A54a4b29637223d12314f7ff266f9d39
Buch-Tresen | 04.12.2025
Lob von Katarina Witt
Diether Dehm schreibt einen Roman über die anderthalb Nachkriegsjahrzehnte, der als Blaupause für das Hier und Jetzt gelesen werden kann.
Text: Michael Meyen
 
 

Katarina Witt war schneller. Schöner sowieso. Superstars dürfen alles heißt eine neue Rubrik in der fast noch neuen Weltbühne. Also darf die Eisprinzessin auch Diether Dehm besprechen, einst ihr Medienberater und nun verlässlicher Freund, wie sie gleich im ersten Absatz mitteilt. Im zweiten folgt ein guter Punkt: Der Roman Rebecca hat offenbar das Zeug, das Land zu einen. Kati Witt jedenfalls hat Lob in ganz verschiedenen Ecken gefunden. Hitradio FFH und Fuldaer Zeitung, UZ und Nachdenkseiten. Hessen, die DKP und Willy Brandts Erben. Alle mehr oder weniger so Dehm-nah wie die Rezensentin, aber immerhin.

Damit sind wir bei der Crux von jeder Buchbesprechung. Was macht man, wenn man den Autor mag und sein Anliegen teilt, aber trotzdem nicht mit jeder Pore mitgehen kann? Wie viel Kritik ist unter Freunden möglich, ohne dass die Freundschaft leidet? Kati Witt hat das so elegant gelöst wie einst in jeder großen Kür. Ja zum Plot, zu dem auch die Arroganz des Westens gegenüber dem Osten gehört, und ja zur Liebe von Otto und Helene. Eine richtig schöne Geschichte mitten aus dem Leben, so wie sonst im Kino.

Ich komme gleich zu diesen Stärken, will aber vorher gestehen, dass mich dieser Roman auch geärgert hat. Wahrscheinlich sollte es schnell gehen. In der Fußballsprache: Der Ball lag auf dem Punkt und musste ins Tor. Das ist okay, aber der Stoff hätte ein wenig mehr Mühe verdient gehabt. Dialoge, Szenen, Figuren: Da ist genauso Luft nach oben wie bei der Wortwahl und beim Rhythmus, den jede gute Geschichte braucht. Ich belasse es bei einem Beispiel, damit die Kritik am Dichter Diether Dehm hier nicht im luftleeren Raum stehen bleibt:

Vom warmen Schmunzeln des Hermann Josef Abs, der angelehnt bis in die Halswirbel an die hohe Lederlehne im breitohrigen Sessel thronte, troff die Ruhe selbst, als er die Herren im noblen Clubraum der Deutschen Bank begrüßte. (S. 395)

Amen. Warum ich trotzdem zu Ende gelesen haben, 630 Seiten immerhin? Abs, natürlich. Dazu die Krupps, Lucius Clay und Emil Carlebach, wenn auch nur in einer Nebenrolle. Im Frankfurt der späten 1940er und frühen 1950er wird die Bundesrepublik geformt und damit auch das, was wir heute haben. Hier wachsen Politik, großes Geld und Geheimdienste – drei Pflanzen, die Wurzeln im Nationalsozialismus haben, das gern kaschieren wollen und einander dafür brauchen wie Licht und eine Prise US-Dünger.

Bildbeschreibung Bild: Mercedes 190 SL, im Volksmund Nitribitt-Mercedes. Rosemarie fuhr ein solches Auto von 1956 bis zu ihrem Tod. Foto: Chris Phutully, CC BY 2.0

Diether Dehm war dabei, wie man als Knirps dabei sein kann, und spielt in seinem Roman sogar mit – unter dem Namen Rudolf, Sohn eines Arbeiters, der an der Front war und als Verteidiger beim FSV eine Nummer ist, sowie einer Schönheitskönigin aus besserem Hause. Helene, Ottos Liebe. Dagegen ist nichts zu sagen. In Zeiten des abnehmenden Lichts, die Geschichte vom Abstieg einer Kommunistenfamilie, war so nur möglich, weil Eugen Ruge wusste, worüber er schreibt. Diether Dehm mochte seinen Vater (zumindest sagt er das im letzten Kapitel so) und hat mit ihm den Heimkehrern ein Denkmal gesetzt, Männern, die noch jung, aber trotzdem steinalt waren und sich auch deshalb nicht entscheiden konnten zwischen den Lagern, weil sie wussten, was die anderen vorher gemacht hatten. Dieser Otto Hermann, Autoschlosser und redlich durch und durch, ist ein Mensch aus Fleisch und Blut.

Das Arbeitermilieu am Bornheimer Hang dient Diether Dehm aber genau wie der FSV-Sportplatz nur als Staffage. Er will den Fall Nitribitt neu erzählen – den größten Skandal der jungen Bundesrepublik, in den seine Eltern am Rand verwickelt waren und der sich so perfekt eignet, um die Welten miteinander zu verbinden und Insiderwissen einzustreuen. Man könnte meinen, dass das tatsächlich nur in einem Roman geht, aber Dehm nennt Ross und Reiter beim Namen und schildert sogar einen Prostituiertenbesuch von Ludwig Erhard, bei dem ein Dokument verlorengeht, das die Deutsche Bank und Auschwitz zusammenbringt.

Ich erzähle das, um die Fallhöhe zu umreißen, auf die sich der Politiker und Analytiker Diether Dehm begibt. Es geht buchstäblich ums große Ganze. Prostitution und Erpressbarkeit, History Washing im Auftrag des Kapitals und US-Steuerleute im Hintergrund, die Keimzellen von Verfassungsschutz und BND sowie eine Presse, die fast nach Belieben gelenkt und in Angst gehalten werden kann, weil die Kriegskassen für mögliche Prozesse bei der Industrie gut gefüllt sind. Das Mädchen Rosemarie, Kassenschlager von 1958 mit Nadja Tiller, Mario Adorf und Gerd Fröbe, ist gegen diesen Roman eine heitere Provinzposse, die Macht eher tarnt als aufdeckt.

Bildbeschreibung Bild: Grab auf dem Düsseldorfer Nordfriedhof. Foto: Bernd Bruns, CC BY-SA 3.0

Wie schon gesagt: Diether Dehm, geboren 1950, war klein, als all das passiert ist. Er hat aber die Milieus studieren dürfen, um die es hier geht – als Unternehmer, als Millionär (Tausendmal berührt), als Bundestagsabgeordneter. Es gab Stasidebatten um seine Person, und er selbst hat zum Beispiel Journalisten vorgeworfen, bei den Diensten auf der Gehaltsliste zu stehen. Das heißt: Er weiß, wie Politik und Öffentlichkeit formatiert werden. Er kann sich auf Forscher wie Klaus-Dietmar Henke stützen, der in einem feinen Buch gezeigt hat, wie Adenauer von BND-Leuten über alles ins Bild gesetzt wurde, was in der SPD-Spitze um Ollenhauer, Erler und Wehner diskutiert wurde. Jemand wie Diether Dehm kann außerdem sagen, dass die Krupps ihren Konzern in eine Stiftung umwandeln wollten, um die Vergangenheit loszuwerden (S. 401), dass Churchill am liebsten mit den „letzten Kräften der Wehrmacht“ und „den Amis“ nach „Moskau durchmarschiert“ wäre (S. 475) und dass es Unterhändler gab, die in Israel um „Freisprechungen für deutsche Politiker“ buhlten (S. 488). Wenn Superstars wie Kati Witt schon alles dürfen: Diether Dehm darf das erst recht.

Bildbeschreibung

Diether Dehm: Rebecca. Aufstieg und Niedertracht 1. Berlin: Das Neue Berlin 2025, 632 Seiten, 28 Euro.

Buch-Tresen

Kurse

Unterstützen

Newsletter: Anmeldung über Pareto

Bildquellen: Frankfurter Skyline 2025. Foto: Christian Wolf (www.c-w-design.de), CC BY-SA 3.0