Julia Ruhs hat alles richtig gemacht. Wenn man beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk hoch hinaus will, dann wünscht man sich ihre Vita: Kommunikationswissenschaft, Konrad-Adenauer-Stipendiatin, Volontariat beim BR. Dass sie mit 31 Jahren gleich eine eigene Sendung in der ARD bekommen hat, ist ambitioniert, aber nicht ungewöhnlich für einen Sender, der schon seit Jahren auf „jung und dynamisch“ setzt. Mit Aufkommen der sozialen Medien hat der ÖRR das Problem seines alternden Publikums schnell erkannt und seine Ideologie fortan über die „Funk“-Formate auch ans junge Volk herangetragen.
Julia Ruhs‘ Alter ist somit kein Novum – im Gegensatz zu ihren Positionen. Wie hinlänglich bekannt ist, hat der ÖRR keine oder kaum konservativ-bürgerliche Formate. Mit Klar, einer 45-minütigen Politsendung, die am 9. April erstmals ausgestrahlt wurde, ändert sich das. Dabei ist zunächst einmal zweitrangig, ob dahinter Kalkül steckt – schließlich ist die AfD aktuell dabei, bundesweit stärkste Kraft zu werden – oder ehrliches Interesse an Ausgewogenheit.
Die Sendung beginnt mit den Worten: „Was jetzt kommt, wird vielleicht nicht jedem gefallen. Aber es ist eines der ganz großen Streitthemen unserer Zeit.“ Dann wird dem Zuschauer Michael Kyrath vorgestellt. Sein Schicksal bewegt. Er verlor seine 17-jährige Tochter durch den Messerangriff eines Palästinensers in einem Regionalzug. Es gab keine Vorgeschichte zu dem Mord, er stach einfach auf sie ein. Wieder einmal handelte es sich um einen Ausländer, der bereits wegen zahlreicher Gewaltdelikte aufgefallen war.
Kyrath ist einer der wenigen Väter, die Gesicht zeigen und kämpfen. Er will, dass sich etwas ändert, und benennt Ross und Reiter: das Täterprofil, der Tathergang – hier gibt es laut Kyrath ein Muster und das habe mit gescheiterter Migrationspolitik zu tun. Deshalb quält er sich vor Kameras, spricht mit Kritikern und lässt regelmäßig Politikerphrasen in Talkshows über sich ergehen.
Auch Ruud Kopmans kommt zu Wort. Der niederländische Migrationsforscher, der an der Humboldt-Universität lehrt, weist auf die Stärkung rechtspopulistischer Parteien hin. Man könne das Thema Migration ein paarmal ignorieren, aber mit jeder Wahl stärke es Parteien wie die AfD. Irgendwann sei das Thema dann „so groß geworden, dass man sie nicht mehr von der Regierungsverantwortlichkeit ausschließen kann.“ Das mögen Old News sein für alle, die seit Merkels Grenzöffnung nicht unter einem Stein geschlafen haben, aber in Tagesschau-Ultra-Kreisen sind das neue Gedanken. Gedanken, die wichtig sind.
Julia Ruhs lässt auch die Weltanschauung nicht aus, die Flüchtlinge aus Afghanistan, der arabischen Welt und Afrika mit nach Deutschland bringen: Chauvinismus, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus. So wird der Jude Levi Salomon begleitet, der für das Jüdische Forum für Demokratie journalistisch aktiv ist und den Hass auf Palästina-Demos regelmäßig am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Auch die Vorsitzende der Grünen Jugend, Jette Nietzard, darf ihren Intellekt zur Schau stellen. Julia Ruhs fragt sie, was sie einem Vater sagen würde, der sein Kind durch ein Messerattentat verloren hat. Darauf Nietzard: „Kinder werden nicht mehr von afghanischen Attentätern ermordet als von ihren Vätern…“
Es folgen weitere Zahlen, Statistiken und „Einzelfälle“, die zeigen: Migranten tauchen in den Statistiken häufiger auf, und ihre Taten sind oft besonders gewaltvoll. Der Stuttgarter Polizeipräsident Markus Eisenbraun drückt es wie folgt aus: Der durchschnittliche Täter ist 24 Jahre alt, männlich und hat Migrationshintergrund, insbesondere aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum.
Der facettenreiche Beitrag lässt auch die integrierten türkischen Migranten nicht aus, deren Ruf unter der Migrationskriminalität leidet. Sie arbeiten in Deutschland als Gemüsehändler oder Frisöre und haben oft eine klare Meinung: Wer hier vom Staat lebt, muss wieder gehen.
Noch immer in Trauer sind Michael Kyrath und seine Frau. Regelmäßig laden sie die Schulfreunde und Messdiener-Kollegen ihrer Ann-Marie zu sich nach Hause ein, um füreinander da zu sein und sich gegenseitig zu trösten.
ZDF-Clown Jan Böhmermann brachte die erste Klar-Sendung in einen Zusammenhang mit rechter Gesinnung und assoziierte deren Zielgruppe mit einer „Wehrsportgruppe oder dem AfD-Kinderturnen“. In seiner gewohnten Mission, Andersdenkende zu dämonisieren, gab er süffisant Tipps, wie man den „rechtspopulistischen Quatsch“ als „seriösen Journalismus verkaufen kann“.
ZDF-Journalistin Nicole Diekmann („Die Shitstorm-Republik. Wie Hass im Netz entsteht und was wir dagegen tun können“) griff ihre ÖRR-Kollegin ebenfalls an: „Wenn du für dein Format damit wirbst, wer dich alles doof findet, bist du entweder innerlich noch ein Teenie, oder dein Vertrauen in dich und dein Produkt ist nicht besonders groß.“
Die bemerkenswerteste Kritik und nicht weniger als ein Politikum ist jedoch die Geschichte der „Neuen deutschen Medienmacher:Innen“, einer NGO, die „diskriminierungsfreie Medienarbeit“ machen und „Journalist:innen of Color und mit Einwanderungsgeschichte“ empowern wollen. Sie riefen unter anderem auf Instagram dazu auf, den Redaktionen von BR und NDR zu schreiben, die Klar produzieren. Das Format sei schließlich ein „wilder Ritt durch migrationsfeindliche Narrative“. Die Sendung würde stigmatisieren, emotionalisieren und verzerren. Das schade dem „gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ All dies würde nur ein Schulterzucken auslösen, wen interessiert schon irgendein woker, wirrer Post auf Instagram – doch die „Neuen deutschen Medienmacher:Innen“ werden im Jahr 2025 mit über 800.000 Euro Staatsgeldern unterstützt, wie der Focus berichtete.
Die erste Folge des konservativ-bürgerlichen Gesellschaftsmagazins ist in vielerlei Hinsicht gelungen. Sie behandelt das Thema Migrationskrise vielschichtig und sachlich. Sie macht eine gewaltige Schieflage klar und tut dies sowohl durch Zahlen und Fakten als auch durch die bewegende Geschichte von Michael Kyrath. Vor allem aber nimmt die erste Sendung Klar kein Blatt vor den Mund, kommt ohne rührselige Migranten- und Flüchtlingsgeschichten daher, ohne ständiges Relativieren und Moralisieren. Es braucht – mit Verlaub – auch keinen dieser germanisierten Schwarzen oder Araber mit Brille und Jackett, ganz nach dem Motto „Migrationskritik ja, aber dann muss sie von den Richtigen geäußert werden“ – also von jenen, die „das“ auch „sagen dürfen“.
Nein, die hübsche Julia Ruhs macht das gut und kommt mit Klar genau richtig. Die unsägliche Böhmermann-Hetze konterte sie übrigens wie ein Profi, indem sie seinen Beitrag einfach teilte. Was den ÖRR angeht: Hut ab vor der Lernfähigkeit und danke für dieses Stück Journalismus, an das schon keiner mehr geglaubt hatte.
Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Frühere Stationen: RT Deutsch und Nuoviso. Heute: Stichpunkt Magazin, Manova, Milosz Matuschek und seine Liveshow "Addictive Programming".
Berichte, Interviews, Analysen
Freie Akademie für Medien & Journalismus