Ende Februar veröffentliche der bulgarische YouTuber Martin Petrushev auf seinem Kanal „Rationaler Widerstand“ ein Interview mit Jordan Peterson, geführt bei einer Veranstaltung der Alliance for Responsible Citizenship (ARC) in London. Der kanadische Psychologe, Autor von „12 Rules for Life. Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“ (2021) und „Konservatives Manifest“ (2023), ist Mitbegründer des bürgerlich-konservativen Kreisen zugerechneten britischen Unternehmens ARC. In dem Interview sagt Peterson, er hoffe und glaube, dass die Osteuropäer, inklusive die Balkan-Region, führend sein werden bei der Wiederbelebung des Westens. Peterson sieht die Zukunft Europas im Osten. Auf seinen Reisen durch die Region habe er eine echte Wertschätzung westlicher Werte feststellen können. Osteuropäer hätten ein besseres Verständnis für alle wesentlichen Dinge als Westeuropäer.
Für viele mag sich Petersons Aussage übertrieben oder schräg anhören. Vor Corona, als ich noch permanent in Berlin lebte und nur meinen Urlaub in Bulgarien verbrachte, habe ich ähnlich gedacht. Seit 2020 verbringe ich immer mehr Zeit im Herkunftsland meines Vaters und kann das Leben hier besser mit dem in Berlin vergleichen. Und da komme ich zu dem Schluss, dass an Peterson Aussage etwas dran ist. Was genau, darum geht es in diesem Text.
Im Mittelpunkt meiner Betrachtung soll die Corona-Zeit stehen, und das aus mehreren Gründen. Bereits im April 2020 verlor ich meine Arbeit als Taxifahrer. Als Maskenbefreiter war ich in Berlin permanent Beleidigungen, Mobbing und Bedrohungen ausgesetzt. Auch in meinen erlernten Beruf, ich bin examinierter Krankenpfleger, konnte ich irgendwann aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht mehr zurück. Bevor ich mich als Ungeimpfter vom öffentlichen Leben ausschließen lasse, zog ich es vor, mich in den Schluchten des Balkans in Sicherheit zu bringen.
Der Blick von außen auf das eigene Land kann hilfreich sein, das ist bekannt. Für Bulgarien trifft dies im besonderen Maße zu. Denn in dem EU- und Nato-Mitgliedsland am Rande unseres Kontinents ist nicht nur vieles anders, sondern manches ganz und gar umgedreht. Bestes Beispiel und wichtig für alle Bulgarien-Reisenden sind die Kopfbewegungen beim Ja- und Nein-Sagen. Schüttelt der Deutsche den Kopf, meint er Nein. Wenn der Bulgare seinen Kopf schüttelt (eigentlich ist es ein Kopfwiegen), meint er Ja, allerdings nicht im deutschen Sinne: „Ja, du hast Recht!“, sondern eher: „Du, ich versteh dich!“.
Viele Bulgaren verstehen bis heute nicht, wie man im Westen allgemein, aber insbesondere in Deutschland auf das Corona-Virus reagiert hat. Bester Beweis hierfür ist die Impfquote. Die liegt in Bulgarien offiziell nur bei knapp über 30 Prozent. In Deutschland sind es fast 80. In Bulgarien haben sich nicht wenige die Impfung „gekauft“. Auch ich wurde gefragt, ob ich das möchte. Der Preis dafür lag zunächst bei 150 Euro und stieg dann auf das Doppelte. Ich habe mich dagegen entschieden, denn ich wollte gar nicht erst mit dem Impfen anfangen, nicht mal zum Schein. Bei manchem soll sogar der Arbeitgeber dafür bezahlt haben, wenn er seine Mitarbeiter nicht verlieren wollte. Auch in Deutschland sollen sich Menschen die Impfung „gekauft“ haben, so habe ich es zumindest gehört. In Bulgarien wurde darüber, anders als in Deutschland, ganz offen gesprochen. In Deutschland ist dieses Thema bis heute ein Tabu, wie Corona insgesamt. Im Falle Bulgariens kann man davon ausgehen, dass die wirkliche Impfquote irgendwo zwischen 20 und 25 Prozent liegt, also ziemlich genau das Gegenteil von Deutschland. Mit anderen Worten: Acht von zehn Bulgaren haben sich nicht impfen lassen. In meinem Dorf sind laut meinem Bürgermeister, der selbst ungeimpft ist, sogar nur 10 Prozent „vakziniert“, wenn überhaupt.
Das hat Auswirkungen auf meinen Alltag. Ich muss mir hier nicht überlegen, mit wem ich über welches Thema sprechen kann. In der Heimat bin ich vorsichtig geworden, höre genau auf die Zwischentöne und auch auf das, was nicht gesagt wird, was unausgesprochen bleibt. Da ich immer weniger Zeit in Deutschland verbringe, bin ich neulich sogar einer Internet-Plattform für Ungeimpfte beigetreten. Einfach, um Menschen kennenzulernen, mit denen ich mich, wenn ich in Berlin bin, offen und ohne Tabus unterhalten kann. In Bulgarien ist es kein Problem, mit Menschen über das Thema Corona ins Gespräch zu kommen. Acht von zehn Bulgaren sagen, dass sie von Anfang an nicht an das Corona-Narrativ geglaubt haben. Ich selbst habe oft diese Erfahrung gemacht und mache sie bis heute. Unter den zahlreichen Menschen, mit denen ich gesprochen habe, ist unter anderem eine Person, die für die US-Botschaft in Sofia arbeitet. Weiterhin eine Bulgarin, die in Madrid Jura studiert und einige Zeit in Thailand gelebt hat; eine Rechtsanwältin, die für eine italienische Firma arbeitet und eine Projekt-Managerin, die wegen Corona aus Irland zurückgekehrt ist, ein Land, das sie als „Corona-Knast“ bezeichnet. Kürzlich unterhielt ich mich mit einer Sinologin, die auch schon in China gelebt hat. Sie alle sagen unisono: Corona ist eine Lüge.
Im Gegensatz zu Deutschland sind die Themen Corona und Corona-Impfung in Bulgarien kein Tabu und waren es auch zu keinem Zeitpunkt. Um dies zu bemerken, reicht es aus, mit offenen Augen durch Sofia zu laufen. Ein Graffito bestätigt das gerade Beschriebene. Covid sei eine Lüge. Ein Berlin ein Unding. Es wäre innerhalb kürzester Zeit übersprüht worden. Ähnlich würde es sich vermutlich mit der Behauptung verhalten, dass der Bulgare vom Rauchen und nicht von Covid hustet. Ein Plakat, das bis heute in der Graf-Ignatiev-Straße zu sehen ist, zeigt den Freiheitskämpfer Wassil Levski mit einer Maske. Darunter steht: „Wäre ich wie du, wäre hier noch Türkei.“ Gemeint ist das Osmanische Reich. Ein rotes Plakat, das für kostenlose Impfungen für Schüler wirbt, hatte es dagegen nicht leicht. Ähnlich wie in Berlin, nur umgedreht. Hier wurden Corona-kritische Plakate umgehend entfernt. Wobei in der deutschen Hauptstadt auch beim Abreißen von Plakaten ganze Arbeit geleistet wurde. Es blieben in aller Regel nur Fetzen kleben, die im Gegensatz zum Plakat in Sofia nicht mehr zu entziffern waren.
Ich erinnere mich an einen Corona-kritischen Beitrag in dem von mir geschätzten Bordmagazin der bulgarischen Fluggesellschaft Bulgaria Air Anfang 2022 mit dem Titel „The virus that killed science“ und dem Untertitel „The scientific method has succeded in overcoming religion and prejudice. But it seems to give way to Covid-19.“ Deutsch: „Das Virus, das die Wissenschaft tötete. Die wissenschaftliche Methode hat es geschafft, Religion und Vorurteile zu überwinden. Aber sie scheint Covid-19 zu weichen.“ Anders in Deutschland, wo die Formel „Folge der Wissenschaft“ galt und mehr oder weniger bis heute gilt. Und das, obwohl spätestens seit der Veröffentlichung der RKI-Protokolle jeder wissen kann, dass die Wissenschaft nur allzu oft der Politik gefolgt ist.
Folgende Erfahrung, die ich in Bulgarien machen durfte, ist für mich bezeichnend für den gesunden Menschenverstand, ich würde sogar so weit gehen zu sagen: für die Herzensbildung der Bulgaren. Es war mitten in der Corona-Zeit, und ich brauchte eine externe Festplatte. Als Ungeimpfter ohne Test durfte ich offiziell den Technikmarkt nicht betreten, weswegen ich eine Passantin ansprach, um sie mit meinem Einkauf zu beauftragen. Das sah eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma, die mich daraufhin kurzerhand in den Markt winkte. Ich konnte mir selbst meine Festplatte aussuchen, ohne Test und auch ohne Impfung. In Deutschland hätte man die Frau vermutlich entlassen. Nicht so in Bulgarien, ich habe sie neulich wiedergesehen. Sie arbeitet immer noch im Technikmarkt.
Viele Bulgaren verstehen Deutschland nicht mehr. Die Deutschen und alles Deutsche hatten nicht nur bei meinem Vater ein hohes Ansehen, sondern auch bei den allermeisten Bulgaren. Diese Zeit scheint vorbei zu sein. In Deutschland würde man in einer solchen Situation den Kopf schütteln. In Bulgarien geht das nicht. Das Kopfwiegen, meint ja: „Du, ich versteht Dich!“ Angesichts der beschriebenen Erfahrungen in Bulgarien kann ich den Aussagen Jordan Peterson nur zustimmen. Auch ich sehe die Zukunft Europas im Osten. Ich mache dies auch an den RKI-Protokollen fest, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Bulgarien weitgehend unbekannt sind. Dass sie in Bulgarien kaum jemand kennt, ist keine Überraschung. Das Robert Koch-Insitut ist eine deutsche und keine bulgarische Behörde. Und warum sollten die Bulgaren sie kennen, wenn für die allermeisten Corona sowieso eine Lüge war? Dass in Deutschland mit seiner hohen Impfquote kaum jemand die RKI-Protokolle kennt, so wie ich es bei meinen Besuchen in der Heimat immer wieder feststellen musste, das halte ich dagegen für tragisch.
Berichte, Interviews, Analysen
Freie Akademie für Medien & Journalismus