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Medien-Tresen | 23.05.2025
Der Desinformatör
Wer hierzulande von Desinformation spricht, der führt stets das Adjektiv russisch mit sich. So wie ein Podcast der Süddeutschen – ein Hörbericht.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Wer genau hinhört oder hinschaut, bemerkt die Adjektive. Auch die, die immer zusammenstehen und die man normalerweise übersieht. Ich meine jetzt gerade nicht die „gesichert rechtsextreme“ AfD, von der später auch noch die Rede sein wird. Auch diese Kombination hat große Chancen, zur Standardformel zu werden. Es sind die Adjektive, die jemanden „umstritten“ erscheinen lassen (zum Beispiel ungeliebte Wissenschaftler oder Publizisten) und die eine Organisation als „terroristisch“ oder als „verboten“ deklarieren (wahlweise die Hamas oder die PKK). Und natürlich gibt es auch das Gegenteil: liberale und pro-europäische Kandidaten bei Präsidentschaftswahlen zum Beispiel (vergangenes Wochenende in Rumänien und Polen).

Mit den Adjektiven wird die Richtung vorgegeben. Gut und schlecht werden per Adjektiv eingeordnet. Am Medientresen haben wir vor einigen Wochen darauf hingewiesen, als es um den rumänischen Präsidentschaftskandidaten Călin Georgescu ging. Diesmal nehmen wir uns eine andere Begriffskombination vor, die sozusagen eine Beziehung auf Dauer eingegangen ist: Die Desinformation, die es in der EU fast nur als „russische“ gibt. Schließlich gibt es auf dieser Welt nur einen wirklichen Desinformatör, dem nichts zu schwör ist: Wladimir Putin. Er ist an allem Schuld und so etwas wie der Böse vom Dienst. Der Darth Vader der internationalen Politik, der Lord Voldemort des frühen 21. Jahrhundert. Und damit das mit der Desinformation niemand vergisst, also dass es nur eine russische gibt, wird das Thema regelmäßig in den Medien gespielt. Am besten dann, wenn mal wieder eine absurd scheinende Behauptung verbreitet wird.

Die Süddeutsche hat sich für ihren halbstündigen Nachrichten-Podcast „Auf den Punkt“ am vergangenen Wochenende die Kokain-Geschichte rund um Emmanuel Macron, Keir Starmer und Friedrich Merz herausgesucht. Sie wissen, worum es geht? Dann sind sie vermutlich schon „Opfer“ des russischen Desinformatörs geworden. Würden zumindest die Kollegen von der Qualitätskonkurrenz sagen.

Im Podcast der Süddeutschen ist selbst die Frage verboten. Dort ist klar, was Macron (Taschentuch) und Merz (Rührstab für den Kaffee oder für Essen) beiseite nehmen, damit beides nicht im Video erscheint. Belege für diese Behauptung? Gibt es nicht. Aber da die Kokain-Geschichte von russischer Seite aufgenommen wurde, muss sie falsch sein. Und sie ist ein gefundenes Fressen für die allgegenwärtigen Faktenchecker. Aufklärung gibt es da wenig – was im Zug nach Kiew passierte, wir wissen es weiterhin nicht (schauen Sie hierzu und zur Verbindung mit Propaganda auch einmal bei Manova vorbei). Auch die Süddeutsche nimmt sich der Sache an und „informiert“ zum Thema Desinformation, Pardon: „russischer Desinformation“, wobei hier das Adjektiv an anderer Stelle steht, nämlich vor „Propagandamaschine“.

Fangen wir unseren Hörbericht von hinten an, denn dort ist der Podcast am besten. Am Ende dankt der Moderator fürs Durchhalten. Nicht so gern geschehen, mag man vor allem dann erwidern, wenn man die halbe Stunde ohne einen kräftigen Schluck aus dem Weißbierglas ertragen musste – wie der Autor, der bei der Autofahrt zuhörte. Don‘t drink and drive! Womit wir fast schon wieder beim Thema wären. Aber worum ging es noch (außer um Koks und den Desinformatör)? Das Hauptinterview packt das gesamte Besteck des leitmedialen Kampfes gegen andere Meinungen auf den Tisch. Wir brauchen nicht länger bei der Koks-Geschichte zu bleiben, wo es keine besondere Widerlegung braucht, da schließlich die Falschen das behauptet haben und dann ist es eben nicht so, wie die sagen.

Interviewt wird Susanne Spahn, die einst ebenfalls bei der Süddeutschen arbeitete und jede Menge Texte über russische Medien in Deutschland geschrieben hat. Sie wirkt dabei so unabhängig, wie sie sich vermutlich selbst empfindet, und wird als „Osteuropa-Historikerin“ vorgestellt. Seriöse Wissenschaft und so. Sie hat allerdings für die Friedrich-Naumann-Stiftung, das Zentrum für liberale Moderne und die Bundeszentrale für politische Bildung gearbeitet, alles Institutionen mit direktem Draht und Zugriff auf deutsche Regierungsgelder. Die aber informieren sicher ganz sachlich, liefern für alle Behauptungen stichhaltige Belege und sind weit entfernt von Propaganda. Aber sicher doch. Glauben Sie nicht? Wir auch nicht. Darauf einen großen Schluck aus dem Weißbierglas.

Denn schaut man sich die Behauptungen an, die Spahn jenseits von Stab und Taschentuch von sich gibt, so fehlt fast immer eins: Belege. So spricht sie davon, dass Abgeordnete der Linken und der AfD Abstimmungen in der Ostukraine und auf der Krim durch ihre Anwesenheit Legitimität verliehen haben. Abseits von dieser kruden Logik mit der Legitimität, die ausgerechnet Bundestagsabgeordnete Wahlen verleihen sollen, schauen wir auf die Fakten. Eine (zugegeben) kurze Recherche fand gerade einmal einen Abgeordneten, der 2018 bei der russischen Präsidentschaftswahl auf die Krim fuhr. In der Ostukraine waren zwar auch Deutsche, wir denken an die Verleumdungskampagne gegen Patrik Baab, aber dort gab es offenbar keine Abgeordneten. Gerhard Schröder hat nach Spahns Aussage eine Position in russischen Energieunternehmen inne, auch das stimmt zumindest heute nicht mehr. Er hat seinen Aufsichtsratsposten bei Rosneft niedergelegt und bei Gazprom verzichtet. Präsens und Imperfekt kann man ja mal verwechseln, aber hier hat das Methode.

Spahns Ungenauigkeiten führen genau zu dem, was sie den Russen vorwirft: Propaganda oder meinetwegen auch Gegenpropaganda. Das darf sie, keine Frage. Artikel 5 Grundgesetz gilt, auch wenn man zuweilen einen anderen Eindruck bekommt (wie Ole Skambraks just diese Woche wieder in einem Artikel in der Berliner Zeitung – hinter der Bezahlschranke – gut zusammengefasst hat). Natürlich darf Frau Spahn auch solchen Unsinn unbelegt behaupten wie den Alternativmedien-Dreisatz: RT war in der Corona-Pandemie das Leitmedium der Alternativmedien. Jetzt vertritt RT das russische Narrativ in der Ukraine. Also machen das auch die Alternativmedien. Klingt verrückt, aber sie behauptet es wirklich. Glauben Sie nicht? Dann hören Sie sich das mal bei Minute 18 des Podcast an:

RT hatte sich als Leitmedium der Alternativen profiliert. Davon profitiert RT zu Zeiten des Krieges, weil man gut sehen konnte, dass diese Alternativmedien auch dann die Narrative zum Krieg gegen die Ukraine übernommen haben. Also dass jetzt eben nicht Russland der Aggressor ist, nein, die Kriegstreiber sitzen im Westen also wie unsere Bundesregierung.

Irrsinniger wird es dann nicht mehr. Aber es bleibt absurd. Sie nennt die unbelegte Einflussnahme Russlands (müsse man untersuchen) und Chinas, dazu Sabotageakte und den Versuch der Einschüchterung. Die Bürger müssten gut informiert werden und noch mehr gebildet, was selbstverständlich eine Aufgabe der Regierung sei (wie finanziert sich Frau Spahn nochmal?). Darauf einen weiteren Schluck aus dem Weißbierglas und weiter zum nächsten Thema des Podcasts, dem Gutachten zur Einstufung der AfD. Medien „mit rechter Schlagseite“ – das Adjektiv und das verleumdende Nomen dürfen nicht fehlen – haben es bekanntlich vergangene Woche veröffentlicht. Eine Prüfung der mehr als 1.000 Seiten sei vorher kaum möglich gewesen, so der Redakteur Ronen Steinke. Man könne in kurzer Zeit nicht erfassen, was da alles drinsteht und ob Quellen zu schützen seien (auch eine unbelegte Behauptung übrigens). Deswegen darf das einfache Volk so etwas in den Augen des „Qualitätsjournalisten“ nicht lesen. Diese wollen die Dokumente zwar selbst sehen, aber dann analysieren und Türsteher zwischen Quelle und Rezipient bleiben. Man wolle es, diese Worte wählt Steinke selbst, für die Leser aufbereiten und nicht nur eins-zu-eins weiterreichen. „Weil man dann nie weiß, zu wessen Instrument man sich machen lässt.“ Was schließlich die wichtigste Sorge im Mainstream ist. Fällt man auf den großen Desinformatör und seine Helfershelfer rein?

Vor dem nächsten Schluck Weißbier fassten wir noch einmal zusammen: Belege dürfen nur die Qualitätsmedien sehen, aber nicht deren Leserschaft. Wir sollen denen also einfach mal glauben, und damit wir das immer besser tun, wird uns mit mehr Medienbildung gedroht. Der Podcast mit ganz viel Haltung und dafür letztlich wenig echtem Informationsgehalt zeugt von dem, was uns immer wieder und immer mehr blüht. Zumal jetzt, wo durch die EU-Sanktionen gegen den Betreiber des [Anti-Spiegel](https://anti-spiegel.ru/], Thomas Röper, noch eine Stufe härter gegen die Informationen der anderen Seite vorgegangen wird. Sanktionen gegen deutsche Journalisten – welch neue Qualität das darstellt, werden wir erst in der Zukunft sehen. Diesen Irrsinn können wir hier am Medien-Tresen wirklich kaum ohne einen kräftigen Schluck Weißbier ertragen. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld (Merz und Macron kommen mit dem Sonderzug in Kiew an)