Nachdem Călin Georgescu als Sieger aus dem ersten Wahlgang um das Amt des rumänischen Präsidenten im November hervorgegangen war, wurde die Stichwahl Anfang Dezember kurzerhand abgesagt. Der erste Wahlgang wurde annulliert, obwohl das Ergebnis zu keiner Zeit in Zweifel gezogen wurde. Angeblich soll Russland mittels TikTok die Wahl beeinflusst haben, wofür es keine Beweise gibt. Nun darf der aussichtsreichste Kandidat auf das Präsidentenamt, der laut Umfragen mit rund 38 Prozent der Stimmen deutlich vor seinen Konkurrenten liegt, nicht mehr zur Wiederholung im Mai antreten.
Kurz vor dem endgültigen Aus Georgescus gab es ein Treffen des französischen Botschafters in Bukarest, Nicolas Warnery, mit dem Vorsitzenden des rumänischen Verfassungsgerichts, Marian Enache, und mehreren weiteren Richtern. Wie der Sender Realitatea TV berichtete, hat der französische Diplomat hierbei eine „Botschaft der Unterstützung und Solidarität“ zur „Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der westlichen Verfassungswerte“ ausgesprochen.
Hintergrund dafür sind weniger Beweise gegen Georgescu, sondern die Adjektive, die für ihn Verwendung finden: „extremistisch", „rechtspopulistisch“, „rechtsextrem“, „prorussisch“, „ultrarechts“, „rechtsradikal“, „nationalistisch“ oder auch „russophil“. So weit – so bekannt. Wenig bis gar nicht bekannt dagegen ist, welche Sprache der unabhängige Kandidat spricht, welche Wörter er in seinen Reden benutzt und warum das alles bei vielen Menschen Anklang findet.
Zweimal bin ich in den vergangenen Wochen in Bukarest gewesen. Einmal zum Massenprotest am 1. März, über den ich in dem Multipolar-Artikel Nachtbus nach Bukarest berichtet habe. Das zweite Mal war ich am 11. März in der rumänischen Hauptstadt, als das Verfassungsgericht die erneute Kandidatur Georgescus endgültig ablehnte.
Mehrere tausend Menschen hatten sich an diesem Tag vor dem Parlamentspalast versammelt, um gegen die Entscheidung des Gerichtes zu protestieren. Darunter Freiwillige wie Anton Simona (die Frau mit den roten Haaren). Laut ihren Aussagen gibt es landesweit 600.000 Menschen, die Georgescu kostenlos unterstützen. Dass sie ohne Bezahlung Werbung für ihn machten, soll mit dazu geführt haben, dass dieser kein Geld vom Staat zurückverlangen kann, so wie andere Parteien es tun, nicht nur in Rumänien. Genau dies wird Georgescu vorgeworfen – dass er einen Wahlkampf ohne Kosten geführt habe. Simona betont, dass es sich dabei nicht um eine Kampagne gehandelt habe, sondern um einen „Aufruf für Freiheit, Demokratie, Frieden und Würde“ unter dem Motto „Einer für alle und alle mit Gott“.
Damit ist der Ton gesetzt. Denn Georgescu, der für eine friedliche Beilegung des Ukraine-Krieges ist und darüber hinaus die Nato-Mitgliedschaft seines Landes kritisch sieht, spricht nicht die übliche Politiker-Sprache. In seiner kurzen Ansprache, mit der sich der orthodoxe Christ nach dem endgültigen Aus seiner Kandidatur um das Präsidentenamt an seine Anhänger wendet, sagt er unter anderem, dass er um Frieden in der Welt bittet, dass er ein Friedenspräsident sein wolle und Bukarest als Hauptstadt des Friedens sehe. Er betont, dass es bei seinem Aufruf nicht um ihn ging, sondern um die, die ihn gewählt haben. Georgescu erklärt, dass es jeder andere hätte sein können. Das System akzeptiere aber niemanden von außerhalb des Systems. An seiner Stelle könne jeder Präsident werden, der die Wahrheit sage und das Wohl des Landes wolle.
Georgescu spricht sich dafür aus, dass Rumänen aus dem Ausland zurückkommen mögen. Damit habe er die EU am meisten verärgert, denn sie bräuchten Arbeitskräfte in allen Tätigkeitsbereichen. Er fragt, warum man keinen anderen Kandidaten über Korruption habe reden hören, obwohl Rumänien das korrupteste Land Europas sei? Wenn man die Wahrheit sage, so Georgescu, sei dies eine Todsünde. Dann würde man zensiert. Dann bringe man die Menschen dazu, in der Lüge zu leben. Das System sei körperlich und geistig gewalttätig. Georgescu ist davon überzeugt, dass die Gewalt vom System ausgeht und nicht von den Menschen.
Das System habe die Rumänen auf eine Probe gestellt. In der sogenannten Pandemie habe das „erste Experiment“ begonnen, als man die Menschen in ihre Häuser einsperrte, die Armee auf die Straße schickte und man ihnen Beerdigungen und den Gang in die Kirche verboten habe. Danach hätten nur noch wenige gesagt, dass das, was geschieht, nicht normal sei. Er habe lernen müssen, dass die meisten dazu neigen zu gehorchen. Man versuche um jeden Preis, die Menschen zur völligen Unterwerfung zu drängen. Diese hätten dadurch Gelegenheit gehabt, die Wahrheit mit eigenen Augen zu sehen. Es scheint, so Georgescu, dass Demokratie und Freiheit in diesen Momenten ihren letzten Atemzug tun würden.
Die Mission, sich zum Besseren zu verändern, obliege einem ganzen Land und nicht einem einzelnen Mann. Man habe oft über die Berufung füreinander und aller vor Gott gesprochen. Die Menschen seien jetzt diejenigen, die entscheiden müssten, was sie für eine Zukunft wollten. Georgescu habe, so sagt er, den Dämon in seiner ganzen Abscheulichkeit entlarvt. Nachdem man gesehen habe, wie die Hölle aussieht, möge nun jeder selbst entscheiden, ob er einen Pakt mit dem Teufel schließt. Er hoffe, dass er in den vergangenen Monaten Geist und Seele für die Wahrheit geöffnet habe.
Georgescu fordert seine Landsleute auf, ehrlich zu sein. Er sei so weit gekommen, weil alle aus der Ferne zugesehen haben. Weil man dachte, es würde jemand kommen, der an ihrer Stelle handelt. Aber so etwas sei nicht möglich. Falsch sei auch gewesen, es 35 Jahre lang anderen zu überlassen: „Die EU für das Geld, die Nato für die Verteidigung und die USA, um uns zu retten.“ Nun sei man nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden. Georgescu sieht seine Mission als erfüllt an. Das rumänische Volk sei erwacht, um sich selbst zu retten. Dies sei nicht seine Mission oder die eines einzelnen Mannes.
Nicht wenige Rumänen vergleichen die heutige Zeit mit der Wende von 1989. In der Region haben sich damals viele wieder dem christlichen Glauben zugewandt. Einerseits, weil dieser zuvor bestenfalls wohlgelitten war. Aber andererseits auch auf der Suche nach Alternativen zur untergegangenen Ideologie. Dies war in Deutschland anders, da ist man vor allem dem Mammon hinterhergerannt. Auch bei der Zahl der menschlichen Opfer gab es Unterschiede. Offiziell gab es 1989 im Zuge der „rumänischen Revolution“ 1.104 Tote und 3.352 Verletzte. Im Gegensatz zur DDR, wo die Wende als „friedliche Revolution“ in die Geschichte einging.
Aus dieser Erfahrung heraus ist man in Rumänien heute wacher, was Krieg und Gewalt angeht, aber natürlich auch aufgrund der Tatsache, dass das Land eine Grenze zur Ukraine hat. Die Freiwillige Anton Simona und ihre Kolleginnen sorgen sich um einen möglichen Krieg in Rumänien. Im Moment sei noch nicht klar, ob es ein Bürgerkrieg oder das aktive Eintreten in den Ukraine-Krieg werden wird.
Die Frauen weisen auf die drei Nato-Basen in ihrem Land hin, von denen aus ein möglicher Angriff auf Russland starten könnte. Denn sie sind davon überzeugt, dass die EU Krieg wolle. Ein Bürgerkrieg wäre da noch die „bessere Lösung“. Sie möchten auf keinen Fall, dass ihr Land zum Ausgangspunkt eines neuen großen Krieges wird.
Auch Nonnen sind bei dem Protest vor dem Parlamentspalast. Mehrfach beten sie das „Vater unser“. Ich spreche mit Theo (der Mann mit den grauen Haaren auf dem Bild unten), der Rumänien am Anfang einer Diktatur sieht und deswegen zu Gott betet. Er ist davon überzeugt, dass Gott die Rumänen nicht allein lassen wird, denn er habe sie auf ihrem Weg an diesen Punkt gebracht. Zum Schluss wird ein Priester über Megafon um Frieden bitten.
Auch die Neue Zürcher Zeitung findet biblische Worte für den aussichtsreichsten Kandidaten, der nun nicht mehr antreten darf. Das Blatt schreibt, dass sich Rumänien mit dem Ausschluss Georgescus einen „rechten Märtyrer“ schaffen würde.
Ein anderer dieser „rechten Märtyrer“ dürfte Diana Șoșoacă sein. Die rumänische Politikerin, die für ihre impfkritische Haltung und euroskeptische Rhetorik bekannt ist, war bereits von der Wahl im November ausgeschlossen worden, aus der Georgescu als Sieger hervorging. Nun wurde sie auch für die Wiederholungswahl im Mai nicht zugelassen. Und das, obwohl sie seit Juli 2024 für die Partei SOS Rumänien im europäischen Parlament sitzt.
George Simon, Vorsitzender der Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), der zweitgrößten Partei bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr und bisheriger Unterstützer Georgescus, darf dagegen antreten. Laut Politicio gab das rumänische Wahlbüro die Entscheidung am Samstag bekannt. Das letzte Wort ist aber auch hier noch nicht gesprochen, denn erst muss noch das Verfassungsgericht seiner Kandidatur zustimmen.
Berichte, Interviews, Analysen
Freie Akademie für Medien & Journalismus