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Rezension | 22.12.2023
Bröckers trifft Ballweg
Ein buchlanges Interview dokumentiert Aufstieg und Fall von Querdenken sowie einen Justizskandal.
Text: Michael Meyen
 
 

Der Verlag, natürlich. Zuerst muss ich ein Wort zum Verlag sagen. TigerPress. Da war doch mal was. Google sagt: Fix & Foxi. Comics. Pleite vor knapp anderthalb Jahrzehnten. Jetzt steckt Westend drin, steht aber nicht drauf. Die Webadresse, kleingedruckt auf dem Rückdeckel, funktioniert nicht. „Coming soon …“.

Auch das Cover verrät nicht alles. „Richtigstellung!“ steht da unter zwei Namen. Michael Ballweg, Ralf Ludwig. Vor dem Kauf ein kurzes Zögern. Ein Unternehmer und ein Anwalt. Will ich mich wirklich quälen? Beim Aufschlagen kurz vor Weihnachten habe ich mich dann wie zu Ostern gefühlt. Überraschung. Das Buch ist von Mathias Bröckers. Ein buchlanges Interview, wie schon 2016 mit Ken Jebsen, seinerzeit erschienen bei fifty-fifty, noch so einer Tarnmarke von Westend, wo der Verlag Texte versteckt, die er veröffentlichen möchte, ohne Kontaktschuld zu riskieren. Damals stand der Interviewer noch auf dem Cover, und der Leser konnte dem Angeklagten ins Gesicht schauen. TigerPress zeigt uns Ballwegs Rücken.

Egal. Mathias Bröckers versteht sein Handwerk. Er lässt Ballweg und Ludwig fast immer so sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, und stellt die Fragen, die auf der Hand liegen. Wenig Schriftsprache, vermutlich immer dort, wo es juristisch relevant wird. Für künftige Historiker ist diese Befragung des Zeitzeugen Ballweg ein Geschenk. Woher kam dieser Mann, wie war das mit den ersten Demos in Stuttgart und warum ist das Label Querdenken in Windeseile so groß geworden, dass im August 2020 zweimal riesige Menschenmengen nach Berlin pilgerten, um das Corona-Regime zu kippen, den Debattenraum zu öffnen und die Grundrechte zu retten? Und vor allem: Warum hat das trotz dieser Millionenaufmärsche nicht geklappt?

Antwort eins: „Einen Michael Ballweg hatte man nicht auf dem Schirm. Man hatte nicht auf dem Schirm, dass ein Unternehmer, der ja auch eine soziale Fallhöhe hat, quasi alles riskiert, um sich für die Grundrechte einzusetzen“ (S. 43). Dieser Unternehmer wusste, wie es geht. Markenentwicklung, Organisation, mediale Begleitung. „Von Anfang an“ alles im Livestream, „sauber auf YouTube nachdokumentiert“ (S. 30) und als Konzeptpaket verschenkt an alle, die vom Meister lernen wollte. Gut vierzigmal Querdenken im ganzen Land, unterscheidbar nur durch die Postleitzahl.

Antwort zwei: Michael Ballweg war bereit. Die Firma gerade verkauft, so Geld und Know-how im Gepäck, ein Motiv („Eigentlich habe ich das alles nur gemacht, damit ich meine ‚Walking Meditations‘ in Ruhe machen konnte im Wald“, S. 23) und den Keim des Zweifels. „Natürlich hatte ich mich vor dieser Demo immer schon mit Wirtschaft und mit dem Geldsystem beschäftigt und darüber viel erfahren, auf KenFM“ und anderen Kanälen (S. 21). Der Staat habe „die Macht und die Power“ unterschätzt, „die mittlerweile die alternativen Medien haben“ (S. 43). Bis Mitte 2021, glaubt Ballweg heute, hätten er und seine Leute im Netz „die Meinungshoheit“ gehabt. „Das war die große Gefahr, welche die Behörden gesehen haben“ (S. 30).

Mathias Bröckers geht mit Michael Ballweg zurück nach Stuttgart, nach Berlin, nach Saalfeld in die Hacienda Mexicana. Es ist gut, dass all das jetzt festgehalten ist zwischen zwei Buchdeckeln. Regeln, Auflagen, Verbote. Der ganze Irrsinn von der Wasen bis zum Brandenburger Tor. Leipzig am 7. November 2020, Kassel am 20. März 2021. Ballweg spricht über die „staatliche Inszenierung“ am 29. August 2020 in Berlin (S. 54) und darüber, wie er auf die Idee kam, dort im Camp eine „verfassungsgebende Versammlung“ abzuhalten (S. 59). „Plan A war sicherlich das Demo-Verbot, und als sie gemerkt haben, das hält nicht, haben sie halt diesen Alternativplan mit den Neo-Nazis und Q-Anon-Spinnern an der Reichstagstreppe entwickelt, um Querdenken damit zu kontaminieren“ (S. 66).

Gelungen ist das spätestens am 15. November 2020, als Ballweg in Thüringen Peter Fitzek traf. Er selbst sagt im Rückblick, dass das Meeting von seinem Team vorbereitet worden sei und dass er sich gewundert habe, dort Martin Lejeune und Kilez More zu sehen. „Wir wollten doch Querdenken-Organisationsfragen besprechen.“ Ergebnis: „ein großer Eklat“ und „rund 30 Prozent“ Verlust (S. 47). „Wenn ich mich da weggeduckt hätte, wäre ich schon im ersten Jahr der Bewegung nicht mehr authentisch gewesen, weil ich nicht mehr zu meinem eigenen Wertekanon gestanden hätte“ (S. 48).

So oder so: Der Stecker war gezogen. Ballweg: „Diese soziale Komponente, dass der Nachbar auf einmal sagt, du bist ein Querdenker (= Nazi), dieses Thema habe ich total unterschätzt“ (S. 39). „Ich habe meinen Gegner unterschätzt und konnte deshalb ungezwungener und freier herangehen, als wenn ich gewusst hätte, wie es den 68ern oder der Anti-AKW-bewegung ergangen ist, oder schon Bücher wie die von Daniele Ganser gekannt und gewusst hätte, was die CIA so treibt“ (S. 42). Die Corona-Opposition erst unter einem Label vereinen und dann via Reichstagssturm und Reichsbürgertum in die rechte Ecke stellen: Das war Staatskunst, hoch und tief. „2021 hatten wir nicht mehr die energetische Stärke und auch nicht mehr die finanzielle wie 2020“ (S. 74). Die „ersten Kontokündigungen“, eine Firma, der „die ganzen Großkunden“ abspringen (S. 74), dazu „Fragmentierungen oder Eigenermächtigungen“ (S. 75). Es musste erst der Oktober kommen und vor allem der Montag.

Auch jenseits dieser Einblicke ist es spannend, Michael Ballweg zu lauschen. Wer weiß schon, wie es in Stammheim zugeht, wen man dort so trifft und wie ein Unternehmer behandelt wird, der zum Staatsfeind gemacht wurde. Ballweg wirbt für „eine dezentrale Gesellschaft, wo die Menschen eigenverantwortlich und in Selbstbestimmung leben können“ (S. 86), und lobt seine Erben, die Spaziergänger, die nicht nur in Sachen Humor bei ihm gelernt haben. Selbst für den Medienforscher hat er ein Schmankerl – eine Talkshow beim RBB kurz nach den Berliner Demos, bei dem ihn die Redaktion mit Olaf Sundermeyer konfrontierte und im Publikum „Leute mit roten Jacken“ platzierte, die bei Bedarf für Volkes Stimme stehen sollten. Dumm gelaufen, denn zufällig kam eine Frau ans Mikro, die nicht wusste, was da gespielt wurde, aber Rot trug. „Und die sagt dann, Herr Sundermeyer, also normalerweise muss ich Ihnen recht geben, aber was hier gerade läuft, ist komplett falsch. Und am Rand stand dann einer und hat gewedelt: Sofort aufhören, die gehört nicht zu uns“ (S. 70).

Zu ergänzen ist: Ballweg durfte in dieser Sendung fünfeinhalb Minuten sprechen und Sundermeyer zehneinhalb. Danke, Mathias Bröckers, dass wir jetzt wissen, was er noch alles zu sagen hat.

Bildbeschreibung

Bildquellen: Michael Hofmann @Pixabay, Westend