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Interview | 10.01.2025
Politik von ganz unten
Ein Leipziger kandidiert für den Bundestag – ohne Partei. Den Bürgern seines Wahlkreises will er so wieder eine Stimme geben.
Text: Dieter Korbely und Beate Strehlitz
 
 

Am 23. Februar wird der nächste Bundestag gewählt. Viele trauen den Abgeordneten der Altparteien die Lösung der Probleme unseres Landes nicht mehr zu, da sie viel zu sehr in parteipolitische Grabenkämpfe verstrickt sind. Ein parteiloser Direktkandidat ist hingegen nur den Wählern seines Wahlbezirkes verpflichtet, er muss sich keiner Parteidisziplin unterwerfen. Im Leipziger Wahlkreis I, der die nördliche Hälfte der Stadt umfasst, hat Dr. Gunnar Busse sich mit mehr als 200 eingesammelten Unterstützer-Unterschriften seinen Platz auf dem Wahlzettel „ganz unten“ gesichert. Wir haben ihn nach seinen Motiven und Zielen gefragt.

Herr Dr. Busse, wie ist Ihr Berufsleben bisher gelaufen?

Geboren und aufgewachsen in Leipzig, habe ich hier auch meine Ausbildung als Galvaniseur mit Abitur gemacht. Es folgten 18 Monate Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee. Ich studierte zunächst Verfahrensingenieur in Merseburg und wechselte später an die TU Berlin bis zum Abschluss als Verfahrens- und Energietechniker. Danach habe ich auf dem Gebiet der Energietechnik promoviert. Parallel habe ich im Abendstudium den Abschluss eines Wirtschaftsingenieurs erlangt. Danach war ich fit für die Wirtschaft. Ich habe in den Bereichen Fahrzeugklimatisierung und Motorkühlung sowie autonomes Fahren gearbeitet, zuerst als Entwicklungsingenieur, später in leitenden Positionen. Ich war verantwortlich für die Serienentwicklung des weltweit ersten Laserscanners für das autonome Fahren. Fünf Jahre habe ich in den USA gearbeitet und den Aufbau eines Entwicklungszentrums in der Nähe von Detroit unterstützt. In den letzten fünf Jahren habe ich als Vice President in einem Unternehmen im Bereich Medizintechnik und Telekommunikation gearbeitet.

Warum haben Sie beschlossen, als Direktkandidat für den Bundestag zu kandidieren?

Bei mir selbst und in Gesprächen mit anderen Menschen nehme ich eine allgemeine Unzufriedenheit wahr. Bewusst habe ich mich deshalb für eine Kandidatur in meiner Heimatstadt entschlossen. Als parteiloser Direktkandidat bin ich nur meinen Wählern und meinem Gewissen verpflichtet, nicht einer Partei. Von den Regierungsparteien werden in unserem Land Dinge umgesetzt, die von vielen nicht mehr nachvollzogen werden können. Als Ingenieur und Naturwissenschaftler kann ich eine Reihe von Entscheidungen nicht mehr verstehen, wie zum Beispiel Bürgergeld, ausufernde Bürokratie oder Klimaschutz anstelle Umweltschutz. Die meisten Leute meckern nur und tun nichts, aber ich habe beschlossen, etwas zu tun. Ich sehe auch, dass gute Leute das Land verlassen. Das motiviert mich, Dinge zu verbessern, damit sie vielleicht bleiben oder wieder zurückkommen. Meine Motivation ist ganz klar darauf gerichtet, das Land voranzubringen. Ich denke, mit meiner Ausbildung und Erfahrung kann ich einen Beitrag dazu leisten.

Bildbeschreibung

Welche speziellen Kompetenzen bringen Sie mit?

Durch meine Ausbildung und Erfahrung habe ich gelernt, komplexe Probleme in der Tiefe zu erfassen, Lösungen strukturiert auszuarbeiten und diese dann konsequent – auch mit kritischem Blick auf die Kosten – umzusetzen. Die Kosten politischer Entscheidungen scheinen im Bundestag keine große Rolle mehr zu spielen, obwohl sie das Leben der Bürger immens beeinflussen. Meine Fähigkeiten und Fertigkeiten und meine Erfahrungen aus dem Bereich Technik kann ich auf die Lösung vieler Probleme unseres Landes übertragen. Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind mir wichtig. Ich möchte nichts versprechen, was ich nicht halten kann. Ich bin kontaktfreudig und offen für Neues. Mit anderen Menschen arbeite ich auf Augenhöhe und lösungsorientiert im Team zusammen. Ich kann als parteiloser Direktkandidat überparteilich arbeiten und dabei helfen, die mannigfache Spaltung der Gesellschaft zu überwinden.

Warum treten Sie keiner Partei bei?

Ich bin enttäuscht von den etablierten Parteien. Sie haben uns erst in die heutige Situation gebracht. Dinge sind versprochen und nicht gehalten worden. Wir stehen heute schlechter da als in der Vergangenheit, vor allem wirtschaftlich. In Deutschland sind weniger als ein Prozent der Bevölkerung in Parteien organisiert. Die Parteien nominieren aber die Kandidaten für den Bundestag. Das heißt, dass nur ein Prozent der Bevölkerung die Mitglieder des Bundestags auswählt! Diese müssen dann das jeweilige Parteiprogramm umsetzen, unabhängig von den individuellen Bedürfnissen der Bürger in ihren Wahlkreisen. Ich stehe für die Unabhängigkeit des Mandats, direkte Demokratie bei wichtigen Themen sowie kompetente Pflichterfüllung zum Wohle meines Wahlkreises. Ich verstehe mich als Volksvertreter, nicht als Politiker. Den Bürgern meines Wahlkreises möchte ich eine Stimme im Bundestag geben. Das kann ich am besten ohne Parteizugehörigkeit und Fraktionszwang.

Sie haben das Motto „Ganz unten“ für ihren Wahlkampf gewählt. Was hat es damit auf sich?

Das ist der Name einer bundesweiten Initiative parteiloser Direktkandidaten. Er bezieht sich auf die Platzierung auf dem Wahlzettel: Einzelkandidaten stehen ganz unten. Außerdem vertritt ein parteiloser Kandidat die Wählerinteressen von „ganz unten“, ohne sich einer Parteidisziplin unterwerfen zu müssen. In Deutschland gibt es 299 Wahlkreise und 630 Sitze im Bundestag. Wenn in jedem Wahlkreis der parteilose Direktkandidat gewinnt, hätten wir 47,5 Prozent der Stimmen im Parlament. Wenn die parteilosen Kandidaten sich vernetzen, besteht erstmalig die Chance, die Interessen der Bürger ohne Parteipolitik umzusetzen. Die Stimme des Volkes kehrt damit ins Parlament zurück. Theoretisch könnte der Bundestag auf 299 direkt gewählte Abgeordnete verkleinert werden, wenn die Wähler nur die Erststimme für einen parteilosen Kandidaten abgegeben würden, und die Parteien wären draußen.

Wie schätzen Sie Ihre Erfolgsaussichten ein?

Gut, denn viele Menschen in meinem Wahlkreis sind enttäuscht von den Regierungsparteien und erwarten zunächst mit der anstehenden Wahl keine Verbesserung. Wenn ich mich ihnen aber als parteiloser Kandidat vorstelle und meine Ziele erkläre, zeigen sie wieder Hoffnung. Die Hoffnung, dass die Stimme des Volkes wieder in den Bundestag zurückkehrt. Das ist für mich eine hohe Motivation. In meinem Wahlkreis mit rund 225.000 Wahlberechtigten benötige ich mindestens 45.000 Erst-Stimmen. So einfach ist das.

Was sind Ihre drei wichtigsten Ziele?

Ich möchte die Spaltung der Gesellschaft und die Gräben im Bundestag überwinden. Die wichtigsten Themen aus meinem Wahlkreis habe ich in Gesprächen herausgefunden:

Erstens: Frieden ist extrem wichtig. Die Menschen wollen eine Zukunft ohne Krieg, sie sind aber auf dem Weg dahin gespalten. Diplomatie muss Vorrang vor Granaten und Bomben haben. Unsere Regierung muss permanent im Gespräch mit allen Kriegsparteien sein, statt ausschließlich auf Aufrüstung zu setzen. 100 Milliarden Euro Sondervermögen der Bundeswehr bedeuten 327 Millionen Euro Schulden nur für meinen Wahlkreis! Von Deutschland soll Frieden ausgehen, so wie es im Grundgesetz steht. Ich möchte nicht, dass junge Menschen aus unseren Familien wieder auf Schlachtfeldern sterben.

Zweitens: Die Steuern müssen reduziert werden, um Netto-Einkünfte zu erhöhen. Eine Mindestlohn-Erhöhung ohne Anhebung des Steuerfreibetrags führt dazu, dass ein großer Teil der Einkommenserhöhung zurück an den Staat fließt. Deshalb muss die Erhöhung des Mindestlohns mit einer Anhebung des Steuerfreibetrags gekoppelt werden. Das hilft auch den Rentnern, schafft Anreize, vom Bürgergeld weg in Arbeit zu kommen, und baut Bürokratie in den Steuerbehörden ab. Soziale Spannungen werden entschärft und die Spaltung der Gesellschaft verringert. Das heißt aber auch: Staatsausgaben müssen drastisch reduziert werden!

Drittens: Bei wichtigen zukunftsträchtigen Entscheidungen müssen die Bürger ein Mitspracherecht haben. Direkte Demokratie durch bundesweite Volksentscheide und Volksbegehren nach dem Vorbild der Schweiz sind für mich ein sehr wichtiges Thema. Das verfolgt derzeit keine Partei. Beispielsweise sollte über die Stationierung von Mittelstreckenwaffen der USA auf deutschem Boden ein Volksentscheid her.

Was denken Sie über den derzeitigen Zustand von Wirtschaft, Gesundheit und Bildung in Deutschland?

In der Wirtschaft sehen wir einen hohen Frust, eine massive Abwanderung von Unternehmen und einen Rückgang der Investitionen. Hohe Kosten, fehlende Planbarkeit und die extreme Bürokratie tragen zum Verlust der Wirtschaftskraft bei. Für mich stehen die Unternehmen in meinem Wahlkreis ebenfalls im Mittelpunkt. Hier gilt es, gezielt den Gewerbetreibenden und Unternehmern zuzuhören und Kosten durch falsche Steuer- oder Energiepolitik auf den Prüfstand zu stellen. Dasselbe gilt für das Gesundheitswesen. Hier ist in den vergangenen Jahren viel privatisiert worden. Im Ergebnis sehen wir eine Kostenexplosion und seit 2025 schon wieder eine beträchtliche Erhöhung der Krankenkassenbeiträge. Ich möchte mit den Verantwortlichen in meinem Wahlkreis sprechen und Maßnahmen definieren, die sinnvoll sind und die medizinische Versorgung langfristig verbessern. Bildung ist eigentlich Ländersache, aber wir leisten uns auch ein Bundesministerium. Hier müssen Zuständigkeiten und Ziele im Konsens mit den Verantwortlichen klarer definiert werden. Es gilt, Bildungsangebote zu verbessern, unsinnige Kosten einzusparen und damit Staatsausgaben zu senken.

Sie haben die erforderlichen 200 Unterschriften bereits gesammelt, ein riesiger Erfolg. Wie kann man Sie weiter unterstützen?

Ich freue mich über das positive Feedback aus meinem Wahlkreis. Es gibt ein großes Interesse an parteilosen Kandidaten. Jetzt ist die Unterstützung durch die Medien erforderlich. Sie sollten das Potential der parteilosen Kandidaten erkennen und aufgreifen. Wir wollen die Stimme des Volkes im Bundestag sein. Deshalb müssen die parteilosen Kandidaten und ihre Ziele über die Medien bekannt gemacht werden.

Ohne zu pessimistisch zu sein – wie machen Sie weiter, wenn Sie nicht gewählt werden?

Ich werde gewählt! Keine Frage.

Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein.

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Bildquellen: Dr. Gunnar Busse