Mit dem Respekt ist das ja immer so eine Sache. Man bringt ihn selbstverständlich gegenüber anderen auf. Natürlich wünscht man ihn auch für sich selbst. Und dennoch will ich meine ersten Worte am Medien-Tresen respektlos beginnen. Was wiederum, so würden einige sagen, dann auch schon wieder passt. Der Tresen ist oft genug kein Ort für wohlklingende Reden. Dabei geht es nicht um Sie, die Leser. Das hier soll keine Publikumsbeschimpfung werden. „Hassrede“ ist ja eh so eine Sache. Solange niemand beleidigt wird, ist sie nicht verboten. Aber die Mechanismen des Zensurregimes im Digitalkonzernstaat greifen ja mittlerweile auch bei Meinungsäußerungen. Womit wir beim Thema wären, und zwar bei der „Meldestelle REspect!“ Sie ist in der vergangenen Woche zum ersten „vertrauensvollen Hinweisgeber“ nach dem Digital Services Act geworden. Und bei solchen Institutionen hört der Respekt auf, selbst oder gerade wenn sie sich so nennen. Denn mit Zensur ist keine Demokratie zu machen.
Die Meldestelle soll nun also staatlich geprüft von der Bundesnetzagentur gegen „illegale Inhalte, Hass und Fake News“ im Internet vorgehen. Unbürokratisch und schnell, meint Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Und wie oft in diesen Zeiten klingt alles beim ersten Hören wunderbar – zu mehr als dem ersten Hören kommt es oft ja auch nicht. Da wäre der erwähnte Respekt, ergänzt um das Vertrauen, und wer mag sich schon für illegale Inhalte, Hass und Fake News begeistern? Eben. Und mit den Mühlen der Bürokratie haben wir es alle nicht so. Schnell ist besser. Die Begriffe des neuen Überwachungsstaates sind herzallerliebst. Der gemeine Medienkonsument bekommt gar nicht mit, dass er von der EU um den Finger gewickelt wird. Dazu passt das moderne Rosa-Blau, mit dem die Website der Meldestelle selbst daherkommt.
An unserem Tresen schauen wir genauer hin: Das, was sich in EU-DSA-Sprech „Trusted Flagger“ schimpft, ist nichts anderes eine Zensur-Hilfspolizei. Wird ein Inhalt bei REspect! und den anderen Hinweisgebern, die nach und nach folgen werden, gemeldet, dann prüft die Meldestelle. Und meldet weiter in Richtung Plattform. TikTok, X, Instagram oder Telegram haben darauf zu reagieren. Es drohen empfindliche Strafen. Also wird vermutlich im großen Stil gelöscht, denn bei den Plattformen wird man auf Nummer sicher gehen. Wenn eine vom Staat als vertrauenswürdig erklärte Stelle etwas als „Fake News“ oder „Hass“ anmeldet, dann wird das schon stimmen. Und weg damit. Dabei sollte man auch bei „illegalen Inhalten“ wie Volksverhetzung oder Beleidigungen die Frage stellen, warum es die Hilfspolizei in Form von (öffentlich mindestens teilfinanzierten) sogenannten NGOs überhaupt gibt?
„Hass und Fake News“ sind nicht verboten. Das haben mittlerweile auch einige Kollegen in den Mainstream-Medien berichtet. Dem MDR sagte der Rechtswissenschaftler Arnd Diringer, dass es „schon mehr als fünf vor zwölf ist“, wenn der Staat ankündigt, schnell und unbürokratisch Ansichten aus dem Internet entfernen zu wollen. Schließlich fielen diese in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit. „Das ist nicht nur ein Alarmsignal, das ist wirklich etwas, das kann in einer freiheitlichen Demokratie nicht passieren.“ Diringer spricht von Fake News als Kampfbegriff. Er werde verwendet, wenn man versucht, unliebsame Meldungen aus dem politischen Diskurs zu drängen.
Der Feuilleton-Chef der Welt, Andreas Rosenfelder, wird (hinter Bezahlschranke) ebenso deutlich: „So entsteht, mit europäischer Rückendeckung, eine Art pinkfarbene Paralleljustiz, die unter Umgehung der zuständigen rechtsstaatlichen Institutionen die Debattenlandschaft aufräumt und säubert – ‚sehr schnell und ohne bürokratische Hürde‘, wie ausgerechnet die Bürokraten von der Bundesnetzagentur texten. Für eine so nette, serviceorientierte und hilfsbereite Zensurmaschine fehlte selbst George Orwell die Phantasie.“
WDR3 interviewte den Medienjournalisten Peter Welchering. Der Interviewer positionierte sich dabei gegen Fake News und Hass, so recht schmeckt ihm die Aussicht auf die rosafarbene Zensur aber auch nicht. Welchering wiederum weist darauf hin, dass so vieles nicht geklärt ist. Wenn unterhalb der Strafbarkeitsgrenze gelöscht werde, dann kollidiere das mit der Meinungsfreiheit. In der NZZ heißt es ergänzend: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, und was in der wirklichen Welt strafbar ist, ist es auch dort. Doch schon die Formulierung ,Hass und Fake News‘ lässt die aufkommenden Probleme erahnen: Wer bestimmt, was Hass ist? Auch Unangenehmes und Verstörendes ist durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in weitem Umfang erlaubt. Respect! fiel neulich durch eine Strafanzeige auf, die erstattet wurde, weil jemand die Grünen-Politikerin Ricarda Lang dick genannt hatte.“ Die Zeitung zitiert ferner den Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler, der eine Säuberung des Internets befürchtet.
Der Chef von RTL-West, Jörg Zajonc, kommentierte: „Was gerade passiert, ist eine Gefahr für die freie Meinung und damit für die Demokratie.“ Er verweist wie viele Kritiker auf das Grundgesetz und das Bundesverfassungsgericht, das auch polemische und scharfe Meinungen geschützt hat. „Meinungsfreiheit gehört allen. Sie schützt die Demokratie nicht nur, sie macht sie erst möglich.“
Was hilft nun gegen die Zensur? Mehr als darauf hinweisen bleibt kaum. Denn zwar verweist die Bundesnetzagentur auf den Rechtsweg, wie schwer der aber zu beschreiten sein dürfte, das haben Experten dem Magazin Mulitpolar gesagt. Der Weg durch die Instanzen sei in jedem Fall lang und teuer, wird der ehemaliger Richter Manfred Kölsch zitiert. „Ich sehe nicht, wer das machen wird.“ Volker Boehme-Neßler sagt dazu: „Es gibt eine Flut von Meldungen, da kommt kein Gericht hinterher.“
Ein kurzer Abstecher bei der Meldestelle selbst zeigt: REspect! und ähnliche Einrichtungen (laut Nius wollen elf weitere Stellen „vertrauensvolle Hinweisgeber“ werden) rufen zur Denunziation auf. Natürlich im Dienst der guten Sache. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Volksverhetzung und politisch motivierte Drohungen sind auch in den sozialen Netzwerken strafbar.“ Klar, keine Frage. Aber dafür gibt es die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden. „Wir wenden uns an alle, die im Netz auf Hasskommentare stoßen und etwas dagegen unternehmen möchten.“ Das gehe ganz einfach: „Meldemaske ausfüllen und abschicken.“ Auf der Website steht noch nichts von Fake News, sondern man melde „bei einem Verstoß gegen deutsches Recht“. Aber schon der Begriff „Hasskommentare“ ist, wie gesagt, schwammig. Und schaut man sich das Werbevideo an, dann soll die schiere Zahl an Meldungen mit dazu beitragen, die Gesetze zu verändern.
Übrigens: Der Blogger Hadmut Danisch, den die AfD in den Beirat des „Digital Service Coordinators“ berufen wollte, der aber nicht gewählt wurde, hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit der Meldestelle ausführlich aufgeschrieben und dieser Tage aus aktuellem Anlass nachgelegt. Man muss seine Sichtweisen nicht teilen (aber welche Sichtweisen muss man schon teilen?), um es empörend zu finden, dass er durch die Anzeige von REspect! letztlich sein Konto verlor. Für die Meldestelle vermutlich ein Erfolg. Wie sonst soll man diesen messen als mit Zahlen (über 70.000 Meldungen und über 20.000 Anzeigen stehen auf der Website von REspect!), solchen Beispielen und möglichst Gesetzesänderungen? Dass es keinen Hass mehr im Netz gibt? Dann bräuchte es die Meldestelle nicht mehr, was den Aktivisten auch nicht recht sein dürfte. Allerdings braucht es die Zensur-Hilfspolizei schon jetzt nicht. Darauf ein Helles. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.