53223f69cb3055719387ffef02727fe3
Artikel | 28.02.2023
Vorhang zu für Teichtmeister!
Das Burgtheater, das 2010 das Thema Kindesmissbrauch in „Das Begräbnis“ auf der Bühne verhandelte, begräbt nun einen seiner Stars.
Text: Burak Hofmann
 
 

Am 13. Januar blieb vermutlich selbst der Muse Melpomene der Gesang im Halse stecken, als die österreichische Tageszeitung Der Standard bekannt gab, dass der Burgtheaterschauspieler Florian Teichtmeister wegen des Besitzes von über 58.000 Datenträgern mit sexuellem Missbrauch und Gewalt an Kindern angeklagt wird. Teichtmeister, der 2016 in einem groß angelegten Staatsakt im Parlament aus Originalberichten von Missbrauchsopfern las, bekannte sich (schon vor eineinhalb Jahren!) in allen Anklagepunkten für schuldig. Damals zeigte ihn seine Freundin wegen häuslicher Gewalt und der Missbrauchsvideos an. Neben mehreren Datenträgern fand die Polizei laut Kronen Zeitung auch 100 Gramm Kokain sowie „ein Tagebuch mit durchaus fragwürdigen (Gewalt-)Fantasien“ in der Wohnung des Schauspielers.

Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gesagt

Unmittelbar nach den Veröffentlichungen wurde Teichtmeister am Burgtheater fristlos entlassen. Das Theater äußerte sich in einem ersten Statement bestürzt, beteuerte, dass „keine Grundlagen für eine arbeitsrechtliche Konsequenz“ vorlagen, und verwies auf die in Österreich geltende Unschuldsvermutung. Dazu gleich mehr.

Burgtheater

In einer weiteren Stellungnahme vom 15. Januar schreibt das Theater, dass es nichts gewusst habe. Wörtlich:

„Bis heute sind wir zu den Vorwürfen weder polizeilich, fremdanwaltlich noch gerichtlich kontaktiert worden. Von den Taten von Florian Teichtmeister, seinem Schuldeingeständnis und seiner Kooperation mit den Ermittlern haben wir erst am 13.01.2023 aus den Medien erfahren.“

Das wirkt wenig glaubwürdig, wenn man bedenkt, dass die Anschuldigungen schon vor eineinhalb Jahren im Raum standen. Wörtlich heißt es in dem Artikel der Krone unter dem Titel „Freundin misshandelt? Prügel- und Porno-Affäre rund um TV-Schauspieler“:

„Ein Streitpunkt: die umfassende Sammlung von Kinderpornos, die sich im Besitz des Wieners befinden soll. Bei einer Hausdurchsuchung wurden schließlich mehrere Datenträger sichergestellt.“

Allein der Verdacht einer umfassenden „Sammlung von Kinderpornos“ hätte das Theater veranlassen müssen, Teichtmeister zu beurlauben, bis die Anschuldigungen sich als falsch und haltlos erwiesen haben. Fragwürdig ist außerdem ein Interview des Standard mit Martin Kušej. Der Intendant, der von allem nichts gewusst haben will, wird hier gefragt, ob das Burgtheater damals Vorkehrungen getroffen habe, um mögliche Opfer in Probensituationen oder im Haus zu schützen. Man habe, so Kušej, „Leitlinien an leitende Mitarbeiter in den Produktionen herausgegeben, in denen Florian Teichtmeister mitwirkte. In keiner Inszenierung, in der er besetzt war, waren Minderjährige oder Kinder beteiligt“. Wenn man von der Unschuld Teichtmeisters ausging, der alle Anschuldigungen laut Kušej „glaubhaft“ bestritt – wozu verfasste man dann irgendwelche „Leitlinien“ und erließ Sicherheitsvorkehrungen? Wenn Teichtmeister so glaubhaft war, wie Kušej behauptet, wären diese dann nötig gewesen? Was war der Inhalt dieser „Leitlinien“?

Statt ihn aus den Produktionen zu nehmen und abzuwarten, was an den Vorwürfen dran ist, machte man sich lieber die Mühe, „Leitlinien an leitende Mitarbeiter in den Produktionen“ herauszugeben, und besetzte ihn weiterhin in Hauptrollen. Die perfideste ist dabei vermutlich die des Florian in Nebenan von Daniel Kehlmann unter der Regie von Kušej persönlich. In dem Stück geht es um einen erfolgreichen und angesehenen Schauspieler, der kurz vor einem Casting in einer Eckkneipe strandet und dort von Bruno, einem ehemaligen Nachbarn, mit privaten Porno-Chats und einem sexuellen Verhältnis mit einer Minderjährigen konfrontiert wird.

Waren dem Burgtheater und Kušej die Hände gebunden?

Nein. Wie der Chefredakteur der Zeitung Falter, Florian Klenk, erklärt, hätte der Intendant Martin Kušej, der auch ein persönliches Verhältnis zu Teichtmeister pflegte, den Schauspieler bei solch gravierenden Vorwürfen um eine Vollmacht zur Akteneinsicht bitten und so erfahren können, dass Teichtmeister schon relativ früh geständig war. Klenk weiter: Das Burgtheater habe zwar kein Recht darauf, aber sehr wohl die entsprechende Macht dazu. Da im Theater schon aus den trivialsten Gründen gekündigt wird, stellt sich die Frage, wen oder was genau man in der Causa Teichtmeister eigentlich schützen wollte.

Auch das öffentliche Statement des Ensembles klingt wenig überzeugend. Aus eigener Erfahrung als Schauspieler weiß ich, wie klein die Theaterwelt ist und wie schnell sich solche Vorwürfe verbreiten. Ich selbst habe am Theater Oberhausen einen sexuellen Übergriff eines Kollegen gegenüber einer Minderjährigen gemeldet. Anfänglich wurde nichts unternommen. Als sich das Ganze ein halbes Jahr später wiederholte und sich die betroffene Person beim Theater beschwerte, hat es unverzüglich reagiert, den Kollegen beurlaubt und zu einer Therapie verpflichtet. Doch auch in diesem Fall wollte man die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit um jeden Preis vermeiden und sich schützend vor den Schauspieler stellen, ganz nach dem Motto: „Das kann doch jedem mal passieren.“ Die Beschwerden, die zuvor an mich herangetragen wurden und die ich an Ensemblemitglieder weitergeleitet hatte, wurden ebenfalls nicht allzu ernst genommen. Ich weiß von vielen, dass sie wegen dieses Kollegen das Theater bis zum Wechsel der Intendanz komplett gemieden haben. Es war wie im Fall Roman Polanski: Jeder wusste Bescheid, doch alle schwiegen. Das Problem scheint gar nicht die Tat an sich zu sein, sondern die Angst vor einem öffentlichen Schaden.

Ein „rein digitales Delikt“?

Vor Gericht wird Teichtmeister von „Staranwalt“ Michael Rami verteidigt, der dem Standard sagte, dass er das Privileg habe, nur Fälle anzunehmen, hinter denen er auch stehe. Im ORF sagte Rami, dass es sich um ein „rein digitales Delikt" handele, bei dem Teichtmeister keinen Menschen geschädigt habe. Für die über 58.000 Videos und Bilder wurden Tausende Kinder gefoltert, misshandelt und dauerhaft geschädigt, um die sexuellen Neigungen von Menschen wie Teichtmeister zu bedienen. Ohne Nachfrage kein Angebot. Um dem „rein digitalen Delikt“ Namen und Gesichter zu geben:

Marcus R. (45) aus Wermelskirchen gab sich als Babysitter aus und missbrauchte Säuglinge. Sein jüngstes Opfer war einen Monat alt. Die Bilder stellte Marcus R. auch online zur Verfügung. Wie der Focus berichtete, soll er Gewaltfantasien ausgelebt haben, um Säuglinge und Kleinstkinder mittels Oralverkehrs in Atemnot zu bringen. Zudem soll er mit Chatpartnern über einen Erstickungstod von kleinen Jungen und Mädchen gesprochen haben. Rund 30 Terabyte Datenmaterial wurden bei seiner Festnahme beschlagnahmt.

Sönke G. (29) aus Berlin gab sich ebenfalls als Babysitter aus und missbrauchte Kinder zwischen sieben Monaten und elf Jahren. Diese veröffentlichte er auf digitalen Plattformen als Live-Stream. Ein Großteil seiner bis zu 48 Opfer war ihm aufgrund von Behinderungen wehrlos ausgeliefert. Rund acht Terabyte Datenmaterial wurden bei seiner Festnahme beschlagnahmt.

Adrian V. (28) aus Münster, der mit einem Grinsen auf der Anklagebank saß, vergewaltigte mit drei weiteren Männern über mehrere Tage zwei Kinder (fünf und zehn Jahre alt) in seiner Gartenlaube. Zu den insgesamt 29 Opfern zählt auch sein Stiefsohn, den er auch online anbot. Seine Mutter (Kita-Erzieherin) und die Mutter des Kindes wussten von den Taten. Laut dem Polizisten Joachim Proll fielen die vier erwachsenen Männer drei Tage lang „abwechselnd über Stunden auf das Schlimmste“ über die beiden Jungen her. Teilweise sollen sie mit einem Lösungsmittel betäubt worden sein, das Herz- oder Atemstillstand auslösen kann. Rund 800 Terabyte Datenmaterial wurden bei der Festnahme von Adrian V. beschlagnahmt. Sueddeutsche.de, WDR, Westfälische Nachrichten

Ebenfalls erinnert werden sollte an das staatlich geförderte Kentler-Experiment. Der Psychologe und Sozialpädagoge Helmut Kentler händigte Heim- und Waisenkinder an pädophile Sexualstraftäter aus, die die Kinder dann systematisch sexuell missbrauchten. Das alles staatlich kontrolliert und im Einklang mit den Jugendämtern.

Ebenfalls auf dieser dunklen Liste:

der als „gesellschaftlich unantastbar“ geltende Kinderarzt Franz Wurst, der mehrere Kinder missbrauchte, bei dem jeder schwieg und der nach nur vier Jahren Haft wieder freikam, und der verurteilte Aktionskünstler Otto Muehl, der hohes Ansehen genoss, obwohl bekannt war, dass er in seiner Kommune Kinder über Jahre hinweg missbraucht hatte. Sieben Jahre nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis lud der damalige Intendant des Burgtheaters, Claus Peymann, Muehl für eine Lesung an das Theater und schien kein Problem mit Muehls Vergangenheit zu haben. Ebenso wie das Zentrum für politische Schönheit unter Philip Ruch, das gegen den Willen der Missbrauchsopfer versucht hatte, eine Werkschau am Friedrichshof, dem Ort, wo Muehl die Kinder missbrauchte, zu veranstalten.

All diese Kinderschänder gaben an, dass ihre Taten im Einvernehmen mit den Kindern stattgefunden hätten – ein Einvernehmen, dass der Pädagoge Rüdiger Lautmann in seinem Buch Die Lust am Kind beschrieben hat, ein Mann, der jüngst in einem Kita-Vorstand für Transkinder saß.

Die Liste der Gräueltaten ließe sich endlos fortsetzen und ist an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffen. Bedenkt man jedoch, wie viele dieser selbst produzierten und ins Netz gestellten Videos und Bilder sich auf Teichtmeisters Endgeräten befunden haben, und führt man sich dann die Opfer vor Augen, dann wirkt die Aussage Ramis, es handele sich bloß um ein „rein digitales Delikt“, zynisch. Ein Hohn für die Opfer von Gewalt und Folter.

Doch was nun?

Am 8. Februar hätte eigentlich ein Blitzprozess gegen Teichtmeister stattfinden sollen. Der Schauspieler meldete sich aber krank. Auch in der Theaterlandschaft ist es still um ihn geworden. Reden möchte man darüber erfahrungsgemäß eher weniger. Doch das Gegenteil müsste der Fall sein. Statt sich mit selbstgefälligen, belanglosen und sich ständig wiederholenden Inszenierungen zu schmücken, könnte man das Thema aufnehmen und mit den Mitteln des Theaters auf Täter und Opfer aufmerksam machen – und mit den Opfern dieser Gewalt sowie Experten wie der Psychotherapeutin für Traumabewältigung, Michaela Huber, Podiumsdiskussionen veranstalten. Der deutsche Bühnenverein könnte eine öffentlichkeitswirksame Initiative gründen, in der er auf ein Milliardengeschäft mit dem Missbrauch von Kindern aufmerksam macht und dieses Thema auf die Tagesordnung setzt. Die Kapazitäten stünden den Theatern problemlos zur Verfügung. Denn Florian Teichtmeister ist ganz sicher kein Einzelfall.

Doch die Wirklichkeit sieht wohl so aus, dass man sich nach einer Pseudo-Empörung wieder zur Ruhe setzt, bis der nächste Skandal für einen kurzen Moment durchs Mediendorf gejagt wird und alle wieder sagen können, wie schrecklich sie das finden und dass sie von allem nichts gewusst haben. Und dass man unbedingt etwas dagegen unternehmen müsse. Bis dahin entsteht eine neue Mauer des Schweigens, während Produktion, Missbrauch, Folter und Gewalt an Kindern weiter ihren Gang gehen.

Burak Hofmann ist Student an der Freien Akademie für Medien und Journalismus.

Mehr von Burak Hofmann: Lockdown für Krieg und Kapital

Bildquellen: Christos Giakkas, Wolfgang R. Zissler, pixabay