Eine Premiere für „Deggendorf Miteinander“ und ein kleines Jubiläum: Die 20. Veranstaltung des Vereins findet im Kolpinghaus statt. Vor drei Jahren endete der erste Versuch, an diesem Ort einen Vortrag zu organisieren, mit einer Absage, sagt Vereins-Chef Josef Vogl. „Aber wir sind hartnäckig geblieben. Und die neue Betriebsleiterin hier hält viel von Meinungsfreiheit – also kann ich euch heute zum ersten Mal in diesem schönen Saal mitten in der Stadt begrüßen.“

Die 150 Stühle sind fast alle besetzt. Gast und Thema, na klar. Dr. Friedrich Pürner schafft es trotz Staus in München rechtzeitig ans Rednerpult. Mitglied des Europäischen Parlaments, Epidemiologe & Autor steht auf dem Werbeflyer zum Vortrag. Bekannt gemacht hat den damaligen Leiter des Gesundheitsamts Aichach-Friedberg seine Kritik an der Corona-Politik. Was danach kam, treibt den 58-Jährigen immer noch um. Die Absetzung vor fast genau fünf Jahren, die Ausgrenzung nicht nur im Beruf, sondern auch sozial. „Ich war im Ort nicht mehr wohlgelitten“, sagt Friedrich Pürner. „Nicht nur ich, sondern meine ganze Familie.“ Schmierereien am Haus, Zettel im Briefkasten und an der Tür, Beschimpfungen wie Mengele- oder SS-Arzt. Noch heute spürt man, dass da eine Welt zusammenbrach. 37 Jahre im Staatsdienst, „aus Überzeugung“. Als junger Mann Soldat. Friedrich Pürner studierte Medizin und Epidemiologie, „weil ich in diesem Bereich arbeiten wollte“. Das tat er mit Leidenschaft. Den Bayerischen Pandemieplan schrieb er als leitender Infektionsschutzarzt am Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mit.
Reputation, Lebensplan – aus und vorbei. Im Juni 2024 zieht Friedrich Pürner auf der BSW-Liste ins Europäische Parlament. „Die Leute sagen, du hast doch jetzt einen tollen Job, viel Geld, Privilegien. Aber ich wollte nie in die Politik, ich wollte Arzt sein“, sagt er. Trotzdem ein paar Flausen im Kopf und die Idee, etwas bewirken zu können. Corona-Aufarbeitung, Gesundheitspolitik.
Ich kam in den Ausschuss für Wirtschaft und Währung, da hast du keine Wahl. Was sollte ich da? Im Gesundheitsausschuss bin ich Stellvertreter. Wenn ein Ausschussmitglied ausfällt, kann ich mal da hin. Einfluss Null. Das hat System: Die Leute sitzen in Ausschüssen, von deren Themen sie keine Ahnung haben. Sie können nichts tun, und das ist so gewünscht.
Wir sind in Pürners neuem Leben angekommen. Und beim Vortragsthema: Brandmauer-Politik – Einblicke aus dem EU-Parlament. Die Brandmauer funktioniert in Brüssel genauso wie in Deutschland.
Argumente zählen weniger als der Absender. Es wird gegeneinander gestimmt, obwohl man dasselbe will. Das ist absurd. Wie oft habe ich gehört, ich sei ein Russenfreund oder Putin-Versteher. Dabei geht es mir nur darum, mit allen zu diskutieren, in Kontakt zu bleiben.
In sechs Jahren als leitender Anstaltsarzt im Frauengefängnis Aichach lernte Pürner, das es eine Herausforderung sein kann, mit allen zu reden, dies aber wichtig ist. „Da waren Schwerkriminelle, die hatten schlimme Dinge getan. Aber nur weil ich sie als Arzt behandle und ihnen zuhöre, finde ich doch ihre Taten nicht gut.“
Mit den RKI-Files flammt kurz Hoffnung auf. Jetzt muss doch was passieren. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass diese Erkenntnisse einfach weggewischt werden.“ Sein Fazit heute: „Ich war blauäugig.“ Eine Corona-Aufarbeitung ist nicht gewünscht, wird verhindert und kann für den Einzelnen sogar gefährlich werden – diese Signale sende der Politikbetrieb. „Die Brandmauer zur Aufarbeitung verläuft über alle Parteien hinweg.“ Der Austritt aus dem BSW ist deshalb folgerichtig. „Es geht immer nur um Wählerstimmen, an meinen Inhalten war auch hier niemand wirklich interessiert.“ Der fraktionslose Abgeordnete Friedrich Pürner spricht über Avancen aus allen Parteien, „sogar aus der CSU“. Aber er macht sein Ding allein weiter. Und präsentiert Vorschläge, wie Brüssel verändert werden sollte:
Der Vortrag endet ohne positiven Ausblick. Folgerichtig die erste Frage: Woran richtet sich Friedrich Pürner auf? Der abendliche Blick in den Spiegel sei für ihn wichtig. Kann ich mich ansehen, ohne mich für irgendwas zu schämen? Was habe ich heute geschafft? „Die letzten fünf Jahre haben brutal gezehrt.“ Dem etwas entgegenzusetzen, ist schwer. Sport, ja. „Und wenn ich wütend bin, schreibe ich einen Artikel.“ Aber, und das wiederholt Pürner an diesem Abend oft, „Politiker wollte ich nie werden. Deshalb macht mich diese Arbeit nicht zufrieden.“ Er sei ja auch gelernter Automechaniker und Bürokaufmann. „Das mit dem Büro war nicht meins, aber Autos schrauben schon. Wenn du einen kaputten Motor auseinandernimmst und er nach der Reparatur wieder so richtig schön schnurrt – das ist Zufriedenheit.“
Hinter der Corona-Krise sieht Friedrich Pürner keinen „großen Plan“, eher eine Massenpsychose, eine weltweite Manipulation. Widerspruch aus dem Publikum. Der Disput wird hitzig und erst wieder ruhiger, als sich alle daran erinnern, dass man doch für Meinungsfreiheit sei. Friedrich Pürner kennt das Böse, möchte sich aber ein Stück Glaubwürdigkeit bewahren, etwas Positives in der Welt sehen. „Mit bestimmten Zusammenhängen tue ich mich da schwer. Der Mensch ist in der Lage, gut zu sein.“
Freie Akademie für Medien & Journalismus
Newsletter: Anmeldung über Pareto