Bei einer Führung durch den Naumburger Dom sprach der Domführer über Propaganda im Mittelalter. Die gefühlvollen Gesichtsausdrücke der steinernen Stifterfiguren rund um die berühmte Uta sollten das Volk beeinflussen. Darüber haben wir auf der Heimfahrt nach Leipzig philosophiert und fanden den Denkansatz spannend. Denn auch wenn es damals nicht Propaganda hieß, so gab es doch Interessen der Mächtigen, die sie gegenüber dem Volk durchsetzten. Sie bedienten sich dabei der damals verfügbaren „Medien“, zu denen die Kirche gehörte, wo sich das Volk zum Gottesdienst traf.
Mitteldeutschland ist ein Zentrum mittelalterlicher Baukunst. Der Naumburger Dom St. Peter und Paul wurde auf den Grundmauern einer noch älteren Kirche im 13. Jahrhundert gebaut. Er ist weltweit einzigartig in seiner Architektur, Bildhauerkunst und Glasmalerei. Seit 2018 ist er Unesco-Weltkulturerbe. Die Stadt Naumburg hatte einst die gleiche Bedeutung wie Merseburg, Magdeburg oder Leipzig. Der Dom – von der Spätromanik bis in die Frühgotik unter Leitung eines heute unbekannten Bildhauerarchitekten errichtet – gilt als Meisterwerk menschlicher Schöpferkraft und Handwerkskunst. Die naturwissenschaftlich-physikalischen Kenntnisse der Menschen waren offensichtlich enorm. Sie verfügten über das Wissen zur Planung und über entsprechende Werk- und Hebezeuge, um solche Bauwerke in relativ kurzer Zeit errichten zu können.
Im Westchor des Doms befinden sich mit den zwölf lebensgroßen Stifterfiguren die bekanntesten Kunstwerke des Doms, unter ihnen Uta von Ballenstedt. Sie soll Walt Disney als Quelle für die schöne und sehr stolze Königin im Zeichentrickfilm Schneewittchen gedient haben. Das Besondere und Neue an den steinernen Stifterfiguren war ihre realitätsnahe Darstellung, die sie lebendig und ausdrucksstark wirken lässt. Sie sind ein Höhepunkt in der Steinmetzkunst der damaligen Zeit. Die Figuren wurden, obschon die dargestellten Personen bereits mehr als 200 Jahre tot waren, mit charakteristischen Gesichtsausdrücken dargestellt: Uta schaut schön und stolz in die Ferne, ihr Gatte Ekkehard wirkt etwas hochmütig. Gegenüber steht die lachende Reglindis neben ihrem wehmütig-leidend blickenden Mann Hermann von Meißen.
Der Domführer sagte, dass die Gesichtsausdrücke menschliche Verhaltensweisen darstellen, die bei den Kirchenbesuchern unerwünscht waren. Wir hätten es hier mit einer sehr frühen Form der Propaganda zu tun. Die katholische Kirche war Vorreiter in Sachen Propaganda. Sie hat etwa 400 Jahre später, im Jahr 1622, mit der Sacra Congregatio de Propaganda Fide ein Amt gegründet, das den „richtigen“ Glauben in die Welt tragen sollte, und erst 1967 umbenannt wurde. Aber ihre gesellschaftlich führende Position hatte damals auch eine positive Seite: Den Kirchen und Klöstern haben wir den Erhalt und die Weitergabe antiken Wissens zu verdanken. Europa konnte sich trotz der politischen Zersplitterung seine kulturelle Identität erhalten. Zum Beispiel lässt sich das Wirken des namenlosen Domschöpfers anhand der Bau- und Kunstwerke quer durch Europa von Nordfrankreich über Mainz nach Naumburg und Meißen nachvollziehen. Aus der weiteren Entwicklung von Kunst und Kultur in Europa entstand in der Renaissance die Philosophie des Humanismus und später daraus die Aufklärung mit ihrer Wirkung auf Literatur und Wissenschaft. Ziel war dabei immer eine Stärkung des Gemeinwesens.
Heute scheinen wir uns allerdings an einer Bruchstelle der gesellschaftlichen Entwicklung zu befinden. Die Kirchen spielen in unserer Gesellschaft kaum noch eine Rolle. Weder bringen sie sich in ethische Diskussionen hörbar ein, noch tragen sie die Entwicklung von Kunst und Kultur sichtbar voran. Ihre Rolle im Bereich Propaganda haben längst Zeitungen und Zeitschriften, Rundfunk und Fernsehen übernommen. Diese Medien haben eine größere Reichweite, und die psychologische Beeinflussung ist umfassender. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Manipulation der Massen stark intensiviert und nahm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch weiter an Fahrt auf. Der Liberalismus konnte auf allen Gebieten seinen Siegeszug antreten, stellte das Individuum in den Mittelpunkt und erhob den Markt zur heiligen Kuh. Im Laufe der Zeit wurden die humanistischen Ideen der Aufklärung in ihr Gegenteil verkehrt. Der Mensch wurde als fehlerhaftes Wesen identifiziert, in die Vereinzelung getrieben, bevormundet und gegängelt – angeblich, damit er sich nicht selbst schadet. Zur psychologischen Beeinflussung kommen die neuen technischen Möglichkeiten aus Bio-Nano-Neuro-Wissenschaften und Digitalisierung. Der Transhumanismus wurde als neues Ziel für die Menschheit ausgerufen. Der Einzelne soll biologisch und technisch perfektioniert werden. Gemeinschaften – von der Familie angefangen – treibt das in die Bedeutungslosigkeit. Es besteht die Gefahr, dass persönliche Integrität und Privatsphäre durch Eingriffe in Körper- und Geistesfunktionen verletzt werden. Eine neue Aufklärung ist nötig. Denn sehr viel von dem über die Jahrhunderte erlangten Wissen ging schon verloren oder ist nur noch versteckt in den Bibliotheken und Archiven der Kirchen zu finden. Die Besinnung auf die vergessenen beziehungsweise verdrängten Grundlagen und Ideale der Aufklärung kann diese Entwicklung abwenden. Die Kulturschätze Mitteleuropas vermitteln in ihrer Schönheit und Vollkommenheit die Ruhe und die zeitlichen und räumlichen Dimensionen, die wir brauchen, wenn wir über die Frage nachdenken, wie wir in Zukunft leben wollen.
Von den Alt-Medien ist in dieser Hinsicht nichts zu erwarten. Sie werden finanziert und sind unterwandert von den Kräften, die transhumanistische Entwicklungen vorantreiben. Die „neue Aufklärung“ ist ein lohnenswertes Ziel für die neuen Medien. Diese lassen sich jedoch noch zu sehr von den aktuellen Themen der Alt-Medien treiben. Der Angst-Propaganda begegnen sie mit – Ängsten, wenn auch anders ausgerichtet. Einige reiten die Empörungswelle in Gegenrichtung zu den Alt-Medien. Manche Betreiber von „alternativen“ Finanz- und Wirtschaftskanälen wollen ihre eigenen marktgläubigen Produkte an den Mann bringen. Stattdessen sollten in den neuen Medien positive Nachrichten verbreitet und eigene Themenfelder eröffnet werden, denen sich die Alt-Medien verweigern:
Direkt sichtbar ist der letzte Punkt am Niedergang der Architektur und am Zustand der Innenstädte: Die reich dekorierten Gebäude der Gründerzeit wurden nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg durch gleichförmig rechteckige Gebäude aus Beton und Glas ersetzt. Dazu kamen die in allen Städten austauschbar gleichen Ladenzeilen und in den letzten Jahren Dreck und Schmierereien, die nicht mehr weggeräumt werden.
Die gesellschaftlichen Verwerfungen der Corona-Zeit führten bei vielen Menschen zum Innehalten und Nachdenken über Sinn und Ziele ihres Lebens. So entstanden einige Pilotprojekte, zum Beispiel in den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Bildung. Diese auf die Zukunft gerichteten Themen könnten in den neuen Medien umfangreicher vorgestellt und diskutiert werden. Manova setzt schon solche Schwerpunkte mit „The Great WeSet“ von Walter van Rossum sowie mit den Kategorien „Zukunft & Neue Wege“ sowie „Aufwind“. Der Kontrafunk hat Formate entwickelt, die das Gemeinwohl stärker in den Fokus setzen wie etwa die Kultur- und Wissenschaftsrubrik. Nuoviso hat einen eigenen Songcontest ins Leben gerufen. Neben der inhaltlichen Ausrichtung auf eine lebenswerte Zukunft gilt es auch, die technologische Basis der neuen Medien zukunftsfest zu machen und sich der digitalen Zensur zu entziehen. Milosz Matuschek geht mit dem Pareto-Projekt neue Wege. Es könnte zur unzensierbaren Plattform der neuen Medien werden. Denn wie er sagt: Man baut sein neues Haus doch auch nicht auf dem Boden, der einem anderen gehört.
Beate Strehlitz ist promovierte Diplomingenieurin in Rente und hat 33 Jahre als Wissenschaftlerin in einem Forschungszentrum gearbeitet. Dieter Korbely ist Diplomingenieur in Rente und hat lange Jahre bei einem großen Automobilhersteller gearbeitet. Beide setzen sich seit 2019 für die Reform der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ein.
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