Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. In den Sendeanstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) hat die Verschwendung unserer Beiträge ein unerträgliches Maß erreicht. Der deutsche ÖRR ist der teuerste der Welt. Als die Ministerpräsidenten der Länder bei ihrem Treffen in Leipzig Ende Oktober 2024 den Reformstaatsvertrag beschlossen, gerieten erstmals auch die exorbitanten Intendantengehälter in den Fokus, die sich künftig an der Bezahlung im öffentlichen Dienst orientieren sollen. Das ist bitter nötig, denn der höchstbezahlte Intendant, Tom Buhrow im WDR, bekam mit 413.100 Euro im vergangenen Jahr weit mehr Geld als der Bundeskanzler (265.000 Euro). Das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn die Bezüge und Altersrückstellungen in den Chefetagen der Sender orientieren sich an diesem Niveau. Im Reformstaatsvertrag geht es darüber hinaus lediglich um Einsparungen durch Streichungen im Programm. Das alles ist nur ein Herumdoktern an den Symptomen des chronisch fettleibigen Patienten ÖRR. Es geht nicht um Inhaltliches, auch nicht um den Programmauftrag oder um die Zusammensetzung der Rundfunk- und Verwaltungsräte, die die Anstalten kontrollieren sollen, also die demokratische Verfasstheit des ÖRR. Die Beitragszahler, über deren Geld verhandelt wurde, werden weder gehört noch in Entscheidungen eingebunden.
Der ÖRR in Deutschland ist gezeichnet von starker Abhängigkeit und Gleichklang mit der Politik. Er steht von allen Seiten in der Kritik: Knapp vier Millionen Beitragszahler haben die Zahlungen eingestellt, Mitarbeiter äußern ihre Unzufriedenheit, und selbst die Rundfunkverantwortlichen haben die Notwendigkeit von Reformen erkannt. Aktuelle Umfragen und die Wahlergebnisse haben das ihrige dazu beigetragen. Objektivität und Unparteilichkeit in der Berichterstattung, Meinungsvielfalt und Ausgewogenheit im Programm waren im Medienstaatsvertrag von 2020 in Paragraf 26 festgeschrieben. In der seit Juli 2023 gültigen Fassung geht es nur noch darum, „eine möglichst breite Themen- und Meinungsvielfalt ausgewogen" darzustellen. Aber selbst das funktioniert nicht, wie die vielen Programmbeschwerden zeigen. Statt Meinungsvielfalt wird Definitionsmacht präsentiert.
Der einfache Bürger, der beispielsweise als Arbeiter, Handwerker oder in einem sozialen Beruf täglich für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgt, kommt im Programm kaum noch vor (allenfalls gegen Mitternacht, wenn er längst schläft). Der einfache Bürger fühlt sich weder wahrgenommen noch repräsentiert. Stattdessen erlebt er Belehrung und Bevormundung. Die öffentliche Meinung ist weit entfernt von der veröffentlichten Meinung. Mit der Initiative Leuchtturm ARD stehen Woche für Woche Mahnwachen vor den Funkhäusern und fordern „einen Dialog auf Augenhöhe" – "zum Wohle eines mutigen und unabhängigen Journalismus“.
Als Bürger und Rezipienten der Medien gehen wir seit einigen Jahren der Frage nach, worin die Ursachen für die allgemeine Unzufriedenheit mit dem ÖRR liegen, und machen Vorschläge für die Verbesserung der Situation. Unsere Vision vom ÖRR formulierten wir im Buch Medienträume. 33 Kritiker der Leitmedien suchten dafür im transdisziplinären Dialog mit Wissenschaft und Praxis nach Lösungen und verfassten ein „Bürgerbuch zur Zukunft des Journalismus“. Die „Realen Utopien“ sind von sieben Arbeitsgruppen in Zwickau, München, Leipzig, am Tegernsee sowie deutschlandweit (online) im Rahmen einer Bürgerkonferenz von Mai bis Dezember 2021 entstanden.
Die fünf Statements unserer Vision lauten:
Darüber hinaus schlagen wir die Weiterentwicklung des ÖRR hin zu einer öffentlich-rechtlichen Medienplattform als gesellschaftliche Kommunikationsplattform vor. Unsere Idee knüpft an viele Vorschläge an, wie zum Beispiel an diesen von Michael Meyen: „Warum gibt es nicht längst eine öffentlich-rechtliche Plattform, die leicht und für immer alles zugänglich macht, was wir ohnehin schon bezahlt haben?“ Das ZDF arbeitet in einem Forschungsprojekt an einer eigenen Social-Media-Plattform, um „den offenen Dialog in der Gesellschaft nicht den amerikanischen Großplattformen zu überlassen“. Die vielfältigen Überlegungen zu Medienplattformen zeigen, dass diese Idee reif ist für die Umsetzung und dem entspricht, was sich viele Menschen wünschen.
In der Weiterentwicklung des ÖRR zur Medienplattform sehen wir eine wirkmächtige Möglichkeit, wie die öffentlich-rechtlichen Medien aus der Krise herauskommen können und gleichzeitig wieder ein schlagkräftiges Werkzeug für eine funktionierende Demokratie werden. Artikel 5 (1) des Grundgesetzes kann damit umgesetzt werden:
Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
In unserer Idee stellen wir den Bürger in den Mittelpunkt, der die Medienplattform für unterschiedliche Aktivitäten des täglichen Lebens nutzt. Die Medien-Plattform soll aus mehreren Komponenten bestehen (siehe Bild).
Ein zentraler Teil wird die Video-Streaming-Plattform sein, wo sich unter anderem die TV-Sender wiederfinden. Aber auch jeder Bürger kann seinen Beitrag dort hochladen und anderen zur Verfügung stellen. Der Nutzer kann sofort einen Kommentar zum Beitrag auf die Plattform stellen. Dadurch kommt es zeitnah zu einer Rückkopplung mit dem Verfasser. Es wird nicht mehr unidirektional gesendet, sondern es entsteht ein Dialog zwischen Sender und Empfänger. Aus den Rückmeldungen kann eine Bewertung des Beitrags abgeleitet werden. Damit können Ranglisten erstellt und die Nutzer auf empfehlenswerte Beiträge hingewiesen werden. Das kann auch eine Orientierungshilfe sein, wenn man sich mit einem Thema erstmals beschäftigen möchte. Der Nutzer kann sich Playlisten erstellen und dort auf sehenswerte neue Beiträge aufmerksam gemacht werden. Weitere Komponenten sind vorgesehen für Audio-Streams (Radio), Chats, Post (sichere E-Mails) oder Blogs.
Ein Online-Lexikon soll ebenfalls in die Plattform integriert werden. Dieses soll von den Nutzern erstellt werden und die Unzulänglichkeiten von Wikipedia überwinden. Die Plattform kann eine eigene KI enthalten, die mit dem Wissen der Nutzer trainiert und für eigene Fragestellungen genutzt werden kann. Die Inhalte der KI sind dadurch unabhängig von KI-Programmen in privater Hand, deren Inhalte entsprechend eingeschränkt sein können. Von der Plattform aus soll es auch einen Zugang zum World Wide Web über eine unabhängige Suchmaschine geben.
Neben den Bürgern sollen die öffentlich-rechtlichen und privaten Medien, Zeitungen, Organisationen, Vereine, Parteien und weitere Gruppierungen auf dieser Plattform vertreten sein. Gleichzeitig bleibt für diejenigen, die ihren Medienkonsum nicht ändern wollen, alles so, wie sie es bereits kennen. Diese Menschen nutzen dann eben nur einen kleinen Ausschnitt.
Die öffentlich-rechtliche Medienplattform wird allen Bürgern die Möglichkeiten bieten, nach eigenen Interessen auszuwählen, was sie sehen, hören oder lesen möchten, selbst zu veröffentlichen und in der Medienlandschaft aktiv zu werden, sicher zu kommunizieren – auch mit Behörden und Organisationen oder Vereinen. Der individuelle Zugang könnte beispielsweise über die Anmeldung bei „Deutscher Bundestag – Petitionen“ erfolgen, sodass jeder Mensch genau einen persönlichen und rechtlich bindenden Zugang zur Medienplattform erhält. Auch wenn der Nutzer mit einem Pseudonym auf der Plattform agiert, muss er bei Gesetzesverstößen einfach zu identifizieren sein. Die gesetzliche und technische Basis der Plattform sind das Grundgesetz, der Medienstaatsvertrag und der Pressekodex sowie die heutigen technischen Möglichkeiten, zum Beispiel die verfügbaren Serverkapazitäten. Die Regeln zur Benutzung sind so einfach wie die Regeln im Straßenverkehr.
Jeder Einzelne kann aktiv werden, und jeder ist eingeladen, sich einzubringen. Die Nutzer selbst sind die Moderatoren der Plattform. Ein breit gefächerter Meinungsaustausch ist erwünscht. Nur durch den Streit der Meinungen kann es zu Erkenntnisgewinn und demokratischer Konsensbildung kommen oder wenigstens zur Akzeptanz des jeweils Anderen. Es werden alle Meinungsäußerungen möglich sein, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind. Eine Regulierung, wie sie von großen Teilen der Politik und der öffentlichen Medien für digitale Netzwerke gefordert wird, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Entscheidend sind Rechte und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland. Eine Zensur findet wirklich nicht statt. Als Kontrollorgan schlagen wir einen Publikumsrat vor, bestehend aus gewählten Beitragszahlern.
Die Rolle des ÖRR in der Plattform ist vielschichtig: Einerseits soll er der Betreiber sein und die von den Bürgern entrichteten Rundfunkgebühren für die Finanzierung verwenden. Andererseits kann er aufgrund seiner Reichweite im Netz Standards setzen und dabei helfen, die in der Medienplattform enthaltenen Alternativen zu den großen privaten Plattformen (YouTube, Instagram) bekannt zu machen. Das hilft dabei, die Nutzerdaten zu schützen und (willkürliche) Inhaltslöschungen zu umgehen. Besonders die Nutzerdaten sind ein begehrtes Gut und können mit einer öffentlich-rechtlichen Plattform am besten geschützt werden. Des Weiteren müssen die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Inhalte so aufarbeiten, dass sie den Erfordernissen der Plattform angepasst sind, etwa durch eine vertiefende Vernetzung.
Die öffentlich-rechtliche Medienplattform bietet mit der vielfaltssichernden Demokratisierung der Medienlandschaft auch die Möglichkeit der gleichberechtigten Informationsbeschaffung. Die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft stehen im Mittelpunkt der Idee für diese Plattform. Die Partizipation der Bürger ist allumfassend und geht weit über den in vielen Vorschlägen geforderten Rückkanal zur Kommunikation zwischen Medienkonsumenten und Medienproduzenten hinaus. Der Nutzer hat die größte Macht und Kontrolle. Fehler und Ungerechtigkeiten können somit schneller entdeckt und einfacher gelöst werden. Juristische Überprüfungen sind jederzeit durch Anwälte oder Behörden möglich. Es gilt das deutsche Recht, insbesondere das Urheberrecht, und Verfehlungen können entsprechend geahndet werden.
In einer breiten Diskussion muss sich die Gesellschaft verständigen, wie der neue Programmauftrag des ÖRR aussehen soll. Das auf Betreiben von Altkanzler Adenauer 1963 als Gegengewicht zum „Rotfunk ARD“ gegründete ZDF hat mittlerweile seine Daseinsberechtigung verloren. Die Berichterstattung hat sich vereinheitlicht. Die Vielzahl der Sendeanstalten ist generell infrage zu stellen. Andererseits soll die Lokalberichterstattung nicht verloren gehen.
Welche Inhalte sollen neben Information, Bildung und Kultur über den Rundfunkbeitrag finanziert werden? Denkbar wäre beispielsweise ein Bezahlangebot für Unterhaltung, Filme und Sport. Die Höhe des Beitrags könnte erheblich reduziert werden, wenn er nur für das Betreiben der Plattform und für die Erarbeitung des vereinbarten Programms benötigt wird. ARD und ZDF nahmen 2023 über neun Milliarden Euro Rundfunkgebühren ein. Das Jahresbudget von Al-Jazeera beträgt für die rund 3.000 Mitarbeiter ungefähr 370 Millionen Dollar. Der neue Radiosender Kontrafunk hat ein Jahresbudget von zwei Millionen Euro. Damit produziert er ein hochwertiges Programm. Dies sind nur zwei Beispiele für niveauvolle Angebote mit wesentlich weniger Budget.
Wir setzen uns für den Erhalt der Idee ÖRR ein. Die Sendeanstalten halten wir allerdings nicht mehr für reformfähig. Sie sollten abgewickelt und enteignet werden. Danach ist die Neugründung in Form einer öffentlich-rechtlichen Medienplattform möglich. Dadurch können der Programmauftrag des ÖRR und das Recht jedes Bürgers auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 5 Grundgesetz am besten unter einem Dach vereint werden.
Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein.
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