In meiner Stadt gibt es ein Museum. Was genau darin gezeigt wird, ist gar nicht so relevant, denn darum soll es nicht gehen. Die Sammlung des Museums besteht bereits seit dem 18. Jahrhundert und ist seit Ende des 19. Jahrhunderts in einem Gebäudekomplex beheimatet, den der Deutschritterorden errichtet hat, angefangen im 13. Jahrhundert und im 16. Jahrhundert erweitert durch einen Kornspeicher. Es ist ein schöner Gebäudekomplex. Massives Gestein, Schindeldach, richtig schön alt und historisch.
Seit 2019 ist das Museum geschlossen. Der Grund: Brandschutz. Die Auflagen sehen eine zweite Treppe vor, über die im Brandfall eine Flucht möglich ist. In einem historischen Gebäude, das noch dazu unter Denkmalschutz steht, ist die Installation einer solchen Treppe unmöglich. Die Folge: totale Blockade und Stillstand. Das Museum ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Was genau an dem Gebäude Feuer fangen soll, ist dabei vollkommen unklar. Es besteht aus Stein, lediglich der Dachstuhl dürfte aus Holz sein. Teile stehen seit über 700 Jahren, ohne einer Brandkatastrophe zum Opfer gefallen zu sein – und das, obwohl über die Jahrhunderte hinweg weitaus mehr Feuerquellen im Haus vorhanden waren. Wo früher Kamin, Kerzen und Öllampen waren, gibt es heute Zentralheizung und LDE-Beleuchtung.
Dieses Beispiel zeigt die absurden Auswüchse typisch deutscher Überregulierung. Zu unserer vermeintlichen Sicherheit – denn immerhin soll der Brandschutz ja den Publikumsverkehr vor der Gefahr durch Feuer schützen – wird der Publikumsverkehr zum Erliegen gebracht. Das ist natürlich die effektivste Form, die Menschen vor Feuer zu schützen, vereitelt aber den Daseinszweck des Museums. Denn ein Museum ohne Besucher ist im besten Fall eine Sammlung von Objekten, die einsam vor sich hin stauben. Das Korsett staatlicher Regelungswut schnürt damit das Leben der Menschen so ein, dass alles, was das Leben ausmachen und bereichern könnte, erstickt wird.
Denn dieses Museum ist ja kein Einzelfall. An allen Ecken und Enden wuchert das Dickicht der Regulierungen und geht im Zeichen der Sicherheit gegen alles vor, was eine Stadt lebenswert macht. So liegt dieselbe Stadt an einem Fluss. Dieser Fluss ist an einer Stelle durch ein Wehr aufgestaut, also eine in den Fluss gebaute Mauer, über die das Wasser fließen muss und die so einen Höhenunterschied schafft. Vor dem Wehr ist das Wasser tiefer und fließt langsam, dahinter ist es flach und fließt schneller. Auf diesem Wehr stand über Jahrzehnte ein Baum. Er wurzelte in der Uferböschung und wuchs zumindest mit einem seiner Stämme auf dem Wehr liegend in Richtung Flussmitte. Man konnte dort im Sommer herumklettern oder auf dem Ast sitzen und die Füße im Fluss baumeln lassen. Ein schöner Spielplatz für Kinder und eine Stelle, an der man sich gut entspannen konnte.
Bild: Wehr an der Lahn in Marburg. Foto: Ludwig Sebastian Micheler, CC BY-SA 4.0
Vor einigen Jahren wurde der Stamm abgesägt. Aus Sicherheitsgründen. Denn der Baum könnte das Wehr beschädigen. Überhaupt ist unautorisiertes Grünzeug eine potenzielle Gefahrenquelle. Seitdem sieht der Fluss an dieser Stelle um einiges trauriger und kahler aus, und ein schöner Spielplatz für Kinder ist verlorengegangen. Auch das ist ein Symbol für eine lebensfeindliche Regelungswut. Zustände und Dinge, die für Jahrzehnte kein Problem darstellten und an denen sich niemand gestört hat, werden plötzlich aufgrund neuer Auflagen und Gesetze als Gefahrenquelle erkannt, die dann umgehend beseitigt werden muss. Kein Abwägen, keine Ausnahmeregel für historische Gebäude oder seit Jahrzehnten bestehende Dauerzustände. Die Sense der Regelungswut mäht ohne Betrachtung des Einzelfalls durch das Gestrüpp des Lebens, um es einzuhegen und beherrschbar zu machen.
Und dieser Wille, das unberechenbare Leben berechenbar und beherrschbar zu machen, treibt vermutlich die staatliche Regelungswut mehr an als die Sicherheit der Bevölkerung – die demselben Staat im Angesicht der Coronagenspritzen oder eines drohenden Krieges gegen Russland ja vollkommen egal ist. Dieser Regelungswut fällt dabei alles zum Opfer, was das Leben ausmacht – inklusive des Risikos, das untrennbar zum Leben gehört.
Felix Feistel veröffentlicht seit 2017 Texte über das aktuelle Zeitgeschehen bei Manova, Apolut, tkp & Multipolar. Mehr auch auf seinem Telegram-Kanal.
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