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Medien-Tresen | 18.07.2025
Präsidiale Meinungsfreiheit
Ein Sommerinterview mit Wahrnehmungsproblemen. Und einer Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht fehlt Medienkompetenz.
Text: Helge Buttkereit
 
 

„Ich glaube, es gibt kaum ein Land in der Welt, in dem so viel Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Medienfreiheit herrscht wie in diesem Land.“ Das glaubt er also, unser aller Präsident. Frank-Walter Steinmeier hat im Sommerinterview mit dem ZDF diese Worte zur Meinungsfreiheit verloren. Dabei ist sie bereits vor einiger Zeit flöten gegangen und wiedergefunden haben wir sie seitdem nicht. Auch wenn der oberste Deutsche das Gegenteil behauptet. Steinmeier wurde gefragt, wie er damit umgehe, dass vor zwei Jahren 40 Prozent der Menschen gesagt haben, sie könnten ihre Meinung nicht frei äußern. Immerhin. Eine kritische Frage. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Steinmeier nutzt sie zum Konter:

Der Satz „In diesem Lande darf man nicht sagen, was man will“, dieser Satz darf keine Berechtigung haben.

Der Präsident hat gesprochen und sagt, was nicht sein darf. Er selbst gehe dorthin, wo es Kritik gibt, setze sich dem Gespräch und dem Widerspruch aus. Nun denn. Aber wenn bestimmte Leute sagen, was sie denken, dann bekommen sie ein Problem. Dass das nicht nur der Präsident, sondern auch genügend Journalisten nicht wahrnehmen wollen, zeigt vor allem ihren beschränkten Horizont. Der Journalist Christian Vock fragt sich in seiner Besprechung des Interviews, warum Steinmeier nicht gesagt habe:

Dieser Satz hat keine Berechtigung. Jeder darf seine Meinung frei äußern – nur muss er dann gegebenenfalls auch mit Widerspruch leben. Denn der gehört eben auch zur freien Meinungsäußerung.

Womit er natürlich Scheingefechte führt. Denn es geht nicht um Widerspruchsfreiheit, wie Vock und andere behaupten. Bei vielen Kollegen geht es schlicht um die Existenz, wenn ihnen beispielsweise Konten gekündigt werden. Vergangene Woche ist eine wichtige Übersicht über diese Praxis bei den Kollegen von Multipolar erschienen. Und nur weil man selbst (noch) nicht betroffen ist, sollten Journalisten davor nicht die Augen verschließen. Allein dieses Jahr haben unter anderem das evangelikale Medium Israel heute, die Publizistin Gaby Weber oder die Kollegen von Apolut ihre Konten verloren. Der Mainstream schweigt. Die Journalistenverbände auch. Es ist erbärmlich, mit welcher Ignoranz sie auf die Presseanfragen reagiert haben. Nur PEN International findet treffende Worte für das „De-Banking“ von Journalisten: Man sei

zutiefst besorgt über alle Maßnahmen, die die Pressefreiheit untergraben, einschließlich der Schließung von Bankkonten unabhängiger Medienunternehmen und freiberuflicher Journalisten.

Die willkürliche Schließung von Bankkonten von Medienunternehmen und Journalisten ist in den Augen des weltweiten Autorenverbandes ein „schwerwiegender Eingriff in die Pressefreiheit“. Unabhängige Stimmen würden zum Schweigen gebracht. Das also ist, das sei insbesondere dem Bundespräsidenten gesagt, der ungeschönte Stand der Meinungsfreiheit in diesem Land.

Und wenn dann doch einmal scharf und teilweise polemisch abweichende Meinungen geäußert werden, kommt von vielen Ecken des Mainstreams der Vorwurf der Kampagne. Klar, Sie wissen, wovon die Rede ist: Es geht um Frauke Brosius-Gersdorf und ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht. Sie und ihre Unterstützer wittern eine Kampagne. Von rechts natürlich. Von rechten Medien und Politikern. Nicht, dass das neu wäre. Kampagnen gab es immer, teilweise von rechts, aber auch von links. Erinnert sich noch jemand an den CDU-Kandidaten für den Posten des Bundespräsidenten, Steffen Heitmann? Schon manche Karriere endete so, bevor sie richtig begann. Es ist ja verständlich, wenn die Betroffenen reagieren. Aber zurückschlagen? Was sagen wir den Kindern? Nicht provozieren lassen.

Frauke Brosius-Gersdorf hat zum Gegenschlag ausgeholt. Ihre Erklärung zeugt weder von Medienkompetenz noch von der vertieften Kenntnis des Artikels 5 im Grundgesetz. Schauen wir kurz hinein in das, was die vorerst verhinderte Verfassungsrichterin über die Medien fabuliert hat:

Die Berichterstattung über meine Person und meine inhaltlichen Positionen im Zusammenhang mit der Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts war in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent. Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern. Die Bezeichnung meiner Person als „ultralinks“ oder „linksradikal“ ist diffamierend und realitätsfern. Inakzeptabel ist auch die Berufung auf anonyme Quellen, zumal wenn es sich bei dieser Quelle um eine Justizministerin handeln soll.

Dass gerade von konservativer, libertär Seite die Zuschreibungen „links“, „ultralinks“ oder auch „sozialistisch“ ausufernd verwendet werden (wenn eigentlich totalitär gemeint ist), ist vor allem die Kehrseite des stetigen „Kampfes gegen rechts“. Entscheidend ist für uns am Medien-Tresen aber die Medienkritik im Statement. Brosius-Gersdorf behauptet, die Medien hätten nicht nur Meinungen über sie verbreitet, sondern falsche Tatsachen. Das ist, formuliert von einer Rechtswissenschaftlerin, schon ein scharfer Vorwurf, der eigentlich presserechtliche Folgen haben müsste. Dabei sind ihre Positionen zwar zuweilen zugespitzt zusammengefasst worden, aber es sind eben ihre Positionen, wie unterschiedliche Zusammenfassungen zeigen – hier oder auch hier. Und dass Medien anonyme Quellen zitieren dürfen und oft sogar müssen, sollte klar sein. Schließlich ist es oft schwierig mit der Meinungsfreiheit, wir hatten das gerade. Dass die Kandidatin nach einem solchen Schreiben erneut in die Mahlsteine einiger Medienkritiker gerät, war logisch.

Das Gespräch bei Markus Lanz war da nicht sehr förderlich (hier eine Zusammenfassung). Sie verteidigte dabei auch ihre Position zur „Impfpflicht“ in der Corona-Zeit. Das allein ist für uns am Medien-Tresen Grund genug, Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin abzulehnen. Dass sie in der Berichterstattung kaum vorkam, zeugt wieder einmal von der fehlenden Aufarbeitung. Hier nur so viel: Brosius-Gersdorf befürwortete nicht nur eine Impfpflicht, sondern wollte darüber nachdenken, ob es nicht sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht gebe. Wer so denkt, denkt totalitär und will dafür die Mehrheit heranziehen. Denn eine Mehrheit habe es damals für die Impfpflicht gegeben, argumentiert Brosius-Gersdorf. Aya Velasquez kommentiert treffend auf X:

Die Justiz hat in einem Rechtsstaat aber nicht die Aufgabe, den augenblicklichen, medial befeuerten Mehrheitswillen zulasten von Minderheiten zu befriedigen, sondern die Rechte von Minderheiten, Randgruppen und Schwachen entgegen der Mehrheit zu verteidigen.

Minderheitenschutz ist spätestens seit Corona nicht mehr mehrheitsfähig. Zumindest was bestimmte Minderheiten angeht, die als „rechts“ definiert werden. Womit wir zurück bei der präsidialen Meinungsfreiheit wären. Wenn wir die Brosius-Gersdorf-Debatte noch einmal mit Steinmeier zusammenbringen, so können wir immerhin konstatieren, dass es in diesem Land noch Kontroversen gibt. Diese allerdings driften rasch ab. Inhalte fehlen. Der „rechte Mob“, sagt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, dürfe damit nicht durchkommen. Merke: Wer wenig Argumente hat, der schlägt um sich. Gegen einen echten Meinungsstreit hätten wir hingegen nichts einzuwenden und begeben uns derweil noch einmal kulinarisch nach Karlsruhe. Wir stoßen mit einem Hoepfner-Bier an. Prost!

Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.

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Bildquellen: Frauke Brosius-Gersdorf am 15. Juli bei Markus Lanz. Foto: picture alliance / teutopress