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Buch-Tresen | 05.06.2025
Lichtung und Vagheit
Journalistische Berichterstattung aus ethischer und erkenntnistheoretischer Sicht: Ludwig Wittgenstein als Heilmittel gegen mentale Verwirrung.
Text: Donar Rau
 
 

Es bereitet mir äußerstes Unbehagen, wenn ich sehe, was seit einigen Jahren politisch praktiziert und medial propagiert wird. Was hat es mit den Erzählungen auf sich, die man uns Tag für Tag über die Leitmedien präsentiert? Wenn ich an die Zeit der „Pandemie“ denke, die derzeitige Kriegsrhetorik der Politiker oder das viele Gerede über die Gefahr von rechts, frage ich mich immer wieder, was sich wohl hinter all diesen Narrativen verbirgt. Seit geraumer Zeit wird in den Medien von „unserer Demokratie“ gesprochen und betont, dass man diese unbedingt vor bestimmten Überzeugungen und deren öffentlichen Äußerungen schützen müsse. Ich frage mich: Wessen Demokratie ist damit eigentlich gemeint? Gibt es in unserem Land Meinungen, die vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden müssten? Ich erinnere: Artikel 5 des Grundgesetzes zielt darauf ab, demokratische Prozesse zu gewährleisten. Es gibt keine Demokratie ohne Meinungsfreiheit. Wenn unliebsame Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden, erinnert „unsere Demokratie“ eher an eine Diktatur.

Aber wie ist denn das? Warum sollen bestimmte Gedanken nicht geäußert werden dürfen? Und wer bestimmt dies? Was die journalistische Berichterstattung betrifft, so habe ich oft das Gefühl, dass wir es mit einer Rhetorik zu tun haben, die unseren Verstand verhexen soll. Diese Bezeichnung stammt von Ludwig Wittgenstein, der von einer „Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ spricht. (PU, § 109) Mir ist, als ginge es den Leitmedien nicht um Wahrheit, sondern darum, in den Köpfen ihrer Konsumenten eine bestimmte Ideologie zu verankern. Nicht ein differenziertes und wahrheitsgetreues Spektrum des jeweiligen Themenkomplexes zu vermitteln, ist ihre Intention, sondern eine vorgefertigte Meinung zu servieren, die dann gefälligst auch widerspruchslos geschluckt werden soll.

Dabei sollte man sich immer mal wieder in Erinnerung rufen, welche Funktion der Journalismus in einer Demokratie hat: Es ist die Aufgabe der sogenannten vierten Gewalt, den Staat, das politische Handeln zu kontrollieren, indem sie letzteres sachlich und mit größtmöglicher Objektivität reflektiert, erörtert und es multiperspektivisch in den Medien darstellt, sodass sich die Bürger eine eigene, fundierte Meinung bilden können. „Eine Zensur findet nicht statt“, garantiert das Grundgesetz.

Diskurs-Kontrolle

Aber ist es nicht eher so, dass die Meinungsfreiheit derzeit massiv unter Druck steht? Man denke nur daran, was alles getan wird, um sogenannte Desinformation aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Ist es die Aufgabe des Staates, darüber zu entscheiden, was wahr beziehungsweise falsch ist? Oh là là! Es sieht ganz danach aus, als wolle man bestimmte sprachliche Äußerungen unterdrücken, um anderen die Vormachtstellung in der Öffentlichkeit zu sichern. Alles, was dem jeweils propagierten Narrativ widerspricht, nennt man dann einfach Desinformation. So kann man den öffentlichen Diskurs gut kontrollieren.

Es setzt schon einiges voraus, sich in diesem Labyrinth von ideologisch aufgeladenen Sprachkonglomeraten zurechtzufinden. Ohne eine gewisse intellektuelle Kompetenz ist man wohl kaum in der Lage, den verbalen Verhexungsversuchen seitens Politik und Medien widerstehen zu können. Wer ein Antidoton für das Gift sucht, das hier und da gestreut wird, dem empfehle ich die Bücher von Ludwig Wittgenstein. In meinem Fall haben sie zu einer mentalen Immunität geführt.

In seinem Frühwerk Tractatus (1921) geht Wittgenstein dezidiert der Frage nach, inwieweit die Sprache in der Lage ist, Wirklichkeit abzubilden. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf dem Wahrheitsgehalt von Aussagen. Der Satz sei ein Bild beziehungsweise ein Modell der Wirklichkeit. Für ihn ist ein Satz nur dann wahr, wenn man ihn mit der Wirklichkeit vergleichen kann, will sagen, wenn das Bild, das durch den Satz zum Ausdruck kommt, mit dem jeweiligen Sachverhalt in der außersprachlichen Welt übereinstimmt:

Die Wirklichkeit muss durch den Satz auf ja oder nein fixiert sein. (T. 4.023)

Durch eine logische Analyse der natürlichen Sprache versucht Wittgenstein, abstrakte Gedankengebäude zu widerlegen und diese in den Bereich des nicht Sagbaren zu verbannen. In seiner frühen Schaffensphase galt seine Analyse vornehmlich dem Wunsch, metaphysische Konzepte zu eliminieren. Sein Fazit am Ende des Tractatus:

Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.

Gemäß dieser Auffassung von Sprache hätte vieles, was beispielsweise während der „Pandemie“ behauptet wurde, nicht gesagt werden dürfen. Es gab zu keinem Zeitpunkt Referenzsituationen, an denen man die Aussagen hätte verifizieren können, die über die Medien kontinuierlich gestreut wurden. Die Behauptung, dass die Impfung vor einer möglichen Infektion schütze, hat sich im Nachhinein als unwahr erwiesen. Von einer „Pandemie der Ungeimpften“ zu sprechen, war manipulativ und falsch. Es waren nicht die Ungeimpften, die munter das Virus verbreiten durften, sondern diejenigen, die sich durch die Impfung einen Freischein für die Teilhabe am öffentlichen Leben erkauft hatten.

Sprachspiel

Aber zurück zu Wittgenstein. Wir machen einen Zeitsprung: Zwischen 1935 und 1945 untersucht Wittgenstein die Funktion der Sprache unter anderen Voraussetzungen. Anstatt die natürliche Sprache einer Logik zu unterwerfen, nimmt er nun die Rolle eines beschreibenden Beobachters ein. Das 1952 postum veröffentlichte Werk Philosophische Untersuchungen (Teil I) ist ein Sammelsurium von knapp siebenhundert Aphorismen, in denen er seine Reflexionen über die Sprache auf unkonventionelle Weise zum Ausdruck bringt. Hier geht es ihm nicht mehr um die Frage nach der Wahrheit im Sinne einer Übereinstimmung von Satz und Wirklichkeit. Wittgenstein hatte realisiert, dass der Tractatus aus erkenntnistheoretischer Sicht zu kurz gefasst war. Er wusste, dass nur das, was sich in einem Satz ausdrücken lässt, auch Anspruch auf Wahrheit erheben kann, konnte aber nicht leugnen, dass die Sprache unzählige Formen des Gebrauchs aufweist. Er musste sich eingestehen, dass es um mehr geht als um starre Abbilder der Wirklichkeit. Der späte Wittgenstein hat den Begriff „Sprachspiel“ eingeführt, um deutlich zu machen, dass der Gebrauch von Sprache wie ein Spiel mit unterschiedlichen Regeln funktioniert. Der Sinn und Wahrheitsgehalt von sprachlichen Äußerungen entsteht dabei immer in bestimmten Lebenssituationen.

Nicht die Wirklichkeit kommt durch grammatikalische Satzstrukturen zum Ausdruck, sondern unsere Fähigkeit, aufgrund sprachlicher Mittel geistige Konstrukte generieren zu können. Aussagen über die Wirklichkeit sind keine adäquaten Abbilder. Wie wir die „Wirklichkeit“ verstehen, ist sprachlich konstruiert. Indem wir die Dinge der außersprachlichen Welt benennen, erschaffen wir Bedeutung und Sinn. Sprache in ihrer genuinen Funktion ist ein konstruktivistisches Medium. Aussagen über die Wirklichkeit sind somit immer perspektivisch und interpretativ.

In seinem Spätwerk geht es Wittgenstein zwar nicht mehr um Wahrheit, aber es ist nach wie vor sein Anliegen, die Sprache als ein Medium zu entlarven, das dafür prädestiniert ist, die Dinge zu verschleiern.

Was ich lehren will, ist: von einem nicht offenkundigen Unsinn zu einem offenkundigen übergehen. (PU, § 464)

Politik und Journalismus! Narrative und Desinformation! Von Wahrheit können wir bei alldem nicht sprechen. In Politik und Journalismus haben wir es leider allzu oft mit einem „nicht offenkundigen Unsinn“ zu tun. Es ist schwer zu durchschauen, was sich hinter all den Erzählungen verbirgt. Was so dargestellt wird, als läge es im Interesse der Allgemeinheit, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung oft als Nutzen von Staat und Wirtschaft. Zwar gibt es unter Journalisten auch so etwas wie ein Berufsethos, aber dieses wird insbesondere dann gerne außer Acht gelassen, wenn es um Abhängigkeiten, Geld und Machterhalt geht. Das Gebot der Objektivität, Neutralität und Unabhängigkeit wird immer dann vergessen, wenn Journalisten sich Vorteile von der gezielt eingesetzten Rhetorik und den Inhalten ihrer Texte versprechen.

Keine Demokratie ohne Meinungsfreiheit

Wenn journalistische Berichterstattung dazu genutzt wird, die Meinungsbildung der Bürger zu manipulieren, steht es schlecht um diesen Berufsstand. Es ist die Aufgabe der Journalisten, das Handeln und Tun der Machthabenden genauestens zu reflektieren und zu kritisieren, wenn dieses nicht im Interesse des Gemeinwohls liegt. Systemkonforme Meinungen bedürfen nicht des Schutzes. Artikel 5 Grundgesetz soll gerade die Meinungen schützen, die für die Politiker unbequem sind und das System in Frage stellen. Eine Demokratie ohne Meinungsfreiheit gibt es nicht. Wenn der Staat diese einschränkt, nimmt unser Gesellschaftssystem diktatorische Züge an.

Die Sprache ist das Vehikel unseres Denkens. Je besser ich verstehe, wie sie funktioniert und welche Möglichkeiten sie impliziert, desto eher bin ich in der Lage, die über die Medien propagierten Verhexungsversuche zu durchschauen. Da wir nie in die Situation kommen können, zwischen Aussage und Sachverhalt einen Vergleich zu ziehen, bleibt die Wahrheit für uns unerreichbar. Wahr ist, was die Mehrheit für wahr hält. Und dafür sorgen die Medien, indem sie bestimmte Narrative immer wieder über alle Kanäle wiederholen.

Es sollte uns nicht zufriedenstellen, was gemeinhin für wahr gehalten wird. Zu „alternativlos“ und finster sind die Erzählungen, die man uns glauben machen möchte. Wie erhellend wäre es, von den eigentlichen Interessen zu hören, die sich hinter all den Sprachspielen der Politiker und Journalisten verbergen. Als Bettlektüre ist Ludwig Wittgenstein vermutlich nicht geeignet. Wem aber die Sprache am Herzen liegt und wer erfahren möchte, was es mit dieser auf sich hat, dem möchte ich seine Schriften empfehlen.

Bildbeschreibung

Ludwig Wittgenstein: Tractatus. Anaconda Verlag 2022 (Ersterscheinung 1921), 112 Seiten, 4,95 Euro.

Ludwig Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen. Bibliothek Suhrkamp 2025 (Ersterscheinung 2003, 300 Seiten, 22 Euro.

Dr. Donar Rau hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: PDPics auf Pixabay