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Bericht | 02.12.2025
Mechanismen der Angst
Nicol Adler entlarvt die Macht der Angst: Ein Vortrag über ein Instrument der Politik sowie Verantwortung und Hoffnung in turbulenten Zeiten.
Text: Bastian A. Werner
 
 

Freiheit und gesellschaftlicher Krisenmodus

Ich bin Jahrgang 1968. Im Herbst 1989 diente ich in der Bundeswehr und erlebte eine Welt im Wandel. Die Berliner Mauer fiel, die Sowjetunion öffnete sich unter Gorbatschow, und plötzlich schien alles möglich. Russland war nicht mehr der Feind; Gorbatschow galt als Hoffnungsträger und Freund. Wir sprachen vom „Ende der Geschichte“ und einer Friedensdividende – dem Versprechen, die Früchte des Friedens zu ernten und Mittel von der Rüstung in Bildung und Soziales zu lenken. Kurzzeitig träumten wir von einem Zeitalter der Stabilität und des Friedens.

Doch nun, 36 Jahre später. Die Gesellschaft steckt im dauerhaften Krisenmodus, geprägt von diffusen und konkreten Ängsten: vor Corona und Impfungen, staatlichen Maßnahmen, Klimawandel, Blackouts, sozialer Spaltung, Altersarmut, Russland, Krieg, der AfD, Inflation, wirtschaftlichem Abstieg, Arbeitsplatzverlust und Deindustrialisierung – und ich meine, mit meiner Liste immer noch nicht durch zu sein.

Diese Ängste durchziehen den öffentlichen Diskurs, ohne Lösung in Sicht. All das brachte ich zum Vortrag von Nicol Adler mit. Meine Biografie, die gesellschaftlichen Hintergründe. Meine Erwartung war hoch. Schon wieder ein Vortrag, der einiges benennt und vieles an Heilung oder Hoffnung verspricht? Wie werden Adlers Aussagen in diesem Kontext resonieren?

Bildbeschreibung

Mit eindringlicher Stimme und unbequemen Wahrheiten steht Nicol Adler auf der Bühne des Friedensfestivals Pax Terra Musica 2025. Von Anfang an schlägt sie in ihrem Vortrag „Machtinstrument Angst“ einen engagierten, warnenden Ton an. Und Adler weiß, wovon sie spricht. Sie ist Diplom-Psychologin mit Uni-Abschluss und Beraterin im Krisenmanagement und Marketingexpertin. Und sie ist Kriegsenkelin und spricht als solche mit spürbarer Empörung über die bewusste Erzeugung von Angst in unserer Gesellschaft. Dabei mischt sie sachliches Wissen mit persönlicher Betroffenheit: Mal doziert sie über Hirnstrukturen, mal appelliert sie wie eine Aktivistin an das Publikum. Der Grundton ist unverkennbar: alarmiert, aufrüttelnd, solidarisch. Man hört eine Frau, die wachrütteln will – aber ohne Panikmache, vielmehr mit dem Anliegen, Verständnis und Eigenverantwortung in Sachen Angst zu fördern. Sie will Wissen vermitteln, damit Machthaber ihr „Machtinstrument Angst“ nicht unbemerkt einsetzen können.

Wahrheit in der gesellschaftlichen Angstdebatte?

Adler sucht die Wahrheit hinter der allgegenwärtigen Angst, indem sie Bekanntes neu zusammenfügt. Sie stützt sich auf wissenschaftliche Fakten (etwa neurobiologische Grundlagen der Angst im Stammhirn) und historische Erfahrungen (die Kriegstraumata ihrer Familie). Wahrheit in der Angstdebatte misst sie vor allem an der Authentizität der Erfahrung und der Aufrichtigkeit gegenüber Machtstrukturen. Am Beginn steht eine provokante Frage:

Warum war wohl das Singen in Kirchen während Corona-Zeiten verboten?

Antwort: „Wenn man singt, hat man keine Angst. Und sie wollten uns unbedingt in der Angst halten.“

Für Adler liegt Wahrheitsfindung darin, solche Muster der Manipulation offenzulegen. Sie prüft politische Angsterzählungen nicht an offiziellen Verlautbarungen, sondern an deren psychologischer Wirkung: Eine Botschaft, die lähmt und erschöpft, ist für sie per se verdächtig. Statt blindem Vertrauen in die Medien oder in eine Regierung fordert sie implizit einen Realitätscheck durch das eigene Erleben und den Vergleich mit historischen Mustern. Wahr ist demnach, was Angst abbaut und Erkenntnis fördert, während das Vorsätzliche Schüren von Ohnmacht für sie das Kennzeichen von Unwahrhaftigkeit ist. Indem Adler Fakten zum Beispiel aus der Neurologie oder der Chronologie der Ereignisse mit subjektivem Empfinden verknüpft, erhebt sie Anspruch auf eine Wahrheit jenseits der offiziellen Narrative – eine Wahrheit, die sich im Durchschauen und Offenlegen von Angst-Mechanismen zeigt.

Handlungsethik und Verantwortung

Handlungsethisch ruft Adler zu nichts Geringerem auf als zu Widerstand gegen die Angstherrschaft. Sie vermittelt ein Rüstzeug für jeden Einzelnen, Verantwortung für die eigenen Angstreaktionen zu übernehmen. Konkret stellt sie fünf mögliche Reaktionen auf „gemachte Angst“ vor – von Flucht und Lähmung über Kampf und Abwarten bis zur trotzigen Ignoranz („So what?“).

Verantwortung beginnt für sie beim Individuum: Wir sollen erkennen, wann jemand – ob Autoritätsperson, Arbeitgeber oder Politiker – versucht, uns mit Angst gefügig zu machen. Adlers Verantwortungsbegriff ist dabei dezidiert mündig: Jeder soll bewusst entscheiden, ob er sich von Angst lenken lässt oder nicht. Sie betont allerdings auch die Verantwortung der Mächtigen. Ihr Vortrag klagt an, dass Regierungen Angst gezielt als Herrschaftsmittel einsetzen – etwa durch Medienkampagnen und das „Primat der Politik“ in Redaktionen oder in der Bundeswehr. Implizit fordert sie hier eine ethische Verantwortung des Regierungsapparates: Wer über Krieg entscheidet, sollte dessen Grauen am eigenen Leib erfahren haben, bevor er die Bevölkerung in Panik versetzt. Adler appelliert an ein Verantwortungsbewusstsein, das auf Wahrheit und Menschlichkeit fußt: Verantwortung heißt für sie, sich nicht von Angst überwältigen zu lassen, sondern mutig Selbstverantwortung, Respekt und Solidarität zu praktizieren, gerade wenn die politische Rhetorik die Bevölkerung in Starre bzw. Untätigkeit halten möchte.

Hoffnungshorizonte – trotz allem?

Trotz des beunruhigenden Inhalts lässt Adler einen hoffnungsvollen Horizont erkennbar werden: Angst ist zwar mächtig, aber nicht unbesiegbar. Ihr Vortrag ist letztlich ein Empowerment-Versuch. Indem sie die Mechanismen der Angststeuerung offenlegt – etwa die „Dauerschleife von Schockmeldung, Lähmung, Erschöpfung“, in der viele seit Jahren festhängen –, zeigt sie auch Wege hinaus. Hoffnung liegt für Adler im Wissen: Wer versteht, was mit ihm gemacht wird, kann sich dem entziehen. So ermutigt sie die Zuhörer, nicht auf dem „Schachbrett des Krieges“ die zugewiesenen Rollen zu spielen.

Konkrete kleine Horizonte öffnen sich in Gemeinschaft und Kommunikation: Adler berichtet von vollbesetzten Workshops, von Menschen, die Ängste teilen, diskutieren und dadurch überwinden. Auch die Friedensbewegung selbst – das Festival, auf dem sie spricht – verkörpert einen solchen Hoffnungsschimmer: Man ist nicht allein mit seiner Furcht. Ihr Hinweis, man könne anderen einfach anbieten: „Ich bin für dich da. Ich halte das aus mit dir“, skizziert eine solidarische Kultur gegen die Angst. Und schließlich klingt Hoffnung in Adler persönlichem Erbe an: Die Generation der Kriegskinder hat überlebt und mahnte zur Wachsamkeit – diese Warnung aufzunehmen, sieht Adler als Chance, Schlimmeres abzuwenden. Kurz: Der Vortrag erweitert den persönlichen Horizont. Aufklärung, Empathie und friedlicher Widerstand sind auch in dunklen Zeiten möglich.

Monster unter unseren Betten

Adlers humanistisches Menschenbild ist gleichermaßen warnend wie zutraulich. Einerseits beschreibt sie den Menschen als anfällig: biologisch mit einem „Reptilienhirn“ ausgestattet und psychologisch leicht in Panik zu versetzen, neigt er in der Masse zu Lähmung oder irrationalem Verhalten. Sie schildert, wie jedes Kind früh erfährt, dass Angst ein Herrschaftsmittel sein kann – ob das „Monster unterm Bett“ oder strenge Eltern: Menschen lassen sich durch Angst steuern. Andererseits betont sie die mündige, mutige Seite der Menschen. Kinder lernen, den Monstern mit der Taschenlampe mutig ins Gesicht zu leuchten, und gewinnen dadurch Selbstwert.

Ebenso traut Adler Erwachsenen zu, Angst durchschauen und bewältigen zu können. Ihr Menschenbild ist das eines autonom denkenden Wesens, das jedoch seine Freiheit immer wieder aktiv verteidigen muss. Sie sieht uns als Wesen, die grundsätzlich nach Frieden streben. Würde man Politikern echte Kriegserfahrung zumuten, „dann möchten sie keine Kriege mehr“, resümiert sie. Im Kern glaubt Adler an den vernunftbegabten Menschen, der, sobald er nicht mehr in dauernder Angst gefangen ist, zu Mitgefühl, zu einem Sinn für Gemeinschaft und zu Widerstand gegen Unrecht fähig ist. Dieses positive Menschenbild schimmert durch jede Warnung hindurch: Ja, Menschen können manipuliert werden, aber sie können sich auch wehren, mit ihrem Herz, mit ihrem Verstand und mit ihrem Wahrhaftigkeitsvertrauen auf ihre eigene Wahrnehmung.

Angst und die Psychologie der Massen

In der Literatur zu Angst, Propaganda und Massenpsychologie ist viel Vorarbeit geleistet: Klassiker wie Gustave Le Bon und Begründer der Propaganda-Forschung wie Edward Bernays lieferten die Grundlage. Le Bon zeigte schon 1895, dass der Einzelne in der Masse leichtgläubig wird und Verstand und Urteilsfähigkeit einbüßt – Emotion und Bilder dominieren über Fakten. Bernays wiederum, Neffe von Freud, beschrieb 1928 unverblümt die bewusste Manipulation der Massen als notwendig und unvermeidlich:

Propaganda is the executive arm of the invisible government.

Die unsichtbare Regierung, die die Fäden zieht. Moderne Denker haben diese Fäden weiterverfolgt. Hannah Arendt analysierte, wie totalitäre Führer eine Atmosphäre extremer Angst und Lüge schaffen: Die Leute glauben das Schlimmste – und wenn die Lüge auffliegt, verfallen sie nicht etwa der Wahrheit, sondern zynisch der nächsten Lüge, ja bewundern noch die Cleverness der Lügner. Der belgische Psychologe Mattias Desmet prägte in der Corona-Zeit den Begriff Massenbildung: Ein isoliertes, ängstliches, frustriertes Publikum sehnt sich nach neuem Gemeinschaftsgefühl – perfekter Nährboden für kollektive Hypnose. In Deutschland schließlich warnte Rainer Mausfeld, dass neoliberale Eliten systematisch gesellschaftliche Ängste schüren, um die Bevölkerung zu steuern – perfider noch als klassische Meinungsmache. Im Mainstream-Feld ergeben sich so drei Leitmotive:

  • erstens Angst als mächtiger Hebel zur Massenbeeinflussung,
  • zweitens Propaganda als Technik, die Wahrnehmung der Massen zu formen, und
  • drittens die psychische Dynamik von Gruppen, die in Unsicherheit nach Autorität suchen. Meist werden diese Phänomene getrennt betrachtet – entweder psychologisch oder politisch.

Nicol Adlers Alleinstellungsmerkmal liegt in der ganzheitlichen Verknüpfung dieser Ebenen in einem einzigen Vortrag. Sie verbindet neuropsychologische Fakten (Angstzentrum, Lähmungsreaktionen) mit aktueller Politik (von der Chronologie der Pandemie bis zu den aktuellen Nato-Übungen) und ihrer persönlicher Geschichte. Diese verschiedenen Disziplinen – von der Biologie über die Psychologie bis hin zur aktuellen Zeitgeschichte – verdichtet sie zu einem leidenschaftlichen Appell. Formell ist der Vortrag keine trockene Theorie, sondern eine Mischung aus Unterricht und ungeschönter Analyse, gespickt mit plastischen Bildern (etwa: Schockstarre gegenüber Nachrichten). Adler liefert keine neue Theorie – aber sie liefert Nachvollziehbarkeit: Ihre Stärke ist das Übersetzen komplexer Zusammenhänge in ein für Laien greifbares Gesamtbild im Hier und Jetzt. Wo andere Autoren Bücher voller Abstraktion schreiben, präsentiert Adler live einen Weckruf: So funktioniert Angst-Propaganda – und so könnt ihr euch dagegen wappnen. Diese unmittelbare Ansprache und Aktualität machen ihren Vortrag einzigartig im Feld.

Langanhaltender Applaus, viele Diskussionen danach und ein gut besuchter Workshop belegten, dass Nicol Adler ihr Publikum nicht nur mitgenommen, sondern mit seinen Sorgen und Ängsten auch nicht allein gelassen hat. Adler stand den Fragen des Publikums sogar länger zur Verfügung als für den Vortrag selbst.

Der unbequeme Weckruf gegen Angst als Waffe

Der Vortrag ließ mich nachdenklich, aber nicht mutlos zurück. Ich ging mit vielen Gedanken heim, aber auch mit dem Gefühl, dass das etwas mit mir gemacht hatte. Nicol Adler brachte mein 21-jähriges Ich von 1989 und mein heutiges Ich in ein Gespräch. Da stehen sie nun, der junge Bastian voller idealistischer Erwartung und der lebenserfahrene „Mittfünfziger Bastian“ mit seinen Sorgenfalten. Beide nicken sich zu. Hoffnung und Angst haben beide, aber keiner darf das Steuer übernehmen. Die Welt mag komplexer geworden sein, doch wir Menschen können immer wieder neue Antworten finden. Diese Erkenntnis mag banal klingen, doch Adlers Vortrag füllte sie mit neuem Leben. Am Ende war ich dankbar: Dankbar, dass jemand die diffuse Lage unserer Gegenwart so feinfühlig auf den Punkt brachte, ohne Anklagen oder Polemik. Dankbar, dass ich mich in meinen Erfahrungen ernstgenommen fühlte. Und dankbar für die Zuversicht, die zwischen den analytischen Zeilen hindurchschimmerte.

Ja, Adler liefert einen Weckruf gegen die Angst als Waffe. Ihr Vortrag ist unbequem, aber wichtig – eine Mischung aus Psychologie-Lehrstunde und politischem Mutmacher. Wer zuhört, spürt: Hier spricht jemand, der die Angst-Dynamik durchschaut hat und uns zuruft, es ihr gleichzutun. Denn Angst wird gemacht, verstärkt und verwaltet und immer weiter verfeinert. Wer die Muster kennt und erkennt, der hält stand.

Wer Distanz übt, lässt sich seinen Verstand nicht rauben, behält so die Kontrolle über seine Gedanken und sein Dasein. Dieser Vortrag wappnet dafür – schlicht, konkret und als Rüstzeug für den weiteren Lebensweg zum Mitnehmen. Empfehlenswert für alle, die den Umgang mit Angst in Politik und Medien analytisch verstehen wollen: Friedensaktivisten, Medienkritiker, Psychologieinteressierte, alle Menschen, die sich vom Ohnmachtsgefühl lösen und hinter die Kulissen der Angstmache blicken möchten. Und nicht zuletzt diejenigen, die eine ermutigende und eigenständige Perspektive in schwierigen Zeiten suchen, mutig und wahrhaftig für Freiheit, Frieden, Selbstbestimmung und Völkerverständigung einstehen.

Bastian A. Werner hat im März 2025 am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

Kontakt zu Nicol Adler: nicol.m.adler@gmx.de

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