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Bericht | 27.05.2025
Lernen – neu gemacht
Für manche Kinder ist die Schule nicht der ideale Ort. Katharina und Johannes gehen mit ihren drei Söhnen in der Nähe von Leipzig einen anderen Weg.
Text: Beate Strehlitz und Dieter Korbely
 
 

Deutschland ist eines der wenigen Länder mit einer gesetzlich verankerten ausnahmslosen Schulbesuchspflicht. Mit den Schulschließungen in der Corona-Zeit wurde das Gesetz jedoch faktisch plötzlich außer Kraft gesetzt. Alle mussten zu Hause lernen. Als die Schulen danach wieder offen waren, wurden die Kinder mit Maskenpflicht, Tests und Impfdruck gequält. Nicht selten traten bei den Schülern Krankheiten und psychische Störungen auf. Nicht wenige Eltern suchten im Gespräch mit dem Lehrerkollegium nach Lösungen für ihre Kinder. In den meisten Fällen war das nicht möglich. Die Lehrer waren auf die neue Ideologie und die Durchsetzung der Maßnahmen eingeschworen und hatten Angst. Einige Eltern haben ihre Kinder dann in eigener Verantwortung aus der Schule genommen und zu Hause selbst unterrichtet. An manchen Orten fanden sich Gemeinschaften, wo die Kinder in Gruppen lernten. Während viele Lerngemeinschaften nicht mehr existieren, hat die Familie von Katharina den Unterricht für ihre drei Kinder in Eigenregie etabliert. Inzwischen haben sie dafür sogar „den Segen“ von Familiengericht und Jugendamt.

Katharina und Johannes leben mit ihren drei Wunschkindern Aurelius (15), Benjamin (14) und Friedrich (10) in einem Vorort von Leipzig. Die Familie wohnte früher in der Stadt. In der Corona-Zeit haben sie sich mit dem Physiotherapie- & Seminarzentrum Curasanus eine Existenz auf dem Land aufgebaut und begehen diesen Sommer ihr 20-jähriges Praxis-Jubiläum. Katharina hat ihre Arbeit als Physiotherapeutin weitgehend aufgegeben, um sich als Mama und Lernbegleiterin ihren Kindern widmen zu können. Daneben bietet sie Vorträge und Workshops an, übernimmt einen großen Teil der Praxis-Organisation und ist Manager, Rezeptionistin und Vertriebler der eigenen Firma. Wir besuchten einen ihrer Lachyoga-Kurse. Dabei erlebten wir ihr Zusammenspiel mit den drei Kindern. Anschließend stellten wir Katharina unsere Fragen zum Freilernen.

Im unmittelbaren Umfeld wird die Familie bestaunt und geachtet. Sie haben sich bewusst für das Freilernen entschieden. Die Kinder wurden ohne Test nicht mehr in die Schule gelassen. Auch andere Zwangsmaßnahmen wie die Maske wollten die Eltern den Kindern ersparen. Besonders Benjamin hatte traumatische Erlebnisse. Seine Lehrerin schmiss mit dem Schlüssel nach den Schülern und wandte andere schwarze Pädagogik an. Er ging ständig mit Bauchschmerzen ins Bett. Ein weiterer Punkt ist die Masernimpfung. Die Kinder könnten zwar zur Schule gehen, aber die Eltern werden mit rechtlichen Maßnahmen und Zwangszahlungen belegt. Da Katharina in ihrer Praxis viele Erkrankungen als Folge der Masernimpfung beobachten konnte, lehnt sie die Pflichtimpfung ab. Die Eltern haben kein Vertrauen mehr in die staatliche Schulerziehung mit all dem Zwang und den Erpressungen. Als die Familie den Entschluss gefasst hatte, die Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken, haben sie ihre Praxis vorübergehend geschlossen, ihr Haus verkauft und sind auf Reisen gegangen. Die beiden großen Kinder wurden von der Schule abgemeldet. Nach der Rückkehr haben sie dann mit einem neuen Leben auf dem Land begonnen.

Lernen ohne Schule: Wie geht das?

„Wissen ist Macht und eine Holschuld“, sagt uns Katharina. Das ist ihr Motto und motiviert auch die Kinder. Mit dem Unterricht zu Hause macht die Familie ihre eigene Studie und zeigt, dass Lernen auch anders geht als in der Schule. Die Eltern können viel besser auf jedes einzelne Kind eingehen. Johannes arbeitete früher als Straßenbauer. Er unterstützt die Jungs vor allem in Mathematik, Geometrie und Physik sowie bei handwerklichen Fertigkeiten. Katharinas Stärken liegen in Deutsch, Sprachen und Organisation. Unter den Patienten ihrer Praxis gibt es Lehrer, die ihnen helfen. Weitere Unterstützung kommt von Freunden und Bekannten. Bei bestimmten Projekten treffen sie auf andere Freilernerkinder. „Das Netzwerk wird immer größer, es wird immer schöner und interessanter“, sagt Katharina. Man geht mit vielen anderen einen gemeinsamen Weg, verlässt dabei eingetretene Pfade und erkundet neue Themenfelder wie Mediengestaltung, freie Energie, Elektrotherapie, meditatives und Improvisations-Zeichnen. „Ich sprudele vor Ideen. Sie kommen in mein Feld, und dann mache ich was draus“, sagt Katharina. Die Jungs sind in Wurzen im Ringelnatz-Literaturkreis. Dort schreiben sie Drehbuchgeschichten und haben einen Film produziert. Sie suchen sich Projekte oder kreieren neue, wie mit dem Planetarium Eilenburg. Diese Zusammenarbeit hat sich sehr gut entwickelt. Dort lernen 4- bis 15-Jährige zusammen. Die drei Jungs spielen Klavier. Erdkunde und Geschichte erleben die Kinder auch dadurch, dass die Familie Hauptstädte oder die bosnischen Pyramiden selbst erkundet. Dabei erweist es sich als Vorteil, nicht auf die Ferienzeiten angewiesen zu sein.

Als Physiotherapeutin ist Katharina bewusst, dass man neue Lernstrategien entwickeln muss. Die Kinder lernen unterschiedlich. Jedes Kind hat seinen eigenen Charakter. Aurelius benötigt eher eine 1:1-Betreuung. Darauf kann Katharina viel individueller eingehen als die staatliche Schule. Es ist aber auch aufwendiger und anstrengender. Besonderen Wert legt sie darauf, dass rechte und linke Gehirnhälfte gleichmäßig beansprucht werden. Lernphasen werden immer wieder mit Entspannungs- oder Bewegungsphasen kombiniert. Sie weiß, dass den Kindern zuerst die Grundlagen des Lesens, Rechnens und Schreibens vermittelt werden müssen. Dann sind sie in der Lage, sich alles Weitere selbst anzueignen – Unterstützung vorausgesetzt. „Besonders das Schreiben mit der eigenen Hand ist wichtig für die Vernetzung der beiden Gehirnhälften“, sagt Katharina. Dafür nehmen sich die Eltern Zeit. Die Kinder führen Tagebuch. Außerdem halten es die Eltern für wichtig, den Kindern Werte und Tugenden wie Dankbarkeit, Verlässlichkeit, Beharrlichkeit, Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und die zehn Gebote zu vermitteln. Katharina und Johannes sind beide religiös begleitet aufgewachsen. Heute sehen sie die Kirche als Institution kritisch. Angebunden an die Schöpfung und im Gottvertrauen erschaffen und schöpfen sie Leben und Lebensraum aus eigener Kraft – so erklärt es uns Katharina.

Ein weiteres Thema sind die Funktionen des Körpers und wie sich die Kinder gesund erhalten können. Vieles lernen sie dabei in der Physiotherapiepraxis. Die Familie hat das Privileg, in ihrem eigenen Biorhythmus leben zu können. „Das macht sehr viel aus – wir sind alle gesund“, sagt Katharina. Der Lern- und Arbeitstag beginnt nicht vor 9 Uhr und hat eine eigene Struktur. Im Tagesablauf sind feste Verantwortlichkeiten integriert. So wechseln sich die Kinder aller drei Tage mit Tischdecken, Staubsaugen und Geschirrspüler ab. Das hilft ihnen, sich selbst zu organisieren. Das geht nicht immer reibungslos vonstatten. Wenn das Lernpensum beizeiten abgearbeitet wurde, helfen die Kinder im Haushalt oder Garten oder gehen ihrem Bewegungsdrang auf andere Weise nach. Die Eltern sind am Abend noch länger aktiv, denn die Praxis erfordert noch die eine oder andere bürokratische Pflicht. Die Familie ist sehr naturverbunden. Sie gehen viel in den Wald und in den Garten. Sie bauen selbst Gemüse und Obst an. Dabei können die Kinder zum Beispiel Erfahrungen mit Permakultur und natürlicher Düngung sammeln. Die Familie achtet auf die Ernährung, schließlich ist Katharina seit fast 25 Jahren Ernährungsberaterin. Was sie nicht selbst anbauen, wird beim Bauern des Vertrauens eingekauft. Die Jungs können selbst kochen und backen. Die Schädlichkeit von Zucker ist den Kindern schon bewusst geworden, ohne gänzlich auf Schokolade verzichten zu müssen. Medikamente gibt es im Haushalt nicht. Sie kennen sich sehr gut mit den Heilmitteln aus der Natur aus und können so ihre Selbstheilungskräfte aktivieren. Sie haben keinen Hausarzt. Natürlich hat keines der Kinder ein Handy. Bisher haben sie noch kein Verlangen danach. Die Eltern halten es für wichtig, dass die Kinder erst sicher bei Selbstorganisation und Tagesstruktur sind, bevor sie ein Handy bekommen. Katharina weist darauf hin, dass beispielsweise WhatsApp erst ab 16 Jahren zugelassen ist, und fragt sich, ob das andere Eltern wissen.

Gesetze auf Augenhöhe auslegen

Den Behörden blieben die Freilerner nicht verborgen. Sie wurden aktiv und schalteten das Familiengericht ein. Die Familie hatte keinen Anwalt und keine Rechtsschutzversicherung. Katharina erzählt uns, dass sie schließlich auf „Hilfe von oben“ gehofft habe. Irgendwer hat sie anscheinend erhört, denn sie bekamen „einen Engel“ als Verfahrensbeistand. Die Behörden waren sehr zugänglich. In den Gesprächen gab man zu, mit der Schulsituation ebenfalls nicht zufrieden zu sein. „Wir wollen so wie ihr, dass sich etwas verändert. Wir sind an Eurer Seite.“ Die Gespräche mit dem Jugendamt und der Richterin vom Familiengericht Grimma waren immer auf Augenhöhe. Schließlich legte man der Familie keine Steine in den Weg. Damit kann Katharina ihr Konzept nach außen leben und andere inspirieren. Ihre Schlussfolgerung: Eltern müssen sich ihrer Stärken bewusstwerden und aus ihrer Angst herauskommen. Das Konzept muss aber zur Familie passen, denn jede Familie ist anders.

Die Basis für freies Lernen ist das Vertrauen der Eltern in ihre Kinder. Denn Kinder sind von Natur aus wissbegierig und wollen lernen. Katharina hat viel von Bertrand Stern und von Riccardo Leppe gelernt. Beiden wurde von ihren Eltern das Lernen ohne Schulbesuch ermöglicht. Mit Bertrand Stern hat Katharina Kontakt. Er wird im November am Buß- und Bettag eine kleine Fortbildung im Therapie- und Seminarzentrum geben. Für den Vorabend ist ein Vortrag geplant. Katharina zitiert Riccardo Leppe: „Es ändert sich nur was, wenn man es selbst tut.“ Er sei sich sicher, dass der Fortschritt beim Freilernen inzwischen so weit ist, dass „die Paste nicht wieder zurück in die Tube geht“.

Der Übergang zur Berufsausbildung

Die ersten Freilernerkinder kommen jetzt in das Alter, in dem sie eine Berufsausbildung beginnen können. Aurelius und Benjamin, die beiden „Großen“, machen seit Anfang des Jahres schon erste Praktika bei ortsansässigen Handwerksbetrieben. Beide Seiten sind sehr zufrieden. Durch die Praktika, die länger dauern als im schulischen Lehrplan vorgesehen, können sich die Kinder ausprobieren. Katharina findet es interessant miterleben zu dürfen, wie auf ihre Kinder reagiert wird. Bringen sie etwas mit, das die anderen nicht haben? Denken sie anders mit? Benjamin bekam schon ein Angebot, in einem Metallbau-Betrieb stundenweise mitzuarbeiten. In den Betrieben weiß man, dass die Abschlüsse der staatlichen Schulen größtenteils das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen. Viele verlassen die Schule und können kaum lesen und schreiben, von Selbstorganisation ganz zu schweigen. Ein Freilerner kann eine staatliche Externen-Prüfung ablegen, um einen Haupt- oder Realschulabschluss zu erwerben. Katharina:

Für eine Ausbildung bei einem privaten Unternehmer braucht man das nicht, allein der Unternehmer entscheidet über die Aufnahme des Auszubildenden.

Außerdem stehen den jungen Leuten Privatschulen oder der zweite Bildungsweg zur Verfügung. Wenn man einen praktischen Beruf ergreift, ist es immer noch möglich, sich bis zur Hochschulreife weiterzubilden. Nach mehrjährigen Tätigkeiten kann man bei den Kammern von Industrie, Handel und Handwerk (IHK und HWK) eine Abschlussprüfung ablegen, mit der man zum Studium zugelassen werden kann. Oder man geht gleich den Weg in die Selbstständigkeit.

Frei lernen weitergedacht

Während der Coronazeit haben sich in Sachsen und speziell um Leipzig herum kleine Freilernergruppen gefunden. Die Gruppen werden aktuell zusammengeführt, um zum Beispiel gemeinsam den Mathematikunterricht zu gestalten. Besonders um Dresden herum ist die Szene noch stärker ausgeprägt. Außerdem gibt es seit mehr als 20 Jahren den Bundesverband Natürlich Lernen (BVNL). Er bietet Beratung und zentrale Veranstaltungen an.

Der Wunsch nach dem freien Lernen ohne Schulzwang ist groß. Doch die meisten Eltern wollen ihre Kinder dafür irgendwo abgeben und nicht selbst unterrichten. Katharinas größter Wunsch ist es, drei bis fünf Elternpaare zu finden, die sich in die Betreuung und Unterrichtung ihrer Kinder teilen. Das größte Hindernis dafür sieht sie in den Eltern selbst. Durch ungelöste transgenerative Konflikte und unverarbeitete Familientraumata kommen sie noch nicht in ihre eigene Kraft für ein selbstbestimmtes Leben. Viele wagen es noch nicht, ihre Erwerbstätigkeit zugunsten der Kinder einzuschränken. Katharina sieht es als große Aufgabe für sich und ihre Familie, mit dem Freilernen das Gemeinschaftsbewusstsein und gute Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln. Sie denkt dabei bereits an ihre Enkel. Aber sie weiß auch, dass die Eltern ein sehr hohes Maß an Eigeninitiative, Motivation und Selbstdisziplin aufbringen müssen. Sie würde Eltern, die sich das noch nicht zutrauen, als Traumabegleiterin zur Verfügung stehen, für einen angemessenen Energieausgleich. Diese gegenseitige Unterstützung käme Kindern und Eltern zugute. Ebenso hält sie die Idee der Mehrgenerationenerziehung für wichtig. Dabei profitieren nicht nur die Kinder. Die Erfahrungen der älteren Menschen gehen nicht verloren, sondern werden an die jüngeren Generationen weitergegeben und machen sie resilienter. Das hilft den Eltern, ihrer Erwerbsarbeit nachzugehen und Familientraumata zu bewältigen.

Katharina ist eine starke Frau und sprüht nur so vor Energie. Selbst als wir nach 21 Uhr das Therapiezentrum verlassen, sind ihr die Anstrengungen des Tages nicht anzumerken. Sie wird nicht müde beim Sprechen. Für Fragen zum Thema Freilernen kann man sich an sie wenden.

Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein.

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Bildquellen: fajaws @Pixabay