Text näher zu beleuchten. Es ist auch Thema eines interessanten Gesprächs von Gabriele Gysi und Florian Warweg mit den beiden Auftraggebern der Studie.

Bevor wir zu den Inhalten und der Bewertung kommen, noch einmal eine Erinnerung an die Bedeutung der Sanktionen. Röper und Lipp leben in Russland, Doğru in Berlin. Für ihn ist das tägliche Leben eingeschränkt. Seine Konten sind eingefroren, und die Aufnahme einer bezahlten Arbeit ist ausgeschlossen. Wenn er Geld benötigt, muss es die Bundesbank freigeben. Wie genau das aussieht, hat er der Jungen Welt in einem Gespräch geschildert. Röper und Lipp können keine Spenden für ihre Berichterstattung aus Russland und dem Donbass annehmen, die Honorare für Röpers neuestes Buch – Thema: „Gesteuerte Wahrheit“ – können nicht ausgezahlt werden.

Bildbeschreibung Bild: Alina Lipp 2022 im russischen TV. Foto: 1RNK, CC BY 3.0

Es handelt sich also um massive Einschränkungen der Grundrechte – ohne Anhörung. Die Sanktionierten haben davon aus der Presse erfahren, das Sanktionsregime der EU sieht eine Anhörung nicht vor. Aus Sicht der Gutachter ist dies ebenso ein Rechtsverstoß wie die generelle Sanktionierung mit der Begründung „Desinformation“. Denn das Regime beschränke sich nicht auf Fälle, in denen offenkundig sei, dass eine Nachricht oder ein Bericht zu den destabilisierenden Aktivitäten Russlands beitragen – einmal davon abgesehen, so wollen wir am Medien-Tresen von der Seite einwerfen, dass dieses Konstrukt der Aktivitäten Russlands genauso fragwürdig ist wie das, was darunter subsumiert wird.

Die Zusammenfassung der beiden Professorinnen listet weitere Rechtsverstöße auf. Mit den Reisebeschränkungen werde gegen Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit verstoßen. Auch das Eigentumsrecht und die Achtung des Privat- und Familienlebens seien betroffen. Die Gründe für die Aufnahme in die Sanktionsliste müssten ebenso wenig veröffentlicht werden wie die Adressdaten der Sanktionierten, was gegen den Schutz personenbezogener Daten verstößt. Die Rechte auf Berufs- und Gewerbefreiheit sind für die Betroffenen außer Kraft gesetzt, weil sie nicht arbeiten und kein Gewerbe betreiben dürfen. Schließlich sei zweifelhaft, ob überhaupt ein wirksamer Rechtsbehelf gegen die Sanktionen möglich ist.

Die Sanktionierten erscheinen rechtlos. Zwar versichert die Bundesregierung immer wieder, man könne doch dagegen vorgehen – schließlich lebten wir nicht in Russland. Aber die Vertretung von Alina Lipp und Thomas Röper wurde und wird massiv erschwert. Die Anwältin, die sich des Falles angenommen hat, richtete ein Spendenkonto für die Verteidigung ein. Genug Geld ging ein, es wurde aber mit Verweis auf die Sanktionen gesperrt. Dazu kommen regelrecht absurde Begründungen. So wies der Rat der EU, der für die Sanktionen zuständig ist, den ersten Widerspruch von Alina Lipp mit Verweis auf einen Post bei X zurück. In diesem hatte sie ironisch kommentiert, dass sie keine Spenden brauche, schließlich bekomme sie Geld von Putin: „Spaß beiseite“. Hüseyin Doğru erfuhr erst Anfang September, was ihm überhaupt vorgeworfen wird, und bekam dann eine Liste von sechs Posts bei X, in denen er den Bundeskanzler kritisierte, den Aufbau der Nato-Armeen durch Nazi-Generäle und Sprechverbote bei der Kritik an Israel. Russische Desinformation? Ernsthaft, nicht geehrte EU-Minister?

Das Gutachten der beiden Rechtsprofessorinnen hat vorerst keine Bedeutung, die Sanktionen gelten weiter. Dem Ministerrat der EU scheint es egal zu sein, dass sein Handeln illegal ist. Und dem Parlament erst recht. Michael von der Schulenburg hat in dem Interview, das oben verlinkt ist, darauf hingewiesen, dass sich das Parlament bereits so benehmen würde, als wären wir schon im Krieg.

Die Meinungsfreiheit ist immer das Erste, was man einschränkt.

Bildbeschreibung Bild: Michael von der Schulenburg 2023. Foto: Ferran Cornellà, CC BY-SA 4.0

Und Ruth Firmenich erklärt, wie die Mitgliedsstaaten in Brüssel quasi über Bande agieren. „Warum benutzen wir nicht das deutsche Gesetz?“ fragt sie rhetorisch. Denn die Antwort ist klar: In Deutschland hätte Doğru angehört und ein Rechtsanwalt einbezogen werden müssen. Firmenich:

Die deutsche Regierung geht ganz bewusst in ein Rechtsvakuum hinein.

Berlin kann dann, wie mehrfach in den Regierungspressekonferenzen demonstriert, auf Brüssel verweisen. Man müsse den Sanktionen ja folgen, die EU habe sie verhängt. Das geht auch, weil es auf europäischer Ebene keine Öffentlichkeit gibt wie in den Nationalstaaten und weil Firmenich und von der Schulenburg quasi die einzigen in Brüssel sind, die sich der Sache annehmen. In Deutschland wurde der betroffene Journalist regierungsoffiziell als „Desinformationsakteur“ geframed, weil Brüssel ihn ja aufgrund von Desinformation sanktioniert habe.

All das hat Folgen und soll Folgen haben. Der Meinungskorridor wird weiter eingeschränkt, der Informations- und Propagandakrieg fortgesetzt. Jeder, der sich kritisch äußert, Verständnis für Russland zeigt oder auch nur über die Position des Kremls berichtet, könnte ebenfalls als Desinformationsakteur sanktioniert werden. Denn dass der EU ihre Gesetze egal sind, hat sie hier schließlich eindrücklich bewiesen.

Das ist alles kein Anlass für Ironie oder Satire, wie wir sie hier am Medien-Tresen oft genug pflegen. Auch alkoholische Getränke lassen wir weg, die Sache ist einfach zu ernst. Man kann sich das Brüsseler Wahrheitsregime nicht einmal schöntrinken. Stattdessen müssen wir uns empören und sind zum Glück vereint mit einigen Medien diesseits des Mainstreams. Auch der Deutsche Journalistenverband sagte der Berliner Zeitung (ohne Bezug auf den konkreten Fall), dass dieses Vorgehen nicht mit der Pressefreiheit vereinbar ist. Es ist mit nichts vereinbar, für das die EU angeblich steht. Wer sich die Sanktionierung von Journalisten ansieht, wird das Märchen von der Democracy made in Brüssel nicht mehr glauben. Da das bisher nicht so viele sind, wie es sein sollten, können wir nur empfehlen: Weitersagen!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Ursula von der Leyen und Emmanuel Macron 2025 vor der Sorbonne. © European Union, CC BY 4.0