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Buch-Tresen | 27.11.2025
Eric Ambler – neu gelesen
Hochfinanz und Rüstungsindustrie, Zensur und Krieg: Unser Autor empfiehlt sechs Polit-Thriller aus Amblers erster Schaffensperiode von 1936 bis 1940.
Text: Apostolos Katsikaris
 
 

Die erste Begegnung mit Eric Ambler (1909 bis 1998) traf mich in Studienzeiten, als ich in einem Antiquariat herumstöberte. Es war der Titel, der mich überraschte: Die Maske des Dimitrios. Dass der Vorname meines Vaters darin vorkam, ließ mich überhaupt erst das Buch erwerben.

Insgesamt achtzehn Romane, Kurzgeschichten und zwei Autobiographien bilden neben Drehbüchern für die Filmindustrie sein Hauptwerk. All das hier gründlich vorzustellen, ist nicht das Anliegen. Vielmehr treten anhand einzelner Passagen der Bücher seine politischen Einstellungen hervor.

Ambler hat das Genre des politischen Thrillers neu erfunden. Autorenkollegen wie Graham Greene, John le Carré und Ian Fleming, mit dem er befreundet war, sprachen ihre Bewunderung aus. Seine Helden stolpern als Journalisten, Juristen, Schriftsteller, Handelsvertreter, Wissenschaftler oder Kriminelle in die Unwägbarkeiten der jeweiligen Fälle. Deren Auflösung gelingt nicht immer perfekt; wichtig ist für Ambler das Einweben eines politisch-historischen Stranges in die Handlung. Und diese Stränge haben einen realen Hintergrund.

Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf verschiedene Weltregionen und Länder, ein Unterschied zu manch anderen Thriller-Autoren. Der Balkan, Zentralafrika, Zentralamerika und Südostasien. Ebenso Deutschland, die Schweiz, Italien, Frankreich, die Levante und fiktive Staaten, die sich allerdings geographisch leicht zuordnen lassen. Amblers Biograph Stefan Howald sagt:

Das Bemühen um eine aufklärende Darstellung historisch-politischer Ereignisse verknüpft sich mit dem Interesse an sozial abweichendem Verhalten.

Der Sprödigkeit dieser Worte sollte eine Ergänzung folgen: Amblers Motive entspringen dem Interesse an Kabalen, Konflikten und Kriegen, die in ihrer Komplexität durch das persönliche Schicksal der Figuren eher zu erfassen sind. Dabei werden die Charaktere in politische Machenschaften verstrickt, die sie selbst nicht steuern können. Die historischen Begebenheiten sind kein grelles Beiwerk, tauchen episodenhaft eingewoben auf. Sie brechen beispielsweise heraus, bei Monsieur Mathis in dem Buch Die Angst reist mit (1940), der seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg wie folgt schildert:

Haben Sie schon mal von Briey gehört, Monsieur? Aus den Gruben im Gebiet von Briey kommen 90 Prozent von Frankreichs Eisenerz. 1914 sind diese Gruben den Deutschen in die Hände gefallen. (…) Nach dem Krieg haben sie zugegeben, dass sie ohne dieses Eisenerz von Briey schon 1917 erledigt gewesen wären. Ja, sie haben Briey tüchtig ausgebeutet, das können sie mir glauben. Ich war in Verdun. Jede Nacht haben wir den Feuerschein am Himmel beobachtet – von den Hochöfen von Briey, die die deutschen Geschütze speisten. Unsere Artillerie und die Bombenflugzeuge hätten diese Hochhöfen in Schutt und Asche legen können. Aber unsere Artillerie ist stumm geblieben; ein Flieger, der eine einzige Bombe (…) abgeworfen hat, ist vors Kriegsgericht gekommen. Warum? (…) Weil es einen Befehl gab, dass Briey nicht angerührt werden sollte. Von wem kam der Befehl? (…) Von Monsieur de Wendel, dem die Gruben und Hochöfen von Briey gehörten. Wir haben um unser Leben gekämpft, aber unser Leben war nicht so wichtig wie der Besitz des Monsieur de Wendel, der erhalten werden sollte, der fetten Profite wegen. Nein, es ist nicht gut, wenn die, die kämpfen, zu viel wissen. Große Reden – ja. Die Wahrheit – nein! (…) Wenn wir solche Geschichten erst zu hören bekommen, nachdem sie passiert sind, so heißt das doch nicht, dass im Augenblick keine solchen Geschichten passieren. Wenn ich an Krieg denke, dann denke ich auch an Briey. Und das erinnert mich daran, dass ich ein kleiner Mann bin, der nicht alles glauben darf, was ihm vorgeredet wird.

Bildbeschreibung Bild: Der Bahnhof von Briey vor 1914. Foto: Scanné par Claude villetaneuse, Public domain

In Die Maske des Dimitrios (1939) jagt ein Kriminalschriftsteller einem Verbrecher nach. Seine Verschlagenheit fasziniert ihn. Es handelt sich um einen Mörder, der in Erzählungen über seine Taten vorgestellt wird. Als Überlebender der Massaker von Smyrna, dem heutigen Izmir, macht er als Krimineller Karriere. Er unterhält den Leser mit einem Zeugnis von Betrügereien und Intrigen, mit denen sich in der Zwischenkriegszeit hohe Gewinne erzielen ließen. Die Suche nach dem Verbrecher erinnert an Graham Greene, Der dritte Mann, von Orson Welles 1949 verfilmt. Es ist augenscheinlich, dass sich Greene bei Ambler bediente, wie der Filmkritiker Philip French 1999 bemerkte.

In Amblers Erstlingswerk Der dunkle Grenzbezirk (1936) gerät der Wissenschaftler Henry Barstow in eine Intrige, die ihn in das fiktive Balkanland Ixanien verschlägt. Hin- und hergerissen zwischen seiner wissenschaftlichen Neugier und den Manipulationen seines Auftraggebers, denkt sich Barstow in Rage:

„Das Gleichgewicht der Kräfte muss erhalten bleiben“, murmelte der Professor vor sich hin. Hatten die Leute das nicht schon seit Jahrhunderten gesagt? (...) Und doch hatte es immer wieder Kriege gegeben, und es sah ganz so aus, als ob es immer wieder Kriege geben würde. (…) Was konnte man erwarten, solange Menschen, die Frieden wollten, glaubten, Kriegsvorbereitungen seien die beste Garantie für die nationale Sicherheit? (…) von jenen, die zum Zwecke der Befriedigung ihrer Privatinteressen ökonomische und soziale Situationen schufen, die nach Krieg geradezu schrien.

Sein Auftraggeber, ein Waffenhändler, klärt den Professor über Lizenzen auf:

Sehen Sie: Im Weltkrieg 14-18 stellte eine englische Waffenfirma eine Unzahl Zünder eines besonderen Typs zum Gebrauch in der englischen Armee her. Nach dem Krieg hat die Inhaberin des Patents, eine renommierte deutsche Firma, eine hohe Summe an Lizenzgebühren eingefordert. Die Sache wurde freundschaftlich geregelt, außergerichtlich natürlich.

Der Waffenhändler präsentiert diese Absprache als „Gentlemen-Agreement“. Patente für Kriegsgeräte geraten zur rein geschäftlichen Angelegenheit, die Ermordeten fallen weg. Dieses rüstungshistorische Ereignis spielt auf die Gelder ab, die der deutsche Konzern Krupp vom englischen Konzern Vickers nach dem Ersten Weltkrieg forderte und auch bekam.

Bildbeschreibung Bild: Artillerie-Zugmaschine Krupp-Daimler (1937). Foto: Hermann Schirmer, Public domain

In Nachruf auf einen Spion (1938) steht Joseph Vadassy, ein jugoslawischer Sprachlehrer ungarischer Herkunft, im Verdacht, Militäreinrichtungen an der Côte d‘Azur fotografiert zu haben. Seine Hoffnung, die französische Staatsbürgerschaft zu erhalten, schwindet. Der ungültige Pass ist der Polizei suspekt, die faktische Staatenlosigkeit ein Hebel für seine Mitarbeit. Grenzziehungen (Vertrag von Trianon 1919/1920) und die politischen Realitäten machen aus ihm einen Flüchtling. Im Hotel, in dem er abgestiegen ist, wird er zum täppischen Beschatter der anderen Gäste. Ambler skizziert mit dieser Spionagegeschichte die Atmosphäre Europas vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

In Anlass zur Unruhe (1938) verschlägt es den englischen Ingenieur Nicholas Marlow nach Mailand. Die Kriegsvorbereitungen laufen auf Hochtouren. Er arbeitet für ein Unternehmen aus England, das dem faschistischen Italien Maschinen für die Herstellung von Waffen liefert. Während eines Gesprächs rechtfertigt sich Marlow mit einer altbekannten Phrase: „Jemand muss die Arbeit ja auch tun.“ Die Antwort ist niederschmetternd:

Die ewige Antwort auf das Evangelium des Königs Profit. Die Industrie hat nur den einen Zweck, nur das eine Ziel, die Bedürfnisse der Geschäftswelt zu befriedigen. Nachfrage ist etwas Heiliges. Ob es die Nachfrage nach hochexplosiven Stoffen für die Abschlachtung von Zivilisten ist oder nach chemischem Dünger, ob es sich um Granaten oder Kasserollen handelt (…) oder um Kinderwagen, es ist alles eins. Kein Unterschied. Der Geschäftsmann hat keine andere Verantwortung, als für sich und seine Aktionäre Profit zu machen.

Marlows Antwort wirkt infantil: „Das hat alles nichts mit mir zu tun.“ Sein Gegenüber bleibt unerbittlich: „Natürlich nicht. Sie sind nur der, der es möglich macht.“

Wie Unternehmen das Weltgeschehen instrumentalisieren, beschreibt Ambler in Ungewöhnliche Gefahr (1937). Der Disput zwischen zwei Ländern über ein Gebiet soll einem Ölkonzern Bohrkonzessionen einbringen. Ein Journalist mit Spielschulden nimmt aus Not einen Auftrag an. Er kostet ihn fast das Leben, weil er dem Ölkonzern in die Quere kommt. Der Journalist bringt in Gedanken eine Litanei hervor, die seinen übermächtigen Gegner charakterisiert:

Nicht reiflich erwogene Entschlüsse von Staatsmännern lenkten das Schicksal der Nationen, sondern Wirtschaftsmächte. Die Außenminister der Großstaaten folgten zwar den offiziellen Richtlinien ihrer Regierungen, gemacht wurde die Politik aber von den Männern des Big Business, also von Bankiers und ihren Trabanten, von Waffenfabrikanten, Ölgesellschaften und Großindustriellen. Big Business schuf und schürte Krisen, wie es ihm gerade passte. (...) Big Business ist nicht der einzige Spieler auf der Weltbühne, aber er ist der Spieler, der die Spielregeln macht.

Amblers erste Romane können heutzutage auf zweierlei Weise gelesen werden: als Thriller, die Faschismus, Konflikte, Manipulationen, Zensur und Kriegsvorbereitungen mitsamt ihren Auswirkungen einbeziehen – als politische Farbkleckse, die den Thrillern den nötigen Schwung geben. Oder als Romane mit der Mahnung, dass sich die Welt, die er vor Jahrzehnten beschrieb, in den Grundmustern nicht allzu sehr von der gegenwärtigen unterscheidet. Sollte nach dem Lesen die letztgenannte Erkenntnis überwiegen, so sind Ähnlichkeiten mit aktuellen Geschehnissen und Ereignissen rein zufällig.

Bildbeschreibung

Apostolos Katsikaris hat im März 2025 am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Friedhof und Beinhaus von Douaumont in der Nähe von Verdun. Foto: Jean-Pol Grandmont, CC BY-SA 3.0