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Welt-Tresen: Schweiz | 18.11.2025
Sowjetisierung der Debatte
Bundesbern folgt seinen Vögten in Brüssel und will ein Zensurregime etablieren. Ein neues Gesetz soll erlauben, Plattformen zu sperren.
Text: Michael Straumann
 
 

Rund die Hälfte der Schweizer hat den klassischen Medien den Rücken gekehrt. Das zeigt das neue Jahrbuch Qualität der Medien der Universität Zürich: 46 Prozent gelten inzwischen als „News-Deprivierte“ — Menschen, die kaum Nachrichten nutzen und, wenn überhaupt, nur über Social Media. Ein historischer Höchststand.

Neu ist diese Entwicklung nicht. Seit Jahren schrumpft das Vertrauen in die etablierten Medien. Für neu aufkeimende Medien, die eine Lücke im Markt sehen, öffnet sich damit ein Fenster. Für die Altmedien selbst – und erst recht für die Classe politique, die sie als bevorzugte Bühne nutzt – wirkt der Trend dagegen alarmierend. Die Deutungshoheit des politisch-medialen Komplexes erodiert in der Schweiz, wenn auch langsam.

Statt sich selbstkritisch zu fragen, warum das Vertrauen seit Jahren bröckelt, weisen Altmedien und Politik hierzulande die Verantwortung gerne von sich. Mal sind es die Russen oder die Chinesen, mal die unregulierten sozialen Medien mit ihren intransparenten Algorithmen. Das Schlagwort lautet dann: Desinformation, Missinformation.

Fake News verbreiten immer ‚die Anderen’

Im Juni 2024 veröffentlichte der Bund einen Bericht mit dem Titel „Beeinflussungsaktivitäten und Desinformation“, in dem vor den Gefahren vermeintlicher Falschnachrichten gewarnt wird. Und jüngst erklärte Albert Rösti – SVP-Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departments für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) – bei einem Auftritt im Verkehrshaus in Luzern, dass „Desinformation ein Verbrechen“ sei.

Wenn dem wirklich so ist, müsste konsequenterweise Alain Berset, ehemaliger Vorsteher des Gesundheitsdepartements, für seine Falschaussagen in der Corona-Zeit strafrechtlich belangt werden – etwa für seinen Auftritt in der Arena vom 5. November 2021, als er fälschlicherweise behauptete, das Covid-Zertifikat zeige, „dass man nicht ansteckend ist“. Doch dazu wird es nicht kommen. Im Gegenteil: Berset mauserte sich zum Generalsekretär des Europarats und erhielt kürzlich von der Universität Freiburg sogar einen Ehrendoktortitel.

Fake News verbreiten immer 'die Anderen’. Telegram-Gründer Pavel Durov formulierte es einmal deutlich: Begriffe wie „Missinformation“ und „Desinformation“ dienen als „Codewörter für Zensur“, um unliebsame Stimmen auszuschalten. In diesem Licht wirkt auch der jüngste Vorstoß des Bundesrats, ein neues Gesetz zur Regulierung der sozialen Medien und der Suchmaschinen einzuführen.

Chronik eines angekündigten Gesetzes

Das geplante Bundesgesetz über Kommunikationsplattformen und Suchmaschinen soll laut Bundesrat „die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer im digitalen Raum stärken und sehr große Plattformen zu mehr Fairness und Transparenz verpflichten“. Der Digital Services Act der EU stand dabei Pate. Dieser verpflichtet Internet-Plattformen seit August 2023, neben illegalen Inhalten auch gegen „Desinformation“ und „Hassrede“ vorzugehen – Begriffe, die weit gefasst sind und entsprechend großen Spielraum für das Löschen von politisch unliebsamen Meinungen lassen.

Die Schweiz bewegt sich nun in eine ähnliche Richtung, wenn auch in abgeschwächter Form. Das Muster ist altbekannt: Man orientiert sich am Ausland – zeitversetzt und entschärft, aber im Kern nach demselben Modell. Den Ausgangspunkt der Debatte setzte Jon Pult, SP-Nationalrat aus dem Kanton Graubünden. Er reichte im November 2021 eine parlamentarische Initiative ein, zu Hochzeiten von Corona. Bereits damals lautete die Forderung: „Hassrede“ und „Desinformation“ müssten konsequent bekämpft werden.

Im Dezember 2022 folgte ein „Joint Statement zur Plattformregulierung“, verfasst von AlgorithmWatch, der Digitalen Gesellschaft und der Stiftung Mercator Schweiz. Das Papier plädierte für die Übernahme zentraler Elemente des Digital Services Act und stellte den Kampf gegen Hassrede und Desinformation ins Zentrum. Innerhalb mehrerer beteiligter Organisationen stieß dies jedoch auf Widerstand. Die Piratenpartei und der Chaos Computer Club warnten in einer eigenen Stellungnahme, der Staat dürfe nicht zur Wahrheitsinstanz werden – andernfalls werde der Zensur Tür und Tor geöffnet.

Im Februar 2023 wurde Pults parlamentarischer Vorstoß in der zuständigen Kommission abgelehnt – nicht zuletzt aufgrund des öffentlichen Drucks von Organisationen wie dem Chaos Computer Club, der Piratenpartei und der Internet Society.

Im Januar 2025 meldete sich die Eidgenössische Medienkommission (EMEK) zu Wort. Diese außerparlamentarische Bundeskommission, in der mehrere Mitglieder enge Verbindungen zur einflussreichen Mercator-Stiftung haben (darunter Angela Müller von AlgorithmWatch), knüpfte inhaltlich direkt an das Joint Statement von 2022 an und forderte den Bund auf, die Regulierung zügig voranzutreiben

Trotz dieses Drucks ließ der Bundesrat mit seinem Vorentwurf ungewöhnlich lange auf sich warten. Vermutlich spielte dabei auch die internationale Lage eine Rolle: So bezeichnete US-Präsident Donald Trump Maßnahmen, die gegen Plattformen wie X oder Meta erlassen werden, als Diskriminierung gegenüber US-Unternehmen. Der Bundesrat wollte womöglich keine schlafenden Hunde wecken. Ende Oktober folgte dann der Schritt: Die Schweizer Landesregierung präsentierte ihren Entwurf und eröffnete den Vernehmlassungsprozess.

Behörden könnten Plattformen künftig auch ohne Gerichtsentscheid sperren

Das Gesetz soll nur für jene Plattformen gelten, die von mindestens zehn Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Monat genutzt werden. Damit wären YouTube, WhatsApp, LinkedIn, Instagram, Facebook, Snapchat, Pinterest, TikTok und diverse Messenger-Dienste erfasst. Bei den Suchmaschinen dürfte vor allem Google betroffen sein.

Artikel 4 des Entwurfs sieht ein Meldeverfahren vor. Die meisten großen Plattformen verfügen bereits über entsprechende Funktionen; grundlegend neu ist das Instrument daher nicht. Auf X lassen sich Inhalte heute schon melden – je nach eingestelltem Standort sogar mit unterschiedlichen Meldekategorien.

Inhaltlich zielt das Meldeverfahren auf Verstöße gegen des Schweizer Strafrecht: Gewaltdarstellungen, üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung, Drohungen, Tötungsaufrufe, sexuelle Belästigung, öffentliche Aufrufe zu Verbrechen oder Gewalt sowie diskriminierende oder Hass schürende Aussagen nach Artikel 261 des StGB. Wie weit inzwischen Verstöße gegen Hassrede ausgelegt werden, zeigt ein aktueller Fall: Ein Handwerker aus Bern muss für zehn Tage ins Gefängnis, weil er es wagte zu sagen, es gebe biologische Unterschiede zwischen Mann und Frau.

Brisant wird der Entwurf dort, wo er sehr weite Kriterien einführt. Artikel 20 Absatz 2 Buchstabe c spricht von „negativen Folgen für die öffentliche Meinungsbildung“. Was soll das konkret bedeuten? Politische Parolen? Polemische Posts? Staatlich unliebsame Meinungen? Ebenso vage bleiben Formulierungen wie „negative Folgen für Wahl- und Abstimmungsprozesse“, „für die öffentliche Sicherheit“ oder „für die öffentliche Gesundheit“. Der Interpretationsspielraum ist beträchtlich – und damit auch das Potenzial für Missbrauch.

Noch heikler ist die geplante außergerichtliche Streitbeilegung. Während heute Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte zuständig sind, könnte künftig ein einziger Klick auf den Meldebutton genügen, damit ein Beitrag ohne richterliche Prüfung verschwindet. Zwar ist ein Beschwerdeverfahren vorgesehen, doch der ordentliche Rechtsweg würde damit faktisch ausgehebelt. Die Delikte würden nicht mehr juristisch abgeklärt – sondern einfach gelöscht.

Auch bei den Sanktionen orientiert sich der Entwurf eng am Digital Services Act der EU. Das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) soll hohe Bussen verhängen können, ohne dass zuvor ein Gericht entscheidet. Unternehmen könnten erst im Nachhinein das Bundesverwaltungsgericht anrufen. Die Strafrahmen sind erheblich: bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, weitere Bußen von bis zu einem Prozent – was den gesamten Jahresgewinn übersteigen kann – sowie bis zu zehn Prozent bei Verstößen gegen die Auskunftspflicht. Selbst die Weigerung, bestimmten zivilgesellschaftlichen Organisationen Datenzugang zu gewähren, kann bestraft werden.

Am weitesten reichen die Befugnisse des BAKOM bei den Netzsperren. Die Behörde kann Verwaltungsmaßnahmen ohne Gerichtsbeschluss verhängen. Besonders brisant ist Artikel 32 Absatz 2: Das BAKOM kann Fernmeldedienstanbieter anweisen, den Zugang zu einer Plattform einzuschränken, wenn Maßnahmen unwirksam sind oder „Grund zur Annahme“ besteht, dass sie es sein könnten.

Das bedeutet konkret: Das BAKOM könnte Plattformen wie X, Telegram, Facebook oder YouTube für Schweizer Nutzer blockieren lassen. Technisch ließen sich solche Sperren zwar per VPN umgehen, doch sie blieben Netzsperren – ein Instrument, das man sonst vor allem aus autoritären Staaten kennt. Hinzu kommt, dass nicht ein Gericht hierbei entscheidet, sondern eine Bundesbehörde. Das BAKOM könnte eigenmächtig bestimmen, dass eine Plattform die Vorgaben nicht erfüllt – und die Sperre anordnen. Schweizer Internetprovider wie die Swisscom müssten sie umsetzen. Artikel 33 begrenzt solche Sperren zwar auf 30 Tage, doch sie können verlängert werden, was faktisch zu längerfristigen Blockaden führen kann.

Verschärfungen drohen

Die jahrelange Arbeit jener Organisationen, die eng mit der Stiftung Mercator verflochten sind, zeigt Wirkung: Der Bundesrat hat zentrale Elemente ihrer Forderungen übernommen. Ganz so weit, wie manche von ihnen wollten, geht der Entwurf zwar nicht – doch ein Punkt fällt ins Auge: Regelungen zur Bekämpfung von „Desinformation“ fehlen.

Ob das so bleibt, ist fraglich. Im Vernehmlassungsprozess dürften SP, Grüne und FDP auf Verschärfungen drängen. Die Grünen monierten in einer Medienmitteilung bereits, der Entwurf enthalte keinerlei Maßnahmen gegen „Desinformationskampagnen“. Es ist daher gut möglich, dass die Vorlage am Ende weniger einem ‚Digital Services Act Light’ ähnelt – und deutlich näher an das Original rückt.

Schon der Umstand, dass das Gesetz eine Bundesbehörde dazu ermächtigt, im Ernstfall ganze Plattformen zu sperren, zeigt, wie weitreichend die Befugnisse wären – und welchen autoritären Charakter einzelne Elemente der Gesetzesvorlage besitzen. Von einem Zensurgesetz zu sprechen, ist daher nicht übertrieben. Klar ist: Dieses Gesetz würde den öffentlichen Debattenraum, der in der Schweiz seit Jahren schrumpft, weiter verengen. Der Vernehmlassungsprozess läuft noch bis zum 16. Februar 2026. Wie weit die Politik am Ende gehen wird, bleibt abzuwarten.

Michael Straumann hat am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen. Er publiziert unter StrauMedia

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Bildquellen: Markus Winkler @Pixabay