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Medien-Tresen | 01.08.2025
Zwischen Sprechzetteln
Neue Saison, neue Köpfe: Die Regierungspressekonferenz geht auch mal „unter zwei“. Eine Zwischenbilanz – natürlich nicht ohne Florian Warweg.
Text: Helge Buttkereit
 
 

Es ist viel ausgewechselt worden. Der Teamkapitän ist neu und auch in den einzelnen Mannschaftsteilen ersetzen frische Kräfte die alten Akteure. Zumindest auf den Stammplätzen. Und so ist es kurz vor der Sommerpause am Medien-Tresen Zeit für eine kleine Zwischenbilanz nach dem Beginn der neuen Saison im Mai. Als erste Zusammenfassung kann man sagen: Es hat sich nicht viel geändert. Natürlich ist das Spielfeld geblieben. Mitten in Berlin liegt es, direkt im Regierungsviertel. Auch die Spielweise ist altbekannt. Stefan Kornelius und seine Mitspieler favorisieren die kontrollierte Defensive. Mittlerweile besteht das Team aus 17 Personen, die nebeneinander in zwei Reihen sitzen, die Personen von der Auswechselbank in der zweiten Reihe nehmen auf Anforderung in der ersten Platz. Es sieht aus wie ein Abwehrbollwerk. Zwischen den Menschen in der ersten Reihe gibt es noch eine Art Schiedsrichter, davor in vielen Stuhlreihen meist eine überschaubare Zahl an Personen.

Die Rede ist natürlich nicht von einem Fußballspiel mit Überzahl auf dem Platz, sondern von der Regierungspressekonferenz. Sie findet dreimal in der Woche im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin-Mitte statt und ist oft etwa so spannend wie ein modernes Fußballspiel mit jeder Menge Abwehrreihen. Man schiebt sich die Bälle zu, aber zum Abschluss kommt es selten. Denn hier, bei der ritualisierten Pressekonferenz der Regierung, ist man aufeinander angewiesen. Die Journalisten, die in den Stuhlreihen sitzen, nehmen die Sprecher der Ministerien und den Regierungssprecher selten in die Mangel. Bei der Regierungspressekonferenz wird klar, dass das Selbstbild der kritischen Presse zumindest mit Blick auf den Mainstream eher ein Zerrbild ist.

Das Konstrukt ist dabei durchaus interessant: Seit mehr als 75 Jahren feiern die Journalisten ein Heimspiel. Sie laden die Regierung ein. Mit dem Umzug nach Berlin ist extra ein neuer Spielort gebaut worden, das Haus der Bundespressekonferenz. Hier müssen die Sprecher auflaufen, hier kam Mitte Juli auch Bundeskanzler Friedrich Merz, um sich und seine Politik zu erklären. Aber alles mit Heimrecht der Journalisten. Für die Regierung wird das Auswärtsspiel aber immer mehr zum Heimspiel. Schließlich gibt es den Drang aus den Stuhlreihen nach vorne, auf die andere Seite. Einige sind gerade wieder gewechselt, allen voran der Regierungssprecher Stefan Kornelius (von der Süddeutschen zum Kanzler). Aber auch frühere Redakteure der Öffentlich-Rechtlichen sitzen nun mit dem Rücken zur blauen Wand und haben Sprechzettel vor sich. Zuletzt wechselte Sarah Frühauf von der ARD ins Bundesinnenministerium, auf dem aktuellen Sitzplan steht sie aber noch nicht.

Wer wechseln will, der geht weniger kritisch mit denen um, an deren Seite er sich setzen will. Das scheint logisch. Aber auch die anderen haben ein Interesse, dass es möglichst kollegial und kooperativ zugeht. Denn sie brauchen die Sprecher. Wer täglich viel melden soll, der muss mit der Regierung gnädig umgehen. Denn sie hat viel zu vermelden. Zwar gibt es die Auskunftspflicht der öffentlichen Behörden, zu denen die Ministerien selbstverständlich gehören, in den Landespressegesetzen. Aber dort steht nicht, wie geantwortet werden muss und wann. Damit der Nachrichtenfluss nicht versiegt, muss man sich miteinander arrangieren. Und fragt eher gemäßigt nach. Außerdem stammen Sprecher und Journalisten aus derselben Schicht, meist dem Bildungsbürgertum. Sie kennen sich von Journalistenschulen und Universitäten, von Reisen mit Kanzler oder Ministern und natürlich aus der Bundespressekonferenz.

Worüber zu sprechen ist, ist den meisten Anwesenden klar. Auch in welcher Weise. Sie wissen, wo die Grenzen sind und was die Regierung berichten will. Dafür gibt es die Sprechzettel, die in den Ministerien vorbereitet werden. Mit ihnen setzen sich die Sprecher dann vor die Journalisten, lesen ab, wenn die entsprechenden Fragen kommen, und die Nachrichten können weiter fließen. Exklusives ist hier nicht zu erwarten, schließlich sitzt man unter Kollegen. Und wer einen Skandal aufdecken oder eine heikle Frage stellen will, tut das nicht im Angesicht der Konkurrenz. Oftmals wird bestätigt, was ein Medium exklusiv berichtet hat, also „der Regierungssprecher bestätigt den Bericht von XY“ – und schon gibt es eine Nachricht. Die Narrative sind dabei die herrschenden Narrative. Mal ein wenig kritisch, aber immer im gesitteten Rahmen. Es wirkt, um auf das Bild vom Anfang zurückzukommen, oft eher wie ein Freundschaftsspiel.

Dabei stören Menschen wie Florian Warweg, der aus Sicht des Mainstreams oftmals Foul spielt. Er stellt Fragen zu Themen, zu denen der Sprechzettel fehlt. Und er bringt Fakten gegen das herrschende Narrativ. Bei der Sommerpressekonferenz von Kanzler Merz hat er beispielsweise mit seiner Frage und der einen erlaubten Nachfrage die Doppelmoral der Bundesregierung in Sachen Russland und Israel herausgestellt. Er fragte nach einer möglichen Sanktionierung Israels durch die Bundesregierung. Der Kanzler verwehrte sich gegen die Gleichsetzung, Israel sei eine Demokratie und angegriffen worden. Und als Warweg fragt, ob nicht die Kriege angesichts der zivilen Opfer vergleichbar seien, fällt die Maske des Kanzlers:

Also ich glaube, ich muss das noch mal klarstellen. Wir haben hier offensichtlich einen fundamentalen Dissens in der Beurteilung der beiden Länder.“

Natürlich fällt auch das altbekannte Stichwort des völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen ein Land, von dem keine Bedrohung ausgegangen sei. Für den Spiegel war dieser Moment einer der stärksten des Kanzlers – kein Wunder, gehört das Magazin doch in vorderster Front zu den Bewahrern des herrschenden Narrativs. Da dürfen dann keine Zahlen stören wie die, die Warweg in seinem oben verlinkten Artikel präsentiert. Beispielsweise, dass Israel laut UN 24-mal mehr Kinder tötete als die russische Armee in der Ukraine.

Warwegs Fragen stören. Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck hat ihn bei einer Pressekonferenz einmal als Russlands Berichterstatter bezeichnet, der die liberale Demokratie in Deutschland diskreditiere. Dass Warweg als Redakteur der Nachdenkseiten überhaupt wieder fragen darf, hat er sich vor Gericht erstreiten müssen. Nachdem er noch als Mitarbeiter von RT DE (wie der ebenfalls kritisch fragende Boris Reitschuster) mehrfach von verschiedenen Medien diffamiert wurde (zunächst wohl von der Süddeutschen Zeitung), durfte er als Reporter der Nachdenkseiten zunächst nicht wieder an den Pressekonferenzen teilnehmen. Er erfüllte alle Voraussetzungen, aber es gab Mitglieder des Vereins, die gegen seine Aufnahme votierten. Dagegen klagte Warweg. Die Bundespressekonferenz verlor und muss ihn und seine Fragen vorerst ertragen. Denn die Sache ist noch nicht durch. Im November wird über die Berufung des Vereins der Bundespressekonferenz verhandelt. Alle Details zum Umgang mit Warweg lesen Sie in einem aktuellen Bericht. Womit dann klar wird, dass der Gründungskonsens der Bundespressekonferenz aus dem Jahr 1948, keiner sollte jemals wieder ausgeschlossen werden, schon lange nicht mehr gilt. Dass niemand ausgeschlossen werden sollte, stand übrigens in einem Text der Zeit aus dem Jahr 1966. Schon damals waren harte Fragen selten.

Und heute wären die Konferenzen ohne Warweg langweilig. Das hat wohl auch der neue Spielführer mitbekommen. Stefan Kornelius wagt sich leicht aus der Deckung, geht in kontrollierte Offensive. Es solle sich mehr lohnen, bei der Regierungspressekonferenz anwesend zu sein, sagte er. Man werde künftig öfter auf „unter zwei“ wechseln. Das bedeutet, man bringt Informationen, die die Journalisten nur verwenden dürfen, wenn sie die Quelle nicht nennen. Normalerweise sind Pressekonferenzen immer „unter eins“, also komplett zitierbar. „Unter drei“ werden Informationen weitergegeben, die die Journalisten keinesfalls verwenden dürfen – das geschieht oftmals in Hintergrundgesprächen.

Natürlich erfahren wir jetzt nicht, was dort gesagt wird. Wenn es dem Regierungssprecher gelingt, durch das Wechseln auf „unter zwei“ die Konferenzen interessanter zu machen, nimmt er das Heft des Handelns noch mehr in die Hand. Und vielleicht ist das auch ein Versuch, kritische Kollegen zu disziplinieren oder gar rauszuwerfen. Denn wer gegen die Spielregeln verstößt, der könnte vom Platz fliegen. Hoffen wir, dass die kritischen Kollegen bleiben. Es dürfen gerne noch mehr werden. Darauf genehmigen wir uns zum Start der Sommerpause eine große Brezel und ein Stadionbier. Ein Berliner Pilsener im großen Plastikbecher wie an der Alten Försterei. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Haus der Bundespressekonferenz 2014. Foto: Ansgar Koreng, CC BY-SA 3.0 (DE)