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Bericht | 23.03.2024
Kaufen statt klatschen
Zwei Beispiele aus MV: Wer Lebensmittel direkt an der Quelle holt, bekommt Qualität und hilft den Landwirten vor Ort.
Text: Mirko Jähnert
 
 

Nur wenige Wochen ist es her, dass die Bauern protestiert haben. Auslöser waren Streichungen von Vergünstigungen, Stichwort Agrardiesel. Der Hintergrund ist ein anderer. Im Zangengriff von Großkonzernen und Preisdiktaten lohnt sich bäuerliche Landwirtschaft kaum noch. Viele kleinere Höfe müssen schließen, weil der Betrieb nicht genug zum Leben abwirft. Von 1975 bis 2023 sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und Bauernhöfe von über 900.000 auf 255.000. Ein Exodus des bäuerlichen Mittelstandes, in nicht einmal einem halben Jahrhundert.

Das Ende der Fahnenstange ist damit noch lange nicht erreicht. Nach einer Studie der DZ-Bank verschwindet bis 2040 jeder Zweite von denen, die noch da sind. Großbetriebe übernehmen den Markt. Im Sinne der Verbraucher ist das nicht. Wo Profitmaximierung an erster Stelle steht, sind Lebensmittelskandale die Folge. Dabei unterstützten die Menschen das Anliegen der Bauern bei den Protesten. Wer mehr tun möchte, als am Straßenrand Beifall zu klatschen, hat Möglichkeiten. Zwei Unternehmer, die mit gutem Beispiel vorangegangen sind, erzählen ihre Geschichte.

Montag früh um acht. Ulrike Ziggel bereitet die Bestellungen für die Auslieferung vor. Rund 40 „Fretbüdel“ mit frischen Lebensmitteln aus der Mecklenburgischen Schweiz wollen Woche für Woche verschickt werden. „Fretbüdel“ ist plattdeutsch und bedeutet „Essenstüte“, sagt Ulrike Ziggel lachend. Die Kunden bekommen jede Woche ein Überraschungspaket. Häufig sind Brot, Butter, Kartoffeln, Obst und Gemüse aus der Region in der Tüte. Gelegentlich Käse, Fisch, knackiger Salat oder auch mal ein Getränk. Jede Woche anders, aber jede Woche frisch und regional.

Angefangen hat alles mit einem Naturkostladen in Gessin bei Basedow. Schnell merkte das Gründerteam, dass die Nachfrage nach regionalen Produkten groß war. Das Problem kennt jeder: Bei welchem Produzenten bekomme ich welche Produkte? Ulrikes Lösung: die Gründung einer Handelsplattform, auf der Kleinbetriebe und Endverbraucher zusammenkommen können. Seit 2018 kann man bei ihr nun den „Fretbüdel“ in verschiedenen Varianten bestellen. Die Lebensmittel kommen ausschließlich von kleineren Betrieben aus der Region. „Produkte von hier, für hier“ bringt Ulrike Ziggel das Konzept auf den Punkt. Verschickt wird die Ware gekühlt direkt bis zur Haustür, in größeren Städten an Abholstationen. Aus dem Angebot von rund 50 regionalen Anbietern wird jede Woche ein neuer „Fretbüdel“ zusammengestellt. Diesen Überraschungseffekt mögen die Kunden, die Älteren freuen sich über die Lieferung nach Hause. Außerdem liegt jeder Lieferung ein Rezept bei, das auf die gelieferten Lebensmittel abgestimmt ist. So wird der „Fretbüdel“ gleichsam zum familiären Koch-Event. Da in jeder Lieferung aufgeführt ist, von welchem Hof welches Produkt stammt, weiß der Verbraucher genau, was auf den Tisch kommt.

Natürlich gibt es auch Kunden, die gern regional kaufen würden, aber dann doch lieber zum Discounter gehen. Dass die Menschen weniger Geld im Portemonnaie haben, merkt auch Ulrike Ziggel. „Die Konsumenten sparen leider zuerst bei den Lebensmitteln“, sagt sie. „Das teuerste Öl kommt ins Auto, das billigste in den eigenen Körper.“ Bei vielen Produkten ist die Preisdifferenz dabei gar nicht so groß. Der Unterschied in Geschmack und Frische dagegen schon, allein wegen der kurzen Lieferwege. Ulrike Ziggel macht eine andere Rechnung auf: „Viele Lebensmittel landen auf dem Müll. Da ist es sinnvoller, weniger einzukaufen und dafür auf Qualität zu achten.“ Die Kunden von Ulrike Ziggel sind Menschen, die sich über Gesundheit Gedanken machen und die Wertschöpfung in der Region behalten wollen. „Ernährung ist politisch“, sagt sie. „Die Verbraucher müssen ihr Verhalten ändern. Die Entscheidung fällt an der Ladenkasse.“ Außerdem geht es um die Verschwendung von Ressourcen. Die Produkte im „Fretbüdel“ sind nicht in Folie eingeschweißt. Noch ein Unterschied zum Discounter.

Wer landwirtschaftliche Kleinbetriebe unterstützen möchte, muss sich selbst kümmern und Anbieter wie Ulrike Ziggel ausfindig machen. Initiativen dieser Art und regionale Produzenten gibt es in vielen Regionen. Damit hilft man den Bauern wirklich. Auch auf Wochenmärkten bieten regionale Händler ihre Waren an. Das Stichwort: Direktvermarktung. Diesen Vorteil nutzt auch der Landwirtschaftsbetrieb Van der Ham in Bollewick in der Nähe von Röbel (Müritz). „Seit 20 Jahren sind wir hier ansässig“, sagt Matthijs van der Ham. „Seit 2013 verkaufen wir auch direkt an unsere Kunden.“ Seitdem hat das Unternehmen nicht nur die Produktpalette ständig erweitert. Gab es anfangs nur einen Rohmilchautomaten am Standort in Bollewick, kann man jetzt auch Fleisch, Eier oder Kartoffeln aus der Region kaufen. Im Ort gibt es eine Käsemanufaktur, in der die Milch weiterverarbeitet wird. Insgesamt unterhält der Hof in Mecklenburg 17 Milchautomaten bzw. Milchspender, die zweimal wöchentlich beliefert werden. Dort können die Kunden frische Milch „tanken“, die in der eigenen Hofmolkerei sorgsam pasteurisiert wurde und damit deutlich mehr Nährstoffe enthält als sonst im Handel üblich. Die Fett- und Eiweißwerte stehen auf der Homepage des Unternehmens – immer aktuell, versteht sich.

„Eigentlich ist die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte das Hauptgeschäft und nicht der Vertrieb“, sagt Matthijs van der Ham. Sein großes Aber: „Das System funktioniert nicht.“ Deswegen verzichtet man in Bollewick auf Zwischenhändler und lange Transportwege. Der Kunde bekommt ein frisches Produkt und der Produzent einen fairen Preis. An den Milchautomaten kostet der Liter frische Milch 1,40 Euro. Damit braucht das Unternehmen den Vergleich mit der Konkurrenz aus dem Supermarkt nicht zu scheuen. Den Preis sieht Matthijs van der Harm nicht als Grund an, warum noch nicht alle Verbraucher den Weg zum Produzenten vor Ort finden. Er sagt: Oft entscheiden sich die Kunden aus Bequemlichkeit für den Supermarkt. „Unsere Kunden sind Leute mit Geschmack.“

Van der Ham möchte Landwirtschaft erlebbar machen und Interesse wecken. Woher kommen meine Lebensmittel? Wer will, kann den Hof besichtigen. Am 1. Juni 2024 findet ein Tag des offenen Hofes statt. Für Verpflegung ist (wie sollte es anders sein) gesorgt. Manche kennen das Unternehmen vielleicht schon von ihren Kindern, über das Label „Natürlich aus MV“, wo Van der Ham Grundschulen mit frischer Milch beliefert. „Interessierte können sich gerne bei uns melden.“

Bildquellen: counterdesign @Pixabay