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Erinnerungskultur | 27.11.2025
Wollen wir totalen Krieg?
Heute vor 81 Jahren wurde die Freiburger Altstadt von britischen Bombern fast vollständig zerstört. Jetzt gibt es ein Bündnis gegen Wehrpflicht.
Text: Jan Schulz-Weiling
 
 

Lieber Tommy, fliege weiter, wir sind alle Bergarbeiter. Fliege weiter nach Berlin die haben alle „ja“ geschrien.

Genutzt haben derlei Verse den Südbadenern nichts. Obwohl Freiburg nur geringe militärische und industrielle Bedeutung hatte, fielen am 27. November 1944 innerhalb von nur 23 Minuten rund 14.000 Spreng- und Brandbomben auf die Stadt.

Das Krachen der Zeitzünderbomben, das Bersten der Häuser, das Jammern und Schreien der Kinder und Frauen und das Brummen der Flieger (…) ergaben eine schaurige Sinfonie mit höllenartiger Kulisse. Gespenstisch ragte der Turm des Münsters aus den Flammen hervor. (Ueberschär 1990, S. 245)

Bildbeschreibung Bild: Die Innenstadt nach dem Angriff, bereits von Trümmern befreit (Sommer 1945 oder später). Foto: unbekannt. Stadtarchiv Freiburg M 72 B 271, gemeinfrei

Bombenkrieg als Strategie, um den Kriegswillen zu brechen

Etwa dreitausend Menschen starben bei dem Inferno. Die area bombardments, die bewusst auch zivile Ziele bombardierten, waren 1944 bereits Teil einer Strategie, die den Kriegswillen der Bevölkerung an der Heimatfront brechen sollte. Nach jedem Angriff wurde Vergeltung angekündigt – medienwirksam für das eigene Volk. So hatte Hitler mehrfach London bombardieren lassen, statt auf den Rat seiner Generäle zu hören und mit den vorhandenen Kapazitäten strategisch wichtigere Ziele anzugreifen. Diese Vergeltung blieb im Laufe des Krieges immer häufiger aus. Zu klar war die deutsche Luftwaffe den Alliierten unterlegen. Auch der Treibstoff wurde nach strategischen Angriffen auf Versorgungsketten knapp. Die Waffen-SS dokumentierte zum Jahreswechsel 1943/44 einen Witz, der in kritischen Bevölkerungskreisen die Runde machte:

Beim letzten Angriff auf Berlin haben die Engländer Heu für die Esel abgeworfen, die noch an die Vergeltung glauben. (Überschär 1990, S. 114)

Ein irrtümlicher Angriff deutscher Flugzeuge auf Freiburg, bereits 1940, wurde von Goebbels propagandistisch als „Kindermord in Freiburg“ instrumentalisiert, um England die Alleinschuld am Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung zuzuschreiben.

Inzwischen weiß man, dass Freiburg auf einer Liste deutscher Städte mit über 100.000 Einwohnern stand und „ganz banal“ irgendwann an der Reihe war. Diese Logik eines „totalen Krieges“ war damals, so sagt es jedenfalls der Militärhistoriker Gerd Ueberschär, in der Gesellschaft gedanklich noch nicht verankert. Die naive Hoffnung, Freiburg stehe unter einem besonderen Schutz, weil sich vielleicht ein Verwandter Churchills oder ein britischer General vor Kriegsausbruch in die Stadt verliebt hätten, erwies sich als unbegründet.

Zum 50. Jahrestag der Bombennacht 1994 erklärte der Freiburger Oberbürgermeister Rolf Böhme:

nationale Überheblichkeit und Intoleranz [standen] am Anfang der Entwicklung (…), die mit der Zerstörung der Demokratie in Deutschland zu Diktatur und Krieg führten. Diese politische Hinwendung zu Unrecht und Gewalt schlug auf uns alle zurück und führte (…) zur Zerstörung unserer Stadt.

Bildbeschreibung Bild: Von 14.527 Gebäuden blieben nur 2.148 unbeschädigt. Foto: Bildarchiv Freiburger Münsterbauverein

Deutschland soll stärkste konventionelle Armee Europas bekommen

Angesichts der aktuell omnipräsenten Parolen von Zeitenwende, Kriegstüchtigkeit und Mobilmachung muss man leider konstatieren, dass die Lehren der Geschichte nach dem Tod der Zeitzeugen vergessen scheinen. Geht es nach Rheinmetall-Chef Armin Papperger, soll Deutschland bis 2029 die „stärkste konventionelle Armee Europas“ bekommen. Dafür werden sogar Automobilwerke umgebaut. Einem Overton-Bericht zufolge fand im Frühjahr 2025 ein vertrauliches Treffen des Volkswagen-Konzerns mit seinen Top-Händlern statt. Zentrale Botschaft:

2025 wird wirtschaftlich ein schweres Jahr. Aber halten Sie durch – ab 2026 wird Deutschland auf Kriegswirtschaft umgestellt. Der Staat plant, den Spannungsfall auszurufen.

Wiedereinführung der Wehrpflicht

Dazu passt das neue Wehrdienstmodell mit der Wiedereinführung der Musterung und einer „Bedarfswehrpflicht“ mit möglichem Losverfahren. Unionsfraktionschef Jens Spahn weckt dabei Erinnerungen an die Coronazeit:

Wir werden mehr Verbindlichkeit haben in der Freiwilligkeit (…). Sollte es am Ende nicht reichen bei der Freiwilligkeit, braucht es auch eine Verpflichtung.

Spahns Nachfolger als Gesundheitsminister, Karl Lauterbach (SPD), hatte 2021 gesagt:

Es wird ja niemand gegen seinen Willen geimpft. Selbst eine Impfpflicht führt dazu, dass man sich freiwillig impfen lässt.

Ob die Kriegstreiber auch heute den Sportpalast füllen könnten, ist fraglich. Die schrillen Schreie für den Krieg sind wahrscheinlich nicht massentauglich. Gleichzeitig regt sich wenig Widerstand gegen die erneute Mobilmachung. Zeichen, dass dieser Eindruck täuscht, gibt es dennoch. So haben Freiburger Schüler ein Bündnis gegen Wehrpflicht gegründet. Wenn man bedenke, wie wenig die jetzige Bundesregierung oder die frühere Bundesregierung für die junge Generation getan habe, „dann kann ich nicht nachvollziehen, dass ich für diese Regierung irgendwie meinen Kopf hinhalten möchte“ – so der Schüler Emile Hammacher.

Nie wieder Krieg

Nichts wird gründlicher vorbereitet als ein Krieg, der plötzlich ausbricht. Bleibt zu hoffen, dass sich bald wieder ein Bekenntnis zu Friedensfähigkeit durchsetzt – bevor es zu spät ist. Krieg ist nicht alternativlos. Nie.

In unserer Zeit gibt es ganz einfach keine Rechtfertigung des Krieges überhaupt oder vor allem des Terrorkrieges aus der Luft. Nur ein weißglühender Haß oder eine Propaganda, die aus dem Gleichgewicht geraten ist, kann versuchen, eine solche Rechtfertigung zu erbringen. (…) Gerade vor dem Hintergrund des Wissens von der entsetzlichen Todesmaschinerie eines modernen, technisch verfeinerten Krieges mahnen die furchtbaren Opfer des zweiten Weltkrieges, die unter anderem auch die Freiburger Zivilbevölkerung bringen mußte, um so nachhaltiger den Friedenswillen an. (Ueberschär 1990, S. 389)

Literatur: Gerd R. Ueberschär: Freiburg im Luftkrieg 1939-1945. Freiburg: Ploetz 1990.

Jan Schulz-Weiling hat mehrere Kurse an der Freien Akademie für Medien & Journalismus besucht. Er lebt und arbeitet in Freiburg.

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Bildquellen: Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg T 1 (Zugang 2005/0058) Nr. 9, CC BY 4.0