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Medien-Tresen | 28.11.2025
Preis als Realsatire
Der Gewinner des „Geflügelten Bleistifts“ ist ein ideologischer Zuträger für Politik und Medien. Wo bleiben die Preise der Gegenöffentlichkeit?
Text: Eugen Zentner
 
 

Anfang November wurde wieder einmal der deutsche Karikaturenpreis verliehen. Gewonnen hat dieses Jahr der Hamburger Cartoonist Piero Masztalerz, mit einem Werk, das eine Parallele zwischen AfD und Nationalsozialisten zieht. Das war so vorhersehbar wie Ukraines Sieg beim Eurovision Song Contest 2022 oder die Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama 2009. Wer in den Medien hofiert wird, räumt auch die Preise ab. Wer hingegen als politischer oder kultureller Gegner gilt, verhilft als Zielscheibe zum Sieg.

Im Westen nichts Neues, möchte man gähnend sagen. Dieser Fall birgt jedoch eine gewisse Komik. Wer die diesjährige Verleihung des „Geflügelten Bleistifts“ genauer betrachtet, erkennt ein formidables Stück Realsatire. Im Grunde hat sie den Preis eher verdient als Masztalerz. In dessen Arbeit mit dem Titel „Abwarten“ sitzen zwei gefesselte Personen an der Wand. Hinter ihnen stehen zwei bewaffnete Männer in dunklen Mänteln. Um die Ärmel spannt jeweils eine Armbinde, auf der statt eines Hakenkreuzes das Parteikürzel AfD prangt. Der gefesselte Mann sagt: „Vielleicht hätten wir mehr für den Erhalt der Demokratie tun sollen!“ Seine Frau daneben antwortet: „Jetzt warte doch erstmal ab!“

Nun ist Masztalerz nicht der einzige Karikaturist, der die satirische „Bleistift“-Kunst als Medium nutzt, um die gesellschaftspolitischen Verhältnisse zu kritisieren. Er tut es nur im Fahrwasser offizieller Narrative. Jenseits dieser willfährigen Strömung gibt es jedoch zahlreiche Karikaturisten, die den Zeitgeist weitaus bissiger und pointierter entlarven. Bernd Zeller etwa, der seine Arbeiten regelmäßig in dem Online-Magazin 1bis19 veröffentlicht. Oder Olaf Schmalbein, ein überaus produktiver Kollege, der fast täglich in seinem Telegram-Kanal aktuelle Ereignisse mit bewussten Logikbrüchen kommentiert. Erwähnt werden muss vor allem Bert Hochmiller. Der Berliner Karikaturist betreibt nicht nur auf Telegram den Kanal Pandemimimi, sondern hat unter dem gleichen Titel auch mehrere Bücher mit seinen besten Arbeiten veröffentlicht.

Neben den genannten drei gibt es weitaus mehr „Bleistift“-Satiriker, doch anders als der Piero Masztalerz tummeln sie sich im Bereich der Gegenöffentlichkeit. Anders als er treten sie nicht nach unten, also gegen die Feindbilder des Mainstreams, sondern arbeiten sich tatsächlich an der Obrigkeit ab, an denen, die die Schalthebel der Macht bedienen. Doch dafür gibt es keine Aufmerksamkeit der Leitmedien – und Preise schon gar nicht. Ihre Auszeichnung ist die Strafverfolgung. Besonders kurios verlief sie im Fall von Hochmiller. Im November 2022 erhielt er von der Polizei eine Vorladung als Beschuldigter, mit einer stattlichen Liste an Vergehen: neben Volksverhetzung auch üble Nachrede, Verleumdung, Beleidigung und natürlich die Verwendung von Zeichen verfassungsfeindlicher und terroristischer Organisationen.

Hochmillers Arbeiten zielten auf Karl Lauterbach, die Ampel-Regierung und andere Protagonisten des schon länger andauernden Krisenzustands. Am Ende wurde der Karikaturist zu 60 Tagessätzen verurteilt. Interessant ist jedoch ein anderer Aspekt: Als Hochmiller in jenem November 2022 der Vorladung folgte, wurde ihm ein ganzer Ordner mit seinen Arbeiten vorgelegt. Mainstream-Karikaturisten sammeln Preise, staatliche Organe karikaturistische Vergehen. Die einen werden ausgezeichnet, die anderen bestraft. Anders ausgedrückt: Was Masztalerz in seiner Sieger-Arbeit als Szenario im Falle einer Regierungsübernahme durch die AfD in die Zukunft verlagert, ist bereits Realität. Da braucht man erst gar nicht abzuwarten. Die staatlichen Ordnungshüter kommen schon jetzt regelmäßig zu Hausdurchsuchungen vorbei, selbst nach harmlosen Posts auf X wie zuletzt bei dem Medienwissenschaftler Norbert Bolz. Sie tun es zwar ohne Armbinde, dafür aber auf Geheiß von Online-Meldestellen.

Auf den Regierungssitzen findet sich kein einziges AfD-Mitglied. Stattdessen thronen dort die Funktionäre der Altparteien, deren Arm tief in die Regularien von Preisverleihungen reicht. Nicht zufällig wurde im Jahr davor eine Arbeit ausgezeichnet, die vermeintliche Auswirkungen von Verschwörungstheorien beleuchtet. Im Jahr 2022, als der Ukraine-Krieg auf dem Schlachtfeld ausbrach, hatte jeder gute Chancen auf die Krönung, der den russischen Präsidenten durch den Kakao zog. Gesagt, getan! Prompt ging der Karikaturenpreis der deutschen Zeitungen an ein Werk mit dem schelmischen Titel „Putin privat“.

Preisverleihungen sind immer Politik mit anderen Mitteln. In ihnen drückt sich nicht nur Ideologie aus, sondern auch diskursive Macht. Doch die ist diffus und kann verschoben werden, beispielsweise mit Preisverleihungen im Bereich der Gegenöffentlichkeit. Dort hat sich in den letzten Jahren viel getan, keine Frage. Das Angebot an alternativen Medien, Talkformaten und Podcasts ist reichhaltig. Auch die Kunstszene hat sich mittlerweile ausdifferenziert. Was fehlt, sind Wettbewerbe und Preisverleihungen. Mit dem alljährlichen NuoVision-Songcontest lodert bislang eine einsame Flamme, die jedoch überspringen könnte, wenn Organisationen, Mäzene oder Kulturliebhaber in regelmäßigen Abständen Preise in anderen Kulturbereichen ausloben würden – für literarische Werke etwa, für journalistische Arbeit oder eben für Karikaturen. An Potential mangelt es nicht.

Eugen Zentner, Jahrgang 1979, ist Journalist, Sachbuchautor und Erzähler.

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Bildquellen: Piero Masztalerz 2019 auf der Frankfurter Buchmesse. Foto: picture alliance / Pacific Press | Michael Debets