Es gelingt ihnen immer wieder. Da mag man sich vornehmen, die Zeitung mit den drei kleinen Buchstaben zu ignorieren. Das Leitmedium von Lehrerzimmer und Bioladen, vieler Journalisten-Kollegen und alternden Grünen-Wählern. Ignoriere die taz, ignoriere sie, ignoriere sie. Man mag sich das mantrahaft aufsagen, aber vergeblich. So liegt heute wieder ein Titelblatt auf unserem Medien-Tresen, wie es nur die Medienmacher aus der Berliner Friedrichstraße hinbekommen. Plakativ und provokant, Kriegstreiberei mit einem Scherz anbei. „Last-Minute-Flüge nach Russland“ lesen wir da, und uns bleibt die Brezn zum Weißbier im Halse stecken. Dabei starren wir auf die startende Rakete, die seitenfüllend neben der Titelzeile abgeschossen wird.
Es ist ein Exemplar aus dem Army Tactical Missile System (ATACMS), das die USA an die Ukraine geliefert haben und die diese jetzt bis nach Russland schießen dürfen. „Krieg, mehr Krieg, noch mehr Krieg, Weltkrieg?“ Das wäre vielleicht ein passender Titel gewesen. Aber die taz beruhigt. Neben Bild und Überschrift steht am Dienstag ein Kommentar von Parlamentskorrespondent Stefan Reinecke: „Man sollte die Möglichkeit irrationaler Reaktionen in Kriegen nie unterschätzen. Aber wenn Putin sich so verhält wie seit dem 24. Februar 2022 – extrem aggressiv, aber kalkulierbar –, dann wird der Krieg nicht aus dem Ruder laufen.“
Reinecke kommentiert die übliche Diskussion: Waffenlieferungen und Taurus. Der 65-jährige Routinier an der Tastatur schreibt neben dem Kriegstreiber-Titelbild über mögliche diplomatische Lösungen im Feuerschein der Raketen. Einige Kollegen in den anderen Großraumbüros der Redaktionen, heimelige Stuben sind das schon lange nicht mehr, wollen dagegen den Stier bei den Hörnern packen und den Ukrainern Taurus-Raketen liefern. Stehen sie selbst Maschinengewehr bei Fuß? Dazu gleich mehr, denn wo sie schon mal daliegt, blättern wir noch einmal ein wenig durch die tageszeitung. Dabei erinnern wir uns, dass diese Zeitung einst als Antwort der außerparlamentarischen Opposition, der Friedens- und Ökologiebewegung auf Springer und Co. gegründet wurde. Das aber ist lange her, spätestens mit dem Hurra-Geschrei eines Erich Rathfelder, das 1999 nach jeder deutschen Bombe auf Serbien durch die taz schallte, ist das ein olivgrünes Hetzblatt für die atlantischen Weltunordnungskriege.
„Biden gibt der Ukraine Feuer frei“, steht da auf Seite drei, wo sowohl die weltpolitische als auch die deutsche Lage eingeordnet wird. Wäre jene nicht so ernst, würde man sich auch über die zweite Überschrift belustigen: „Entscheidung mit kleiner Reichweite“. So fragt man sich, was die scheinbar gewissenlos scherzenden Medienmacher nach einem harten Gegenschlag schreiben würden, wenn sie es denn überhaupt noch könnten: „Rumms“, „Aus, aus, das Spiel ist aus!“ oder vielleicht „This is the end“? Es folgen zwei Seiten „Nahaufnahme“ aus der Ukraine, die das Leid vor Ort dokumentieren. Denn Krieg bedeutet natürlich Leid, auf beiden Seiten der Front und das besonders bei den einfachen Menschen. Daran sollte man immer wieder erinnern und genau das ist schließlich ein Grund, unbedingt für Frieden einzutreten.
Ein paar Seiten weiter dann die Kommentare mit einer wütenden Streitschrift gegen die Russen und für die Fortsetzung des Krieges. Als Grund, dass es nicht voran geht, wird die Unentschlossenheit des Westens ausgemacht. „In eintausend Tagen hat der Westen immer noch nicht verstanden, dass ein zivilisierter Dialog und diplomatische Ansätze mit Putin nicht funktionieren“, schreibt Anastasia Magazova, geboren 1989 auf der Krim. Das muss man wohl dazu sagen. Magazova fordert eine „klare, starke und ernsthafte Botschaft“. Womit dann die Titelseite und die „Last-Minute-Flüge nach Russland“ wieder Sinn ergeben.
Die Kriegstreiber in der Politik wie in den Redaktionen kennen nur Waffen, Waffen, Waffen. Ohne sie gibt es für diese Leute keinen Frieden, der aus ihrer Sicht immer nur ein Siegfrieden sein kann. Wir schlagen die taz zu und stellen unser zweites Weißbier drauf, denn als Untersetzer taugt die Zeitung noch – zumindest in den kommenden elf Monaten. Im Oktober 2025 stellt sie ihr Erscheinen unter der Woche ein und man kann nur noch am Wochenende etwas daraufstellen oder in sie einwickeln. Was im übrigen die beste Nutzungsform wäre, die uns so am Tresen einfällt. Schließlich gibt es gerade keinen Mangel an Toilettenpapier.
Schauen wir weiter. Der Krisenreporter Can Merey – er nennt sich wirklich so – vom Redaktionsnetzwerk Deutschland will, dass Scholz sein Veto gegen die Taurus-Lieferung aufgibt. „Weil die Ukraine die Vorgaben ihrer Unterstützer achtet, kämpft sie stets mit einem Arm auf den Rücken gefesselt“, schreibt Merey und übersieht völlig, dass bei Systemen wie ATACMS oder Taurus eben nicht Ukrainer, sondern NATO-Soldaten an den Knöpfen sitzen. Weiter bei Merey: „Weil besonders Biden und Scholz die Lieferung bestimmter Waffensysteme immer wieder hinausgezögert haben, gerät die Ukraine immer weiter unter Druck.“ Angst vor Atomwaffen oder einem dritten Weltkrieg dürfe die Entscheider nicht einschüchtern. Will der „Krisenreporter“ Chef einer „Krisenredaktion“ werden?
Für die Stuttgarter Zeitung führt der Weg zum Frieden über das Schlachtfeld. Deutschland müsse deshalb die Ukraine stärker unterstützen als bisher. Etwas abwägender ist der Kommentar von Christian Kerl in der Berliner Morgenpost. Er fürchtet die Folgen der Eskalation und stellt fest, dass nach Taurus nicht mehr viel kommen kann. Gleichwohl: „Russland darf keinen Zweifel hegen, dass auch der Westen rote Linien hat.“ Wobei der Kanzler ja kürzlich dem Nordkurier gesagt hat, dass er seine Politik gar nicht von roten Linien bestimmen lasse.
Aber lassen wir das und schauen vor dem dritten Weißbier noch in die NATO-kritischen Medien auf der anderen Seite des journalistischen Feldes. Dort: viel Kritik und Weltkriegs-Warnung. Im Overton-Magazin fordert Stefan Nold, dass „wir“ wieder erwachsen werden mögen. Hans-Peter Waldrich sieht uns „moralisch in den Untergang“ schreiten und meint damit natürlich vor allem die Politik: „Die Verantwortlichen begreifen gar nicht, worum es geht. Apokalypseblind reagieren sie fast wie kleine Kinder. Halte ich mir die Hand vor die Augen, ist alles gut. Statt zu sehen, was andernfalls zu sehen wäre, raspeln sie dumme Sprüche: ,Wir dürfen das, denn das Völkerrecht steht auf unserer Seite!‘ So als hinge unser Überleben vom Völkerrecht ab. Oder davon, was einer ‚darf‘ oder nicht darf.“ Auch Jürgen Hübschen will, dass Deutschland nicht zur Zielscheibe wird. Bei den Nachdenkseiten lesen wir Marcus Klöckner, der die Welt am Abgrund des Krieges sieht, weil die Politiker Feuer mit Benzin zu löschen versuchen. Interessant ist auch das Interview von Paul Brandenburg mit Patrik Baab, der kürzlich wieder jenseits der Front in der Ost-Ukraine war.
Auch wenn Angst keine gute Begleiterin ist: Wer Nerven hat, sollte sich mit den Szenarien beschäftigen, die bei einem Kriegsausbruch in Richtung Europa möglich scheinen. Erich Vad hat in seinem „Handbuch gegen den Krieg“, das in dieser Woche erschienen ist, ein solches Szenario entworfen, bei Norbert Häring nachzulesen. Eine nüchterne Einordnung der Situation nebst möglichen kurzfristigen Folgen gibt es von Ralf Bosshard in Interviews mit dem Kontrafunk und mit den Nachdenkseiten. Tenor: „Insgesamt wird der Kreml wohl so reagieren wie seit Jahren, nämlich langsam und überlegt.“ Hoffen wir das Beste, schauen nach der nächsten Friedensdemonstration (es sind zu wenige) und stoßen mit dem dritten Weißbier an. Durch das Glas sehen wir die Rakete auf dem taz-Titel nur noch verschwommen. Ist besser so. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
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