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Rezension | 08.12.2023
Geheimdienst 2.0
Ronen Steinke, SZ-Journalist, bedient mit seinem Buch über den Verfassungsschutz eine Agenda der Grünen, die in Sachsen schon umgesetzt wird.
Text: Michael Meyen
 
 

Das musst du unbedingt lesen, Michael, hat mir ein Freund gesagt. Sonst verstehst du nicht, wie die ticken. Ich dachte: Verfassungsschutz. Ronen Steinke. Will ich das wirklich wissen? „Die fragwürdigen Methoden des Nils Melzer“ stand im Januar 2022 über einem Artikel, den Steinke zusammen mit Thomas Kirchner in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht hat. Polizei auf Corona-Demos. Julian Assange. SZ-Tenor: Dieser Melzer geht „zu weit“. Eine Gegendarstellung lehnt der Verlag ab. Melzer soll weg. Ziemlich genau ein Jahr später greift Steinke am gleichen Ort den Verlag C. H. Beck an. Es geht um den „Geist des Hauses“ und einen seiner Autoren, Hans-Georg Maaßen. Überschrift: „Im Bund mit dem Verschwörungsrentner“. Ronen Steinke: Das ist die Abteilung Attacke. Und jetzt soll ich ein ganzes Buch von ihm lesen?

Ich mag den Freund, der mir den Tipp gegeben hat. Ein weiser Mann, der alles erlebt hat, was diese Welt bieten kann, und Intellektualität nicht spielen muss, weil er sie buchstäblich mit Haut und Haar verkörpert. Es wird allerdings nicht besser. Beim Lesen schaue ich hin und wieder nach den Zumutungen, die die Süddeutsche Zeitung Tag für Tag unters Volk bringt. Montag: „Harte Linie gegen Corona-Leugner“. Schon dieser Begriff. Corona-Leugner. Ronen Steinke freut sich, dass das Bundesverwaltungsgericht einen Ex-Offizier abstraft. Auch „Staatsdiener“ (also Leute wie ich) dürfen bestraft werden, „wenn sie Verschwörungsmythen verbreiten und die Pandemiepolitik als ‚diktatorisch‘ kritisieren“. Dafür fällt sogar die Bezahlschranke. Dienstag, nur gegen Geld: „Es ist Zeit für ein Verfahren gegen die AfD“. Diesmal wittert Ronen Steinke ein „Komplott gegen die Demokratie“ und sieht dabei eine Kraft am Werk, die sich „im täuschenden Gewand einer legalen Partei“ aufmacht, das „System von innen auszuhebeln“ – und das ausgerechnet „im 75. Jahr des Grundgesetzes“. Kann man sich nicht ausdenken.

Dieser Ronen Steinke, lese ich zunächst ein wenig staunend, will den Verfassungsschutz abschaffen. Ich muss dazu sagen, dass mich seine Zeitung Ende März zu einem „Fall für den Verfassungsschutz“ gemacht und meine Universität dazu gebracht hat, beim zuständigen Landesamt nachzufragen. Vielleicht war es auch umgekehrt oder noch ganz anders, mit Minister zum Beispiel. Egal. Steinke schreibt auf, was man gegen diesen Geheimdienst vorbringen kann. Er überwacht Menschen, die „völlig legal im Rahmen der Meinungsfreiheit agieren“ (S. 31). Er prangert an, stigmatisiert, produziert Unpersonen. Halt dich bloß fern von dem, mein Lieber. Sonst sind sie auch bei dir. Habe ich selbst erlebt. Der Verfassungsschutz darf definieren, „wer ein Verfassungsfeind“ ist (S. 161), und dann loslegen. V-Leute, Lauschen, Hacken. Trojaner. Material „seinen Weg in die Medien“ finden lassen (S. 80). Das ganze Programm. Der Dienst lockt mit Geld, Ruhm, Straferlass. Er droht. Er manipuliert und zerstört – „ausdrücklich mit dem Ziel, die politische Dynamik im Inland zu verändern“ (S. 17). Kontrolle? Nun ja. Die G-10-Kommission, benannt nach dem Grundgesetzartikel, der das Schnüffeln eigentlich verbietet, gehört vier Parteien. Steinke: „Die Linkspartei und die AfD hat man ganz hinausgedrängt“ (S. 63). Dazu kommt ein „parlamentarisches Kontrollgremium“. 13 Leute, im Moment geführt von Matthias Bartke, einem Vertrauten des Kanzlers (S. 64). Das ist Steinkes wichtigster Punkt: Der Verfassungsschutz „ist eine hierarchisch eingebundene Behörde und hat zu gehorchen, falls das Ministerium ihm etwas vorgibt“ (S. 59). Vielleicht ist es also nicht ganz falsch, selbst in meinem kleinen „Fall“ Tripple-L anzunehmen. Landesregierung, Landesamt, Leitmedium. In einem solchen Bermuda-Dreieck geht jede Universität verloren.

Bei Ronen Steinke kann man nachlesen, wohin ein „Politik-Beobachtungs-Geheimdienst“ führt, der nichts weiter tut und darf, als die Regierung zu „unterrichten“, und sich dabei der Kontrolle des Rechtsstaats entzieht (S. 19): In jeder Krise wächst der Apparat, weil die Macht zu wackeln scheint. 9/11, NSU, Wir schaffen das, die Reichsbürger und immer wieder „das Thema Rechtspopulismus“ (S. 25). Jedes Mal mehr Stellen und mehr Geld. Heute hat allein das Bundesamt knapp 4000 Hauptamtliche und einen Etat (2023) von einer halben Milliarde Euro – dreimal mehr als vor 20 Jahren (S. 28). Alle Landesämter zusammen kommen auf fast noch einmal so viele Leute und machen damit insgesamt die Milliarde sicher voll. Wenn so viele Menschen dafür bezahlt werden, nach Verfassungsfeinden zu suchen, dann finden sie Verfassungsfeinde. Sie müssen welche finden, weil sie sonst auch selbst sehen würden, welchen Bullshit-Job sie haben. Steinke schaut in die USA, nach Frankreich, nach Österreich. Ein Geheimdienst, der eine legale Partei „systematisch beobachtet“ und vielleicht sogar dabei hilft, sie zu zersetzen? „So etwas gibt es in anderen liberalen Demokratien nicht“ (S. 69). Also weg damit. Überlasst Kriminalität der Polizei und damit selbstredend auch „illegale politische Aktivitäten, zum Beispiel von Terroristen“ (S. 206).

In meinem früheren Leben hätte ich vermutlich bedächtig genickt. Andreas Temme, Halit Yozgat, Kassel. Das hätte mir als Argument gereicht. Wer seine Akten schreddert oder 120 Jahre sperrt, hat Dreck am Stecken. Heute bin ich misstrauischer. Ronen Steinke hat nichts gegen DEL, den „neuen bürokratischen Begriff“, den der Verfassungsschutz hat „erfinden müssen“ (die Ärmsten), um die „Beobachtung der sogenannten Querdenker-Bewegung, des verschwörungsideologischen Milieus“ einordnen zu können neben REX und LIX, den Feinden aus der Vor-Corona-Welt. Rechtsextremismus, Linksextremismus und nun auch noch Delegitimation des Staates. Herrjemine. 350 zusätzliche Planstellen ab dem Haushaltsjahr 2021 (S. 26). Bei so viel teurem Personal musste selbst ich irgendwann auffallen. Steinke lässt eine Digitalagentin sprechen, die im Netz unter falschem Namen postet, diskutiert, provoziert. Diese „Bubble der neueren Verschwörungstheorien“. Menschen, die hinter Lockdowns, Maskenpflicht, Impfzwängen „einen diabolischen Plan sehen“. Der Leser soll Mitleid bekommen mit dieser Frau. „Belastend, sich den ganzen Tag solche Verschwörungserzählungen durchzulesen“. Es folgen das Adjektiv „abstrus“ und etwas von der „flachen Erde“ (S. 134). Nein, Ronen Steinke sieht sich auf der Seite der Kämpfer gegen das, was der Verfassungsschutz DEL nennt. Sonst hätte er nicht auf Melzer und Maaßen geschossen oder das Urteil gegen den pensionierten Offizier gewürdigt, der sich auf Facebook nicht beherrschen konnte. Warum will er die Behörde trotzdem dichtmachen?

Antwort eins findet sich im Buch. Dieser Geheimdienst ist, wenn man Ronen Steinke folgt, in der Hand von unsicheren Kantonisten. „Rechts bis in die Spitzen“ heißt das Kapitel über Hans-Georg Maaßen, Präsident von 2012 bis 2018 und schnell „zur Leitfigur jener Beamten geworden, die wegen der Flüchtlingspolitik ihren ‚Dienst mit der Faust in der Tasche verrichten‘“ (S. 184). Dieser Mann habe nicht nur die Überwachung der AfD blockiert, sondern die Partei- und Fraktionschefs auch noch „vertraulich zum Gespräch getroffen“ (S. 192) und ihnen dabei sicher gesagt, was sie besser unterlassen. Maaßen in den Worten von Steinke: „Die Auseinandersetzung müssten die Parteien politisch führen, nicht über den Inlandsgeheimdienst“ (S. 187). Unerhört.

Ich kann das hier ironisieren, weil Ronen Steinke, promovierter Jurist und gefeierter Buchschreiber, selbstredend weiß, dass er hier einer Machtpolitik das Wort redet, die einen aufstrebenden Konkurrenten ausschalten will. „Rechtspolitischer Korrespondent“ nennt ihn die Süddeutsche Zeitung auf der Autorenseite. Hinter diesem harmlosen Titel verbirgt sich eine Definitionsmacht, die mit dem Blatt zusammenhängt und mit der Position, die Steinke sich erschrieben hat. In diesem Buch gibt er der Kapitalismuskritik genauso Feuerschutz wie Gretas Freitagsklebern. Zitat: „Klimazerstörung ist Demokratiezerstörung“ (S. 84). Das Bundesverfassungsgericht lässt schließlich grüßen. Und: Selbst Ulrike Herrmann von der taz sagt, dass „grünes Schrumpfen“ nötig ist (S. 93). Also, meine Herren und Damen Verfassungsschützer, lassen Sie die jungen Leute endlich in Ruhe. Auch die, die einfach nur „an der gegenwärtigen Form der Marktwirtschaft“ rütteln (S. 87).

Gegen diesen letzten Satz ist genauso wenig zu sagen wie gegen die Verteidigung der Tageszeitung Junge Welt (Stammgast in den Verfassungsschutzberichten) oder der Organisation VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten). Ich hatte 2016 Probleme, weil ein Doktorand (nicht nur) dort Mitglied war und der Geheimdienst deshalb nicht wollte, dass er im öffentlichen Dienst arbeitet. Ein Unding, dass eine Universität erst fragen muss und dann im Regen steht, wenn ein Nein kommt. Dieser Doktorand hat allerdings nie verstanden, dass ich gleiches Recht für alle wollte. Michael, du bist rechts offen, hat er immer dann gesagt, wenn ich mit allen reden wollte – auch mit seinen politischen Gegnern.

Wahrscheinlich ist das ein Erbe der DDR. Die SED wusste, wo der Feind steht. Ronen Steinke weiß das auch. Ich beneide ihn darum. Wehrhafte Demokratie. Was für eine herrliche Formel, erfunden von Karl Löwenstein im Licht der dunklen Zeit. Wieder in den Worten von Steinke: „Die Demokratie müsse verhindern, dass Antidemokraten ins Parlament einzögen und von innen heraus Wahlrecht und demokratische Grundprinzipien abschafften. Das ist ein Gedanke, der heute genauso einleuchtet wie damals“ (S. 202). Stimmt das? Leuchtet dieser Gedanke ein, wenn ihn jemand äußert, der genau das tatsächlich permanent befördert, was er den Herausforderern lediglich unterstellt? Überhaupt: Wer ist das, „die Demokratie“? Die, die bestimmen können, wer „Verschwörungserzählungen“ verbreitet und damit auszuschließen ist aus dem Debattenraum? Was Peter über Paul sagt, geht ein Bonmot, sagt mehr über Peter als über Paul. Peter-Ronen-Steinke, ganz nah dran an den Fleischtöpfen der Macht, behauptet, dass Paul-AfD ihn weder mitessen noch mitreden lassen will, falls das Volk, dieser große Lümmel, beim nächsten Mal für Paul votiert. Mehr müsste ich eigentlich nicht sagen – wenn nicht noch die Frage offen wäre, warum dieser Peter den Verfassungsschutz abschaffen will, obwohl Thomas Haldenwang, Nachfolger von Hans-Georg Maaßen an der Spitze des Amtes, „die lange umstrittene Beobachtung der AfD“ forciert (S. 198).

Antwort zwei führt nach Sachsen, wo die Grünen seit 2019 mit CDU und SPD regieren und das Programm von Ronen Steinke in den Koalitionsvertrag geschrieben haben: Um die „Analysefähigkeit“ des Geheimdienstes zu verbessern, „sollen Gefahrenerkennung und wissenschaftlich fundierte Auswertung verfassungsfeindlicher Bestrebungen stärker getrennt werden“ (S. 66). Im Klartext: hier eine James-Bond-Truppe und dort – ja, was eigentlich? Das Sächsische Staatsministerium für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, eine schöne Kombo, geführt von den Grünen, hat im September 2020 einen Fördererlass veröffentlicht, der die Richtung anzeigt. Eine „Dokumentations- und Forschungsstelle zur Analyse und Bewertung demokratiefeindlicher Bestrebungen“, anzusiedeln an der Universität Leipzig.

Inzwischen gibt es das „Else Frenkel-Brunswik Institut“. Was soll man sagen. Mit Wissenschaft hat das nichts zu tun. Wer das nicht glauben mag, lese das erste „Policy Paper“ dieser neuen Denunziationsbehörde von 2023. Titel: „Vernetzt und etabliert: Unternehmerisches Engagement für die extreme Rechte in Ostsachen“. Dort fehlt alles, was gute Forschung ausmacht, Transparenz vor allem und Reflexion. Stattdessen wird mit dem Finger auf sehr konkrete Menschen gezeigt, mit Namen und Adresse, etwas, was der Verfassungsschutz nicht darf. Der Doktorand, von dem ich gerade erzählt habe, stand einmal in einem Jahresbericht, weil er die Großbanken nicht mag. Was für eine Aufregung. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft lässt sich dieses Hindernis umgehen. Das heißt: Eigentlich funktioniert das nicht, weil sich Sozialwissenschaftler für Strukturen interessieren und für größere Zusammenhänge und deshalb tunlichst zu anonymisieren haben. Nichts so bei Else Frenkel-Brunswik und ihren Jüngern. Namen nennen: Genau darum geht es ja. Wirtschaftsverbände auffordern, die Reißlinie zu ziehen. Steuertöpfe schließen. Schaut her: Sogar „die Wissenschaft“ sagt, dass Unternehmer X „die Demokratie“ gefährdet. Was das sein soll, wird nicht definiert. Warum auch. Man kann ja mit Kampfbegriffen um sich werfen: „extrem rechts“ (61 Nennungen auf nicht einmal 20 Seiten), „völkisch“ (13 Mal), „rassistisch“ (achtmal), „verschwörungsideologisch“ (fünfmal), „demokratiefeindlich“ (viermal), „nationalistisch“ (dreimal), „rechtsoffen“ und „faschistische Agenda“ (je einmal).

Genug von diesen „Wissenschaftlern“. Den Verfassungsschutz abschaffen: Ronen Steinke kann das fordern, weil er und die Seinen den öffentlichen Debattenraum inzwischen komplett beherrschen. Leitmedien, Universitäten, Digitalplattformen, Wikipedia. Dort „weiß“ man, was von der AfD zu halten ist, von Hans-Georg Maaßen und sogar von Professoren wie Nils Melzer, anerkannt in der großen, weiten Welt (sonst wäre er nicht als UN-Sonderberichterstatter für Folter gewählt worden), die plötzlich ausscheren und Fragen stellen. Damit das so bleibt, werben die Grünen im Internet für ihre Netzfeuerwehr: „Wir melden Lügen, Hass und Hetze“ – „und dazu brauchen wir dich“. Das ist billiger als der Milliarden-Geheimdienst und vor allem effektiver, weil es die umständlichen Verfahren aushebelt, die mit V-Leuten und Akten verbunden sind. Diese Netzfeuerwehr ist, das wissen meine Leser, natürlich nur ein winziger Baustein des riesigen Propaganda-und-Zensur-Gebäudes, das der Digitalkonzernstaat in den letzten Jahren errichtet hat, inklusive all der "Demokratie"-Projekte und der "Beauftragten" für irgendwas, die ihre Existenz nur rechtfertigen können, wenn sie mit dem Finger öffentlich auf Leute zeigen, die die Welt anders sehen als ihre Sponsoren. Danke, mein lieber Freund. Was das alles für den Verfassungsschutz bedeutet, hatte ich bisher übersehen.

Ronen Steinke: Verfassungsschutz. Wie der Geheimdienst Politik macht. Berlin: BerlinVerlag 2023, 222 Seiten, 24 Euro

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