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Bericht | 22.12.2022
Freiheit adé bei BlaBlaCar
Das französische Unternehmen BlaBlaCar hat die Barzahlung abgeschafft – ein Schritt des Marktführers für Mitfahrgelegenheiten in die falsche Richtung.
Text: Flavio von Witzleben
 
 

„Das Ende des Bargelds bedeutet das Ende der monetären Freiheit.“ Dieser Satz stammt nicht von einem Ökonomen oder einem bekannten Gesellschaftskritiker, sondern von Ahmed, einem Ägypter, der über BlaBlaCar eine Mitfahrt in meinem Auto gebucht hatte. Das aus Frankreich kommende Portal hat seit Ende November 2022 die Barzahlung abgeschafft und akzeptiert nur noch Online-Zahlungen über die App. „Die Gründer haben ihre eigenen Werte verraten“, sagt Ahmed über die neueste Entwicklung des Start-ups. Ahmed hat Volkswirtschaftslehre in Alexandria studiert und arbeitet mittlerweile seit über sieben Jahren in der Automobilbranche, wobei er im Bereich autonomes Fahren Systeme entwickelt. Mit ihm verbringe ich eine dieser Touren, die man so schnell nicht vergisst: erkenntnisreiche Gespräche, kultureller Austausch, gute Unterhaltung – und das Ganze in einem Kleinwagen auf der Autobahn.

Sicherheit versus Freiheit

Eigentlich ist das eine Fahrt, wie sie sich die Gründer des Unternehmens vorgestellt haben müssen, wenn da nicht dieses „aber“ wäre. Die Möglichkeit, den Fahrer in Bar zu bezahlen, besteht seit einigen Wochen nicht mehr. Man wolle damit die Sicherheit im Zahlungsprozess garantieren, so das Unternehmen. Das Problem war bisher schlicht, dass über die Funktion der Barzahlung die Gefahr bestand, dass man als Fahrer bei kurzfristiger Absage nicht nur ohne Mitfahrer, sondern auch mit leeren Taschen dastand. Nun sorgt BlaBlaCar dafür, dass bei Absage bis einen Tag vorher immerhin noch die Hälfte des Fahrpreises auf das Konto des Fahrers überwiesen wird. Bei Nichterscheinen oder kurzfristiger Absage wird sogar der komplette Betrag gutgeschrieben. Das erscheint auf den ersten Blick als nutzerfreundlich, fair und bequem. Doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass es eine Entwicklung forciert, die unsere bürgerlichen Freiheiten unterminiert. Doch der Reihe nach.

Der Gründungsidealismus

BlaBlaCar wurde 2006 von Frédéric Mazzella, Francis Nappez und Nicolas Brusson in Frankreich gegründet. Die Idee entstand, als Mazzella zu Weihnachten seine Eltern auf dem Land besuchen wollte. Da jedoch alle Züge und sonstige Reisemöglichkeiten ausgebucht waren, musste er, um Weihnachten nicht allein zu verbringen, mit seiner Schwester reisen. Bei der Fahrt in die Heimat stellte er fest, dass noch Sitze im Auto leer blieben – die Idee der Gründung einer Mitfahrzentrale war geboren. Heute beschäftigt das Unternehmen knapp 600 Mitarbeiter und verfügt über mehr als 100 Millionen Mitglieder in 22 Ländern, davon 19 in Europa sowie Brasilien, Indien und Mexico. Während das Unternehmen 2014 noch 40 Millionen Euro Umsatz erzielte, waren es 2019 bereits rund 500 Millionen.

Mitfahrer

Seit 2018 ist das Unternehmen überdies in den Fernbusmarkt eingestiegen und bietet dort wie das deutsche Pendant Flixbus Lang- und Kurzstreckenreisen an. Außerdem verlangt BlaBlaCar Nutzungsgebühren. Es stehen zwei Mitgliedschaften zur Wahl: eine einwöchige für 3,99 Euro und eine vierwöchige für 5,99 Euro. Solange eine Mitgliedschaft aktiv ist, kann der Nutzer unbegrenzt viele Mitfahrten buchen. Aufgrund der Corona-Pandemie verzichtete BlaBlaCar in Deutschland auf die Mitgliedsbeiträge und verlangt aktuell keine Verwaltungsgebühr beim Buchen von Mitfahrten. Mit rund acht Millionen registrierten Nutzern dominiert BlaBlaCar den deutschen Markt für Mitfahrgelegenheiten. Dabei half unter anderem auch die Übernahme der carpooling.com GmbH 2015. Diese hatte die Plattformen mitfahrgelegenheit.com und mitfahrzentrale.com betrieben. BlaBlaCar hat sich dadurch de facto eine Monopolstellung erkauft.

Strategie des Paternalismus

Die Monopolstellung führt nun dazu, dass das Unternehmen freie Hand hat, wenn es um die Einführung neuer technischer Möglichkeiten geht. Als das deutsche Start-up Mitfahrgelegnheit.de im Jahr 2013 Gebühren einführte, wurde es von seinen Nutzern boykottiert und später von der damals noch gebührenfreien Konkurrenz aufgekauft. Neun Jahre später ist es BlaBlaCar möglich, die Kommunikation der Nutzer ohne allzu großen Widerstand zu überwachen. Wer nämlich versucht, die Online-Zahlung zu umgehen, dessen Nachrichten werden mithilfe eines installierten Bots nicht versendet, wodurch Absprachen mit den Mitfahrern unmöglich gemacht werden.

Das Unternehmen setzt bei seiner Strategie auf Paternalismus, Nachrichten werden zensiert und gelöscht, unerfreuliche Blogeinträge auf der Seite des Unternehmens sind nicht mehr auffindbar. Wer seinem Unmut Ausdruck verleihen möchte, kann dies tun, allerdings nur schriftlich, denn BlaBlaCar bietet keine Telefon-Hotline an. Auf eine Antwort auf meine Mail mit der Frage, wie es um meinen gehackten Account steht, musste ich mehrere Tage warten. Hintergrund war, dass mit der Übernahme von mitfahrgelegenheit.de Hacker 640.000 Iban-Nummern sowie hunderttausende Mailadressen und Handynummern abgegriffen haben. BlaBlaCar erklärte damals zu dem Datenklau, es seien „Fehler“ gemacht worden. Mehr wollte man nicht sagen.

Machst du nicht mit, kommst du nicht rein

Die Abschaffung der Bargeldzahlung fügt sich in einen Trend, der ganz im Interesse der herrschenden Elite ist: Kontrolle über alle Lebensbereiche der Bürger. Das Narrativ ist dabei stets dasselbe: Es gehe um unsere Sicherheit – und die technischen Innovationen ermöglichen die Umsetzung. Wir Bürger werden ja nicht gezwungen, doch wer nicht mitmacht, ist aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen.

„Wenn du wieder zurückfährst, gib mir Bescheid“, sagt Ahmed, nachdem ich ihn in Berlin vor seiner Wohnung abgesetzt habe. Er drückt mir noch einen 5er-Schein als Dank für die kurzweilige Fahrt in die Hand. „Siehst du“, sagt er, „so fühlt sich Freiheit an“. Ich danke ihm und fahre zur Tankstelle. Bezahlen kann ich nur mit Karte.

Flavio von Witzleben ist Student an der Freien Akademie für Medien & Journalismus.

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Bildquellen: bobtheskater, Pixabay; Prawny, Pixabay