Die Aufregung ist groß. Diese Reichen. Erst Elon Musk und nun auch noch Jeff Bezos. Machen einfach nicht das, was wir für richtig halten. Der Anlass scheint vergleichsweise klein und durch die deutsche Brille auch ein wenig merkwürdig. Bezos, Jahrgang 1964, Amazon-Gründer und seit 2013 auch Besitzer der Washington Post, hat der Redaktion verboten, die Wahl von Kamala Harris zu empfehlen, und damit eine Tradition beendet, die bis in die 1980er zurückgeht. Die Journaille schäumt und zählt in einer Art Liveticker Rücktritte, Proteste und Abokündigungen mit. 200.000, 250.000. Bis dieser Text erscheint, bestimmt noch ein paar mehr. Das hat er nun davon, dieser Tyrann. Soll er doch Verluste machen.
Die Bildschirmtäter beschwören „die Trennung von Redaktion und Verlag", die es so allenfalls in Sonntagsreden gibt, haben Mitleid mit den Kollegen (die Empfehlung war ja schon geschrieben) und psychologisieren. Bezos, da ist man sich einig, knickt ein vor Trump. Aufträge von der nächsten Regierung, für Blue Origin zum Beispiel, noch ein Bezos-Unternehmen, das mit Staatsgeld zum Mond will.
Kann sein. Wer steckt schon drin im Kopf von Multimilliardären. Statt sich dort investigativ hineinzubohren, hätte man einfach auch das diskutieren können, was dieser Jeff Bezos selbst gesagt hat. Ich zitiere das hier in einer leicht redigierten KI-Übersetzung:
In den Umfragen über Vertrauen und Ansehen sind Journalisten und Medien regelmäßig ganz unten gelandet, oft knapp vor dem Kongress. Aber in der diesjährigen Gallup-Umfrage haben wir es geschafft, unter den Kongress zu fallen. Unser Berufsstand genießt nun das geringste Vertrauen von allen. Irgendetwas, das wir tun, funktioniert eindeutig nicht. Lassen Sie mich eine Analogie anführen. Wahlmaschinen müssen zwei Anforderungen erfüllen. Sie müssen die Stimmen genau zählen, und die Menschen müssen glauben, dass sie die Stimmen genau zählen. Die zweite Anforderung unterscheidet sich von der ersten und ist genauso wichtig wie diese. Ähnlich verhält es sich mit Zeitungen. Wir müssen genau sein, und man muss uns glauben, dass wir genau sind. Es ist eine bittere Pille, die wir schlucken müssen, aber wir scheitern an der zweiten Voraussetzung. Die meisten Menschen glauben, dass die Medien parteiisch sind. Jeder, der das nicht sieht, schenkt der Realität kaum Beachtung, und wer die Realität bekämpft, verliert. Die Realität gewinnt immer. Es wäre einfach, anderen die Schuld für unseren Verlust an Glaubwürdigkeit (und damit an Einfluss) zu geben, aber eine Opfermentalität wird uns nicht weiterhelfen. Sich zu beschweren, ist keine Strategie. Wir müssen härter daran arbeiten, das zu kontrollieren, was wir kontrollieren können, um unsere Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Die Empfehlung von Präsidentschaftskandidaten hat keinen Einfluss auf den Ausgang einer Wahl. Kein unentschlossener Wähler in Pennsylvania wird sagen: „Ich nehme die Unterstützung von Zeitung A an.“ Keiner. Was die Unterstützung durch den Präsidenten tatsächlich bewirkt, ist der Eindruck der Voreingenommenheit. Eine Wahrnehmung der Nicht-Unabhängigkeit. Ihre Abschaffung ist eine prinzipielle Entscheidung, und es ist die richtige Entscheidung. Eugene Meyer, Herausgeber der Washington Post von 1933 bis 1946, dachte genauso, und er hatte Recht. Allein der Verzicht auf die Unterstützung von Präsidentschaftskandidaten reicht nicht aus, um uns auf der Vertrauensskala weit nach oben zu bringen, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Das Problem ist: Deutsche Journalisten sehen nicht, dass sie einen Teil ihres Publikums verloren haben. Deutsche Journalisten bekämpfen die Realität. 82 Prozent denken, „dass man dem Großteil der Nachrichten in Deutschland meist vertrauen“ kann und 74 Prozent halten den Journalismus für glaubwürdig. Vorgaben von Staat und Regierung? Zwei Prozent. „Einfluss durch Mächtige aus der Politik“? Elf Prozent. „Den Kontakt zu Menschen wie mir verloren“? 14 Prozent.
Die letzte Zahl ist natürlich zweischneidig, da Journalisten vor allem mit Journalisten zu tun haben und zuallererst für die Kollegen schreiben. 41 Prozent der Befragten sagten, dass sie den Grünen nahestehen. SPD 16, CDU 8, AfD null. Noch Fragen? Was ist schief gelaufen in der akademischen Ausbildung, wenn 98 Prozent der Befragten erwarten, dass Journalisten „Meinungen“ und „Fakten“ klar trennen? Woher kommt die Hybris, die knapp zwei Drittel dazu bringt, dem Journalismus einen „großen“ Einfluss auf die Politik zu attestieren, und im Berufsstand zugleich den Eindruck wachsen lässt, es gebe niemanden, der in eine Redaktion hineinregieren kann?
All das steckt drin in diesem Statement von Jeff Bezos. Natürlich sagt der Besitzer, wo es langgeht. Das wollen all die Angestellten nicht hören, die auch in Deutschland für ultrareiche Familien anschaffen. Ich habe dazu ja gerade zwei Videos gemacht. Die „vierte Gewalt“ in der Hand von einigen wenigen ultrareichen Familien und der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Würgegriff der Politik. Warum das die Insassen nicht sehen? Casting, Ausbildung, Herkunft. Marcus Klöckner, ein Arbeiterjunge, der es gegen jede Wahrscheinlichkeit zu etwas bringen konnte in der schreibenden Zunft, hat das Feld schon vor Jahren seziert – ein sozial ziemlich homogenes Feld, das vom „Habitus der Mittelschicht“ dominiert wird, „auf Anpassung ausgerichtet“, programmiert auf „die Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse“.
Der Journalismus hat dieses Buch seinerzeit genauso ignoriert, wie er jetzt Jeff Bezos verdammt oder verkürzt und auch hierzulande alle madig macht, die den Meinungskorridor ein wenig öffnen wollen. Burkhard Ewert von der Neuen Osnabrücker Zeitung, den Schwäbischen Verlag, der angeblich auf „Rechtskurs“ ist, oder Holger Friedrich, der wie Bezos von außen in die Branche kam und vom ersten Tag an für das bekämpft wurde, was er aus der Berliner Zeitung machen will. Ich bewundere die Kollegen, die solche Attacken aushalten. Niemand möchte aus der Herde ausgestoßen werden, auch kein Journalist. Man kann sich zwar mit Bezos trösten und davon ausgehen, dass die Realität gewinnt, wann das aber passiert, hat er wohlweislich nicht gesagt.
Titelbild: Jeff Bezos, 7. April 2021