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Medien-Tresen | 10.10.2025
Ein Drohnenmärchen
Die Süddeutsche Zeitung hat eine neue Rubrik „Bedrohung durch Russland“ – und auch viele andere Medien machen Angst.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Es war einmal vor gar nicht allzu langer Zeit, da schwirrten überall kleine Flugobjekte über den Köpfen der Menschen. Es surrte und brummte wie an einem Bienenstock, und viele hatten mindestens so viel Angst wie vor einer Biene. Es waren zwar keine unbekannten Flugobjekte, aber Flugobjekte unbekannter Herkunft. Drohnen. Wie die männliche Biene. Diese Drohnen schwebten aus dem Osten ein. Natürlich. Denn aus dem großen Land im Osten, dem dunklen Land hinter dem Meer und den Bergen brach seit einigen Jahren, vielleicht schon seit einigen Jahrzehnten oder seit über einem Jahrhundert gar das Böse über die Menschen herein. Also auch die surrenden, schwirrenden, brummenden kleinen Dinger über den Köpfen, den Häfen, Flugplätzen und sonstigen Teilen der sogenannten kritischen Infrastruktur.

Die Menschen waren gebannt. Sie waren es gewohnt, an die Gefahr aus dem Osten zu glauben. Kritische Nachfragen waren nicht ihre Sache. Wer fragte, der lief Gefahr, als Freund des bösen Landes aus dem Osten und Feind des eigenen Landes verbrämt zu werden. Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Man baute eiserne Wände und einen Schutzschirm gegen die Flugobjekte und überlegte, wie man mehr Menschen für den ehrbaren Beruf des Soldaten begeistern konnte und ob nicht schon längst ein Spannungsfall bestand. Denn die Menschen waren angespannt und ängstlich. Sie ließen die gewähren, die ihnen das Drohnenmärchen erzählten – wie so viele andere Märchen zuvor. Und so bestand die Gefahr, dass viele von ihnen in dem Krieg sterben würden, für den sie tüchtig gemacht werden sollten. Mit der Angst, mit den Drohnen, mit dem Märchen. Und nur, wenn sie dann doch einmal hinterfragen, können sie über das Heute hinaus in Frieden leben. Ende.

Am Medien-Tresen haben wir uns gedacht, einmal eine andere Stilform zu versuchen. Was meinen Sie: Trifft dieser Versuch, die Angstmache vor den Drohnen in Märchenform zu gießen, die Lage? Angesichts der immer gleichen Mechanismen, der Angstmache und dem fehlenden Realitätsbezug vieler Medien fühlt man sich an ein (schlechtes) Kinderbuch erinnert. Und so haben wir das Drohnenmärchen des Mainstreams, dort verkauft als bare Münze, einmal als solches erzählt. Denn mit Ironie, sonst an dieser Stelle das Stilmittel Nummer eins, scheint man der Gegenwart kaum mehr beikommen zu können.

Die Lage wird ernster und die Medien drängender. Bei der Süddeutschen gibt es seit Kurzem eine neue Rubrik, mit der die entsprechenden Themen auf der Startseite zusammengefasst werden. Neben „Nahost“ oder „Bundeswehr“ heißt es dort „Bedrohung durch Russland“ (zum Beispiel auf der Startseite vom Montag). Denn dass Russland den Westen bedroht, ist im Mainstream Fakt – genau wie die Idee, dass das Land kurz vor dem Kollaps und einer Niederlage in der Ukraine steht. Okay, das war jetzt doch wieder etwas Ironie am Medien-Tresen oder aber einfach ein Hinweis auf die Kolumne von Felix Feistel, der auf dieses Paradox, erzeugt durch Propaganda, hingewiesen hat.

Wir haben es am Sonntag von oberster Stelle gehört: Friedrich Merz geht davon aus, dass die Drohnen aus Russland kommen. Er spricht von einer „ernsten Bedrohung für unsere Sicherheit“. Und die Medien machen mit. Da steht dann zwar weiter unten, dass es keine bewaffneten Drohnen waren („noch nicht“), aber die Überschrift gibt die Stimmung vor. Und wenn es um Bedrohungen, um Angstmache und mehr Soldaten und Waffen geht, dann stehen die Mainstream-Medien seit Jahren Gewehr bei Fuß. Mag dieses Sprachbild auch etwas ausgelutscht sein: Hier passt es perfekt.

Was steht nun wirklich hinter der Bedrohung, die durch den medialen Mainstream wabert und von der Politik bis zum potentiellen Spannungsfall eskaliert wird? Dazu gleich mehr. Vorher ein Schwenk in Richtung „Spannungsfall“, denn auch dieser wird natürlich ganz sachlich erklärt und die Diskussion mit einem dpa-Faktencheck relativiert. Man wird ja noch berichten dürfen, oder? Dass hinter einer Ausrufung, wie sie zum Beispiel CDU-Einpeitscher Kiesewetter gefordert hat, Zensur und Repression stehen, möglicherweise Zwangsdienst und Aussetzen der Grundrechte – all das liest man ungefiltert nur auf unserer Seite des journalistischen Feldes. Norbert Häring entlarvt dabei auch gleich die Desinformation im dpa-Faktencheck.

Aber wir wollten ja den Drohnen nachgehen oder vielleicht eher nachfliegen. Eine Zusammenfassung der Fakten lesen wir bei Florian Warweg auf den Nachdenkseiten:

So ziemlich alle „Russen-Drohnen“-Berichte der letzten Wochen aus Deutschland, Polen, Frankreich, Norwegen, Litauen und Dänemark haben sich mittlerweile als unbegründet herausgestellt. In Litauen waren es Zigaretten-Schmuggler, in Norwegen, beim Frankfurter Flughafen sowie beim Warschauer Präsidentenpalast „Hobbydrohnenpiloten“, die ihren Neuerwerb testen wollten. Die Bundeswehr sah sich gezwungen, SPIEGEL-Berichte zu angeblichen Überflügen zu dementieren. Auch in Dänemark legten Politik und Polizei den Rückwärtsgang ein. Ähnlich zeigt sich die Lage beim angeblichen „russischen Drohnen-Tanker“, den französische Spezialeinheiten medienwirksam am 27. September in internationalen Gewässern bei Saint-Nazaire aufgebracht hatten.

Drohnen sind mittlerweile ein Massenphänomen. Sich die Welt von oben anschauen, ein Foto aus ungewohnter Perspektive zu machen, vielleicht gar von startenden Flugzeugen: Das wollen viele. Und schwupps, schon ist da eine Drohne am Flughafen. Oder zwei, oder drei oder 1500 wie rund um den Flughafen Røssvoll in Norwegen. Eine mögliche Erklärung für die Zunahme von Drohnen an sensiblen Orten liefert Florian Warweg auch, der Hinweis kam von einem Kommentartor auf X – das ist wohl diese Schwarmintelligenz, vor der der Mainstream immer warnt. Demnach hat der größte Drohnen-Hersteller der Welt das „DJI FlySafe-System“ Anfang des Jahres umgestellt. Statt sensible Einrichtungen zu blockieren, werden private Nutzer nur noch gewarnt. Und wer wollte nicht schon mal ein wenig über die Stränge schlagen?

Die Politik macht dennoch Panik. Das kennen wir ja spätestens seit Corona. Florian Warweg zitiert die Berlin-Korrespondentin von EuroNews, Zara Riffler, die für die Propaganda und die Panikmache der Politiker deutliche Worte gefunden hat:

Ich glaube, das Land hat viel schwerwiegendere Probleme als Drohnensichtungen. Peinlich, wie wir uns damit verzweifelt aufhalten. Mal ehrlich: Packt endlich die echten Probleme an, an denen die Bürger im Land alltäglich leiden. Auf Seite 1 jeder Zeitung sollte jeden Tag stehen, wie es den Menschen im Land geht – was die Lösungen sein könnten. Nicht irgendwelche Mutmaßungen und Panik über Drohnensichtungen. Bitte wieder in der Realität ankommen. Danke.

Ein Bericht bei Telepolis ergänzt das Bild um Statements von Wladimir Putin, der darauf verweist, dass man gar keine Spionagedrohnen habe, die so weit fliegen könnten. Und die Frage, wem das ganze Drohnenmärchen nützt, wird dort auch gestellt:

Hamsterkäufe in Dänemark (...) verdeutlichen, dass die Angstmache bei Teilen der Bevölkerung wirkt. Wenn in der Presse ein unbewiesener Zusammenhang stetig und oft genug wiederholt wird, so wird dies von der Allgemeinheit leicht als wahre Tatsache angenommen; und hierin liegt derzeit die Gefahr.

Und so bleibt letztlich wieder der übliche Rat am Medien-Tresen: Bleiben Sie gelassen, glauben Sie keine Märchen, informieren Sie sich auf breiter Front und hinterfragen Sie. Darauf trinken wir ein gepflegtes Carlsberg aus Kopenhagen. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: DJI-Drohne Mavic Air 2. Foto: C.Stadler/Bwag, CC BY-SA 4.0