Neubrandenburg ist Zentrum von Deutschlands größtem Landkreis, der Mecklenburgischen Seenplatte. Doppelt so groß wie das Saarland, sagt Wikipedia. Die Wahlen zum Oberbürgermeister sind aber nicht nur deshalb interessant. Immerhin war von 2001 bis 2015 der frühere Bundesminister Paul Krüger hier Chef im Rathaus.
Seitdem amtierte der parteilose Silvio Witt in der Vier-Tore-Stadt. Witt, dessen Amtszeit eigentlich bis 2029 laufen würde, kündigte letztes Jahr überraschend seinen Rücktritt an. Dafür nannte er mehrere Gründe. Zum einen gab es Querelen in der Zusammenarbeit mit den Stadtvertretern. Insbesondere einer hatte es auf Silvio Witt abgesehen: Tim Großmüller. Der Unternehmer und Besitzer eines Fitnessstudios griff Witt zum Beispiel persönlich an, als er Anfang 2024 ein Video veröffentlichte, das den OB tanzend auf einer Party im Studentenclub zeigte, in freizügigem Outfit. Das sorgte für einigen Wirbel in der Stadt. Die Meinungen reichten von Verständnis bis zu Beleidigungen.
Der nächste Skandal, der sogar bundesweit für Schlagzeilen sorgte, war der „Fahnenstreit“. Hier war ebenfalls Tim Großmüller der Initiator. Auf seinen Antrag hin wurde die Regenbogenflagge am Bahnhof in Neubrandenburg eingeholt. Ein Anliegen, das Oberbürgermeister Silvio Witt immer wichtig gewesen war. Das war dann auch der Anlass für seinen Rücktritt vom Amt. Großmüller hat später in einem Interview mit dem Nordkurier offen zugegeben, dass die Beseitigung von Witt sein eigentliches Ziel war.
Bei der Neuwahl am 11. Mai traten neun Kandidaten an – auch Tim Großmüller, der dann auf knapp neuneinhalb Prozent kam. Interessant, dass sechs Bewerber parteilos waren. Bei Frank Benischke (CDU) und Olaf Schümann (Werteunion) war die Parteizugehörigkeit nur am Rande der Wahlplakate ersichtlich. Lediglich Jens Kreutzer vom BSW versuchte, die Parteizugehörigkeit im Wahlkampf als Bonus zu nutzen. Es war zu merken, dass alle Kandidaten über ihre Visionen für die Stadt Sympathiepunkte bei den Wählern sammeln wollten. Was wohl auch daran liegt, dass ein Bürgermeister öfter auf Bürger trifft und sich nicht hinter Gräben oder Zäunen verstecken kann. Ein wohltuender Unterschied zu den Bundestagswahlen, bei denen es vornehmlich um beste Plätze auf Parteilisten geht.
Aber zurück nach Neubrandenburg und zur OB-Wahl. Nicht ganz mit offenen Karten spielte der Einzelbewerber Nico Klose. Offiziell trat auch er als parteiloser Kandidat auf, formell richtig. Dass er im Wahlkampf von SPD und den Grünen unterstützt wurde, verschwieg Klose möglichst. Dabei sitzt der derzeitige Bürgermeister der Gemeinde Neverin sogar für die SPD im Kreistag. Ein Geschmäckle hat das auf jeden Fall.
Zwei Wochen vor der Wahl organisierte die Gruppe „Neubrandenburger Spaziergang“, die auch für die wöchentlichen Montagsdemos verantwortlich ist, ein öffentliches Diskussionsforum mit allen Kandidaten. Nico Klose nahm nicht teil. Die Veranstaltung wurde live gestreamt. Favorit war Frank Benischke. Aufgrund seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft, dem größten Vermieter in der Stadt, hatte er den höchsten Bekanntheitsgrad aller Bewerber und eine prominente Unterstützerin: Astrid Kumbernuss, eine weltbekannte Sportlerin.
Für Spannung war also gesorgt – auch bei der Stichwahl zwischen Benischke und Klose am 25. Mai. Eine Woche vorher organisierte das Bündnis „Neubrandenburger Spaziergang“ wieder eine Veranstaltung, diesmal auf dem Marktplatz. Neben den beiden Kandidaten waren auch die ausgeschiedenen Bewerber eingeladen. Nico Klose nahm wieder nicht teil, obwohl er in unmittelbarer Nähe einen Wahlkampfstand aufgebaut hatte. Sein Stuhl blieb demonstrativ leer. Vorteil Benischke. Auch Amtsinhaber Silvio Witt war trotz Einladung nicht anwesend. Er hatte sich im Vorfeld für Klose als Nachfolger ausgesprochen.
Das Ergebnis war am Ende doch etwas überraschend, erst recht in seiner Deutlichkeit. Nico Klose (65 Prozent) gewann gegen Frank Benischke (35). Kloses Strategie ging damit auf. Ob er als Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg tatsächlich parteilos ist, wird man sehen. Bei vielen Wählern dürfte das ein ausschlaggebendes Argument gewesen sein.
Mirko Jähnert hat mehrere Kurse an der Freien Akademie für Medien & Journalismus besucht. Er lebt und arbeitet in Mecklenburg-Vorpommern.
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