416e43d93665fd1c9f6bf9312ad894bd
Welt-Tresen: DDR | 02.09.2025
Umrundung mit Sputnik
Dies ist die Geschichte, wie ich früher einmal in einen Aufstand geriet. Und zwar medial verursacht. Gar nicht so viel anders als 30 Jahre später.
Text: Hans der Kleingärtner
 
 

Das Ende der DDR war nicht abzusehen, aber drückend. Im Ostberliner Alt-Stralau war die Dienststelle. Schnurtelefone hatten wir. Computer nicht. Den sollten wir vom Magistrat auch absehbar nicht bekommen, denn wir würden ihn nicht dreischichtig nutzen. Vervielfältigen mit Ormig musste angemeldet werden und wurde matritzenweise registriert. Damals hatte ich eine russische Kollegin namens Natalja. Natalja hatte einen Ausreiseantrag laufen. Vor der Tür besprachen wir gründlich und gerne, was Gorbatschow so in der Prawda drucken ließ. Von Glasnost und Perestroika konnten wir gar nicht genug bekommen. Mein Russisch war nicht besonders. Dafür gab es aber den Sputnik. Der Sputnik war ein auf Glanzpapier gedrucktes Bulletin aus der UdSSR – in der DDR auf Deutsch erhältlich. Ab 1985 übermittelte es die Reformansätze von Gorbatschow und die gelinde gesagt durchwachsene Geschichte des Sowjetsozialismus.

Im Herbst 1988 schob die SED den medialen Umtrieben des Sputnik einen Riegel vor und verbot meine Zeitschrift (Neues Deutschland, 19./20. November 1988):

Bildbeschreibung

Das wollte ich mir nicht bieten lassen und malte mir ein Protestbild. So viel Russisch hatte ich gelernt: Auf Wiedersehen, Sputnik. Lichtete meine Zeichnung auf Dokumentenfilm ab und kopierte in Stückzahlen auf Fotokarton. Dunkelkammerarbeit. Sieben Zentimeter Durchmesser, Abzüge ausstanzen. Mit Alleskleber dort angebracht, wo es sichtbar war: In Bussen, auf Postkästen, in Bibliotheken. Was gerade da war. Jemandem Vertrauenswürdigen mitgeben. So sah das aus:

Bildbeschreibung

Klein, aber fein. Mein Sputnik-Aufkleber. Der sowjetisch im Kosmos piepsende Sputnik von 1957 und „Do Swidanja“ waren in der von der Roten Armee besetzten Zone geläufig. Und dass sich das auf das Zeitschriftverbot bezog, war allen helle. Auf Wiedersehen, Sputnik. Gerne in einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Klar.

Vertrauenswürdig war Reinhard Schuld, der Sputnik-Sticker beim Geburtstag meiner Freundin Silvia im März 1989 mitnahm. Seiner Stasi-Akte war dann etliche Jahre später zu entnehmen, dass ihn dazu ein Zuträger des MfS fragte: Wer hat denn den Sputnik-Aufkleber gemacht? Und Reinhard Schulds aktenkundige Antwort: ein Russe. So muss Quellenschutz! Reinhard war dann beim Neuen Forum und am Runden Tisch für die Stasi-Auflösung aktiv.

Dass ich renitent war, wusste man in meiner Parteiorganisation. Dass ich aber so renitent war, nun ab Herbst 1988 praktisch im öffentlichen Raum zu protestieren, wusste ich ja vorher nicht mal selbst. Na ja, öffentlich war der Raum ja gerade nicht. Raum muss stets neu öffentlich gemacht werden.

Meine holde Angetraute war gorbatschowmäßig auch so drauf und reimte für mich was zum Nikolaustag 1988. Einen Onkel Ho kannte in der Zone jeder. Hier bei ihr war aber in dichterischer Freiheit Onkel Erich Honecker, der Partei- und Staats-Pharao, anvisiert:

Kleiner Sputnik, adé!

Onkel Ho. fällt wie Schnee / Übern Dreck her im Lande. / Die Saubermannbande, / die schickt ihre Führer / als Siruprührer / ins Volk, wenn es müpft, / gar das Oberlid lüpft …

Kleiner Sputnik, adé! / Zum KONTRA das RÈ / Hängt scharf schon im Rauch / Wie ein Schinken, wie Bauch. / Das fettste der Schweine / Ist immer das deine.

Hatte sie das privatim nicht schön geschrieben …

Von der Medien(unterdrückungs)sache hatte ich mich also reinreiten lassen. In den Aufstand. Ein halbes Jahr verdeckt. Aber ohne Rückfahrkarte. Dann mit Name und Hausnummer. Ein Bild aus dem Mai 1989. Ostberlin, Wohnung von Natalja, Vorabend der Ausreise. Umzugskartons.

Bildbeschreibung

Natalja war also auf Nimmerwiedersehen in den Westen rüber. Ich hatte auch gebrochen mit dem Staats- und Parteigebilde. Blieb aber. Und war sowas von geladen. Unerfindlicher Weise fand ich in eine Widerstandsgruppe und bekam da gut zu tun. Ich konnte nach Herzenslust revoluzzen. Unerfindlicher Weise verlief unser Aufstand für mein Verständnis auch erfolgreich. Erstmal. Im Herbst 1989 war mir jeder Tag wie Wünschdirwas. Stand sogar täglich was davon in der Zeitung (Neues Deutschland, 21./22. November 1989):

Bildbeschreibung

Geht doch. Widerstand ist machbar, Herr Nachbar. Von Spätherbst 1988 bis Spätherbst 1989 hatte ich mit der lieben Erde in der Rest-DDR einmal die Sonne umrundet. Und schon war der Sputnik wieder da. So schnell kann es gehen.

Ein halbes Jahr nach dem Mauerfall ging mein Aufstand zu Ende. Ich schaute nur noch flüchtig in den Sputnik. Der Drops war ja gelutscht. Ich war auch patschebreit vom Aufstehen. Aber in Saft und Kraft für was Anderes. Damals ahnte ich nicht, dass mich dann dreißig Jahre später, Sommer 2020, wieder was in Harnisch bringt. Übrigens wieder medial. Aber die Geschichte hänge ich hier nicht an. Die ist nicht so schön.

Natalja, melde Dich bitte bei Hans dem Kleingärtner.

Hans der Kleingärtner lebte und lebt in Berlin. Den Teil, wo seine Parzelle liegt, hält er für Berlin. Dabei weiß er, dass es noch einen anderen gibt. Da hat es ihn nicht wirklich hingezogen. So stehen seine politischen Umtriebe und seine Sesshaftigkeit im Gegensatz.

Welt-Tresen

Berichte, Interviews, Analysen

Michael Meyen: Videos

Freie Akademie für Medien & Journalismus

Unterstützen

Bildquellen: Titel von Stefan Kühn (CC0, via Wikimedia Commons), sonst: Hans der Kleingärtner, Archiv