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Medien-Tresen | 11.04.2025
Recherche? Fehlanzeige!
Die Presse ignorierte durchgesickerte Koalitionspläne für die Zukunft des Landes. Wo es ihr selbst an den Kragen geht, bietet sie aber auch Paroli.
Text: Hakon von Holst
 
 

Die gewählte Minderheit von Union und SPD hat ihr Regierungsprogramm ausgehandelt. Bei der Bundestagswahl gab es für beide zusammen genau 45 Prozent. Weil jede siebte Wählerstimme sprichwörtlich im Mülleimer landete – das heißt bei uns Fünf-Prozent-Hürde –, vereint die mögliche Regierungskoalition die Mehrheit der Sitze im Parlament auf sich.

16 Arbeitsgruppen dealten den Parteienvertrag aus. Was die Politiker reinschreiben wollten, konnte der Bürger seit dem 27. März im Internet besichtigen. Der Chefredakteur von FragDenStaat, Arne Semsrott, veröffentlichte schrittweise alle Dokumente.

Bargeld, Geldwäsche, Steuerbetrug

Im Arbeitspapier der Gruppe Nummer 16 heißt es, Stand 24. März: „Wir setzen uns für echte Wahlfreiheit im Zahlungsverkehr ein und wollen, dass grundsätzlich Bargeld und mindestens eine digitale Zahlungsoption schrittweise angeboten werden muss.“ Die Pläne standen schon zehn Tage im Netz, bis einer Nachrichtenagentur eingefallen war, über den vorgesehenen Digitalzwang für Gewerbetreibende zu berichten.

Da plötzlich meldeten sie sich alle – Merkur, Süddeutsche, Spiegel, Welt, T-Online, ntv, RTL: Mit Cash-only-Schildern sei Schluss, Geschäfte müssten bald flächendeckend elektronische Zahlungen akzeptieren. Der Gaststättenverband Dehoga warne jedoch vor zusätzlichen Belastungen. Die Gewerkschaft der Steuerbeamten dagegen rechne mit höheren Staatseinnahmen, wenn mehr Menschen mit Karte bezahlen. Kaum eigene Recherche lieferte der deutsche Journalismus; die Publikationen wirkten gleichförmig.

Die Tagesschau schrieb, es gehe „nicht nur um einen besseren Kundenservice“, sondern um Steuerbetrug. Klar, ohne einen Grund öffentlichen Interesses darf der Staat schwerlich in Grundfreiheiten eingreifen. Dazu zählen im Falle der Ladenbetreiber unter anderem die Eigentumsgarantie und die Vertragsfreiheit. Nicht jeder kleine Unternehmer möchte sich mit den Banken und Zahlungsdienstleistern ins Benehmen setzen und monatlich zehn Euro für ein Kartenterminal bezahlen plus Gebühren für jede Transaktion.

Bei der SPD stand bereits im Wahlprogramm, man wolle „Umsatzsteuerbetrug vor allem in bargeldintensiven Branchen weiter zurückzudrängen“. Der Kontext hätte berichtet werden können. Dass der Kompromiss mit der CDU vorsieht, nebenbei die Akzeptanz von Bargeld zwingend zu machen, war der Presse keinen Absatz wert. Die ersten Cafés und Geschäfte lehnen Banknoten und Münzen ab. Zwar geht die Bargeld-Annahmepflicht aus den EU-Verträgen hervor, doch Sanktionen sah der Gesetzgeber bislang keine vor.

Einen entscheidenden Satz im Koalitionspapier missachteten die Medien vollständig: „Im Hinblick auf die nächste FATF-Prüfung werden wir entscheidende Verbesserungen bei der Geldwäschebekämpfung vornehmen.“ Die FATF ist eine Schattenmacht. Deutschland, Österreich, die USA ebenso wie die EU sind Mitglied. Nach der letzten Länderprüfung forderte die FATF von der Bundesregierung 2022, „alle verfügbaren Maßnahmen in Betracht“ zu ziehen, darunter: „Anreize, um Menschen dazu zu bewegen, von Bargeld auf elektronische Zahlungsmethoden umzusteigen“.

Und nun will man das offenbar umsetzen: Politiker zählen darauf, dass der Bürger freiwillig mit seinen Daten bezahlt und auf ein Zahlungsmittel verzichtet, das ihm bessere Kontrolle über seine Ausgaben verleiht.

Gentechnik

Unter Beteiligung neuer gentechnischer Verfahren erzeugte Lebensmittel sollen im Laden nicht gekennzeichnet werden müssen. Das forderten elf Bundesländer von der Regierung in Berlin auf der Agrarministerkonferenz Ende März in Baden-Baden, wie das Fachmedium Topagrar exklusiv berichtet. Darunter drei grün regierte Länder (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) neben Mecklenburg-Vorpommern (mit den Linken) sowie Brandenburg und Thüringen (mit dem BSW im Boot).

Der Vorstoß steht im Gegensatz zum Bürgerwillen: Laut Bundesamt für Naturschutz wünschen sich 94 Prozent eine verpflichtende Kennzeichnung. Gerade deshalb sollten die Medien in die Tiefe gehen und Menschen interviewen. Ansonsten nehmen sie ihre Kontrollfunktion nicht wahr und die Dinge gehen ihren Gang. Dass die Gentechnik auch in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielt, erfuhr die Bevölkerung kaum. Zwei südwestdeutsche Zeitungsverlage berichteten darüber. Der Tagesspiegel widmete dem Thema einen Abschnitt in einem Onlinebericht.

Laut Arbeitspapier wollen die Sozialdemokraten auf Bundesebene am „Vorsorgeprinzip und der Kennzeichnungspflicht“ festhalten. Gemäß Verhandlungsstand vom 25. März gibt es keine Einigung mit der Union. Sie ist mit dem Passus nicht einverstanden, sieht demnach Transparenz im Lebensmittelhandel kritisch.

Meinungs- und Pressefreiheit

Die Medien scheinen ihre Probleme zu haben, Themen tiefgründig zu recherchieren, die außerhalb ihrer Lebensrealität liegen. Der Umgang mit Gentechnik, dem Bargeld und den Schwierigkeiten von Menschen, die selbständig ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen, zeugt von Desinteresse. Ein wenig anders liegen die Dinge, wenn es Journalisten selbst an den Kragen geht. Im Koalitionspapier der Arbeitsgruppe 14 steht: „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“ Darauf folgt der Satz: „Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.“

Bild blies am 27. März zum Gegenangriff. Die Pläne wurden genau zitiert und anschließend von drei Experten verrissen. Da warnt der Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner: „Vor der Schaffung eines allgemeinen Fake-News-Straftatbestands kann man nur warnen. Sie würde letztlich jede umstrittene Äußerung dem Risiko strafrechtlicher Verfolgung aussetzen.“

Dem Koalitionspapier nach muss man gegen Hass und Hetze vorgehen, weil das falsche Tatsachenbehauptungen wären. Das suggeriert jedenfalls das Wörtchen „deshalb“. Natürlich ist Hass keine falsche Behauptung. Somit darf man vermuten, dass die Koalitionäre ebenso wenig die Bedeutung von „Informationsmanipulation“ auf falsche Tatsachen begrenzen. Aber die Medienanstalten sollen dagegen vorgehen und Zensur ausüben.

Die EU-Behörde East StratCom Task Force versteht unter (ausländischer) Informationsmanipulation „ein überwiegend nicht rechtswidriges Verhaltensmuster, das Grundwerte, Abläufe und politische Prozesse bedroht oder potenziell negativ beeinflussen kann“. Soll etwa von der gesellschaftlichen Bühne verschwinden, wer beschuldigt wird, mit niederträchtiger Absicht zu publizieren? Wie kann der Staat so etwas beweisen? Selbst der Wahrheitsgehalt einer Tatsachenbehauptung ist kaum festzustellen: Man kann sich sicherlich darauf einigen, wann Olaf Scholz ins Kanzleramt eingezogen ist. Aber schon die Aussage, dass eine bestimmte Impfung mehr schadet als nützt, lässt sich schlecht beweisen oder widerlegen. Denn woran soll man das messen? An psychischen Auswirkungen oder an körperlichen? Innerhalb von welchem Zeitraum? Was ist überhaupt ein Schaden und was ein Nutzen?

Im Fahrwasser der Bild schwammen die Berliner Zeitung, die Welt, der Focus, die FAZ und die Schweizer NZZ. Sie publizierten ebenfalls empörte Beiträge. Medien, die der SPD näherstehen als der CDU, blieben eher still. Vielleicht konnten sich die Parteien das Schweigen mit einem Zuckerl erkaufen: Die Mehrwertsteuer auf Presseprodukte soll entfallen.

Der Schriftstellerverein PEN-Berlin rügte jedoch die Zensurpläne. Darüber berichtete der WDR neutral. Von einem Kommentar in der Zeit kam dagegen harscher Widerspruch. Die Frage sei, wie der Staat „wirksam gegen Informationsmanipulation vorgehen“ wolle, „also Fake-News-Quellen austrocknen, Knotenpunkte der Desinformation zerschlagen und ganz allgemein dafür sorgen, dass Lügen die Wahrheit nicht komplett überwuchern“. Man könne freilich in „Free-Speech-Radikalismus“ verfallen, doch solle man sich überlegen, wessen Wahrheitsministerium man damit unterstütze: Moskau und Washington.

Im Spiegel kommentierte der frühere Bild-Politikchef Nikolaus Blome. Er gab der Union einen freundlichen Ratschlag: „Nach einem Wahlkampf, in dem man es allseits mit den Fakten wirklich nicht so genau nahm, sollte gerade auch Friedrich Merz kein Gesetz in Angriff nehmen, das mindestens auf den ersten Blick die Überschrift ‚Lügen verboten‘ tragen könnte.“

Nachtrag

Der finale Koalitionsvertrag wurde veröffentlicht. Es bleibt dabei: Die Medienanstalten sollen gegen Informationsmanipulation, Hass und Hetze vorgehen. Ein Annahmezwang für digitale Zahlungen und Bargeld ist vorgesehen. In Sachen Gentechnik kam es zu keiner Einigung auf eine gemeinsame Linie. Das Vorgehen in dem Bereich ist nicht Teil des Vertrags.

Hakon von Holst ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Er engagiert sich für das Bargeld und betreibt als freier Journalist eine eigene Webseite.

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