Der Rauswurf des ABC-Moderators Jimmy Kimmel war der Aufmacher und Aufreger in den Tagesthemen vom Donnerstag. In der Tat steht dieser Rauswurf für eine Entwicklung in den USA, die mir große Sorge bereitet. In dem Bericht vermisste ich allerdings einen Bezug zum fast zeitgleichen Rauswurf der Moderatorin Julia Ruhs, der nicht in einem fernen Land, sondern bei uns in Deutschland erfolgte und obendrein noch bei demselben NDR, der auch die Tagesthemen produziert. Offenbar sieht man beim NDR keine Parallelen. In der Tat besteht die Parallelität nur halb: Julia Ruhs wurde zwar wegen ihrer Haltung und dem Konzept der Sendung erlegt, aber nicht von der Regierung, sondern von den eigenen Kollegen. Wer solche Kollegen hat, braucht keinen Trump.
Als ich nicht mehr damit rechnete, kam am Ende der Tagesthemen doch etwas über den Fall Julia Ruhs. Natürlich wurde keine Entschuldigung, keine Rücknahme und schon gar kein Rücktritt verkündet. Weil man die Sendung weiterentwickeln wolle, trenne man sich von Ruhs, die bisher mit großem Erfolg moderiert habe. Total einleuchtend. Der zutreffende Hinweis der US-Korrespondentin Gudrun Engel zum Kimmel-Rauswurf, dass es zwar keinen direkten Eingriff durch eine Zensurbehörde gebe, man aber durch politischen Druck oder durch die Erteilung von Visa an ausländische Korrespondenten in journalistische Arbeit eingreife, gilt wohl nur für Trump, nicht für den NDR. In verschrobener Logik und wohlgesetzten Worten sagt der Beitrag dasselbe über Ruhs wie Trump über Kimmel:
You can call it free speech or not, he was fired for lack of talent.
Als Höhepunkt ging der Bericht auf den generellen Vorwurf der Schlagseite beziehungsweise der mangelnden Meinungsvielfalt im ÖRR ein. Um das zu widerlegen, wurde eine Studie der Universität Mainz zitiert, die über 10.000 Beiträge untersucht und in zwei Kategorien eingeordnet hat: „liberal-progressiv“ und „konservativ-autoritär“. Von welchem Himmel sind diese Kategorien gefallen und was haben sie mit Wissenschaft, was mit irgendeiner gesellschaftlichen Realität zu tun? Was sind Progressive? Leute, die Fortschritt großartig finden, egal welcher Art, die also begrüßen, wenn die Abholzung der Regenwälder oder die Vermüllung der Ozeane fortschreitet? Und was sind Konservative? Leute, die um des Bewahrens willen auch eine hohe Kriminalitätsrate oder eine überbordende Bürokratie bewahren wollen? Werden solche Titel auf Lebenszeit verliehen – unabhängig von Veränderungen in der realen Welt? Natürlich ist das Unsinn. Und natürlich wird das Etikett „fortschrittlich“ quasi als Kampfbegriff verwendet: Es impliziert, dass es einen festen heilsgeschichtlichen Plan der Welt gibt und Erleuchtete, die ihn kennen und zur Umsetzung berufen sind.
Was sollen die Paarungen „liberal-progressiv“ und „konservativ-autoritär“? Warum nicht „liberal-konservativ“ oder „progressiv-autoritär“, was historisch und logisch viel begründeter wäre? Ich vermute, die Redaktion der Tagesthemen und die 250 briefschreibenden Kollegen von Frau Ruhs sehen sich in der Kategorie „liberal-progressiv“ – wer will schon autoritär sein? Aber mit welchem Recht? Liberal sind sie offenbar nicht. Das eher beamtenhafte und regelungsaffine Milieu, dem sie angehören, ist nicht für Innovationen bekannt, sondern eher für ein etwas verstaubtes Weltbild. Dieses Weltbild wollen sie gegen alle Lernfortschritte zum Beispiel in der Energie-, Sozial- und Migrationspolitik bewahren. Und schließlich zögern sie nicht, das auch bis zur Vernichtung von Personen autoritär durchzusetzen.
Neben all dem beunruhigt mich am Beitrag in den Tagesthemen, dass das intellektuelle Niveau in der Redaktion offenbar so gesunken ist. Man hält uns für so dumm, das alles nicht zu bemerken. Die Menschen im Lande sind aber schon weiter fortgeschritten: Sie spüren die Absicht und sind verstimmt.
Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Ende 2024 hat er eine Textsammlung mit dem Titel "Links oder rechts oder was?" veröffentlicht. Seine Kolumne "Oben & Unten" erscheint jeden zweiten Mittwoch.
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