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Medien-Tresen | 26.09.2025
Ostdeutsche Allgemeine
Holger Friedrich will die Berliner Zeitung in den Osten bringen. Mit KI und möglicherweise gedruckt. Auf jeden Fall aber zwischen allen Stühlen.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Der traut sich was. Aber das wissen wir schon längst. Seit der IT-Unternehmer Holger Friedrich 2019 die Berliner Zeitung übernommen hat, wird es nicht langweilig. Jetzt also diese Nachricht: Der Verleger will expandieren und geht dafür in die fünf Landeshauptstädte im Osten. In einem ausführlichen Text, natürlich im eigenen Blatt, hat er diesen Schritt begründet. Das muss er tun, denn Friedrich richtet sich gegen jeden Trend, wieder einmal. Schließlich expandieren Zeitungshäuser heutzutage normalerweise höchstens, indem sie Konkurrenten aufkaufen. Die Medienlandschaft im Lokalen und Regionalen wird an immer mehr Standorten zum Monopol, in den ostdeutschen Bundesländern ist sie es fast überall seit Jahren. Und der Trend geht weg vom Gedruckten, hin zum Digitalen.

In mehreren Regionen gibt es keine gedruckten Tageszeitungen mehr, Tendenz steigend. Friedrich aber will seine neuen Produkte möglicherweise sogar drucken. Wenn genügend Abonnenten da sind, heißt es, werden die Dresdener, die Schweriner, die Magdeburger, die Potsdamer sowie die Erfurter Zeitung auch auf Papier zu lesen sein. Vorher soll es eine Ostdeutsche Allgemeine in gedruckter Form am Wochenende geben. Der entsprechende Wunsch sei insbesondere von Dresdener Bürgern gekommen, schreibt Friedrich. Genau dort soll das Projekt demnächst starten. Bevor wir uns am Medien-Tresen die Geschichte weiter anschauen, genehmigen wir uns deshalb erst einmal ein Radeberger Pilsener.

Holger Friedrich setzt sich mit dieser Ankündigung zwischen alle Stühle. Denn mit seinen Lokal- bzw. Regionalmedien greift er natürlich die örtlichen Blätter an, die allesamt von Eigentümern aus dem Westen verlegt werden. Friedrich selbst ist der einzige ostdeutsche Tageszeitungsverleger – das spielt auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung eine Rolle (oder nach dem Beitritt, nach dem Anschluss; wie Sie es gerne hätten). Denn der Westen fremdelt weiterhin mit dem Osten, und das gilt in ganz besonderem Maße für die Medien. So begründet Holger Friedrich seinen Schritt auch publizistisch und mit einer Breitseite gegen den (westdeutschen) Mainstream:

Auch hat die systematische Abwertung ostdeutscher Perspektiven trotz hehrer Worte des Bundespräsidenten Steinmeier, der diversen Ostbeauftragt:innen und des Baustarts eines Wiedervereinigungstempels in Halle keine Milderung erfahren. Süddeutsche, FAZ und Spiegel sind auch heute nicht in der Lage, in ihren Redaktionen soziologische, wirtschaftliche und kulturelle Differenzen im Osten Deutschlands aufzugreifen und angemessen zu berücksichtigen.

„Projekt Halle“ hat Friedrich seine Expansion genannt und sich damit auf das geplanten „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Transformation“ in der Stadt bezogen. Er will dem herrschenden Narrativ seinen breiten und oftmals oppositionellen Ansatz entgegensetzen:

Das Projekt „Halle“ ist der Versuch, der herabsetzenden Sicht auf Ostdeutschland in der Medienelite (alles Nazis oder Kommunisten, pfui!), der wachsenden Selbstbedienungsmentalität in politischen Strukturen (die Grüne Annalena Baerbock in New York) und dem Unvermögen der Politik, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern, ein unabhängiges, selbstbestimmtes Medium als Plattform für demokratische Meinungs- und Willensbildung entgegenzustellen. Als loyale Opposition, die den Mächtigen in Politik und Medien auf die Finger schaut, die Themen setzt und den Diskurs fördert, statt neue (Brand-)Mauern aufzubauen – was häufig nur geschieht, um persönliche Vorteile zu sichern.

Die Mittel, mit denen Friedrich die etablierten Lokalzeitungen angreift, sind relativ bescheiden. Die Rede ist von zwei bis drei Millionen Euro sowie einer Umschichtung anderer Gelder im einstelligen Millionenbereich. Es sollen drei bis vier Reporter vor Ort arbeiten, die Hilfe durch eine eigens programmierte KI bekommen. Diese soll Daten aus öffentlichen Quellen zusammenführen. Auf dieser Basis können die Reporter dann weiter arbeiten. Das klingt für den Lokaljournalisten schon deshalb interessant, weil die Recherche insbesondere in den vielen Vorlagen von Kreis-, Stadt- und Gemeindeparlamenten aufwendig ist. Gleichzeitig schlummern in solchen Vorlagen viele Themen, die aufgrund der Masse der Sitzungen und der abnehmenden Zahl an Journalisten kaum je journalistisch bearbeitet werden. Aber findet die KI die Themen? Abwarten. Auch „Bürgerjournalisten“ sollen ihre Texte einreichen, wie dies die Berliner Zeitung derzeit schon mit „Open Source“ praktiziert – was immer mal wieder die Mainstream-Medienkritik auf den Plan ruft.

Das ganze Projekt klingt erst einmal spannend, zumal die Berliner Zeitung in Kürze einen Chefredakteur haben wird, der wie Friedrich den Meinungskorridor des Mainstreams oftmals verlässt. Philippe Debionne, derzeit beim Nordkurier, hat im Mai auf einer Veranstaltung noch einmal deutlich die Kollegen kritisiert, die in der Corona-Zeit versagt haben. Debionne im O-Ton:

Es ist nicht unsere Aufgabe, die Menschen zu erziehen und ihnen zu sagen, wie sie Dinge zu bewerten haben.

An seiner Seite steht als Nachrichtenchef künftig Harald Neuber, der zuletzt als Chefredakteur von Telepolis mit der Abschaltung des Archivs in der Kritik stand, nach einem Rückzieher gegen alternative, oppositionelle Medien polemisierte und so wiederum deutlichen Widerspruch von Paul Schreyer erhielt.

Hier am Medien-Tresen bleibt uns nichts, als abzuwarten und anzuschauen, was aus dem Projekt wird. Mehr publizistische Perspektiven und Diskussionen abseits des Mainstreams schaden in keinem Fall. Auf der anderen Seite stößt das natürlich auch auf Kritik, wie sie vor einigen Wochen etwa in der taz zu lesen war. Immer wieder ist die Rede von einer angeblichen Schieflage, in der sich die Berliner Zeitung befinde.

Friedrich wolle, so sieht es das Verdi-Magazin Menschen Machen Medien, die aktuelle politische Lage zum Anlass nehmen, das wirtschaftlich angeschlagene Verlagshaus mittels einer Expansion in die ostdeutsche Gesellschaft zu stabilisieren. Die aktuelle politische Lage zum Anlass nehmen? Was implizieren die Kollegen? Keine Kritik in Zeiten der Kriegstüchtigkeit? Kritik und Krise vertragen sich nicht? In der ostdeutschen Gesellschaft darf nur publizieren, wer Westdeutsche im Rücken hat? Kritischer Journalismus tut jeder politischen Lage gut. Und Ostdeutschland auch, Westdeutschland übrigens um so mehr. Darauf noch ein Radeberger. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Arild Vågen, CC BY-SA 3.0