970f81d48019ddd32f1821f59fdf7ce7
Oben & Unten | 22.10.2025
Pathologisierte Vernunft
Die Öffentlich-Rechtlichen diskreditieren alternative Lebensweisen und stellen Menschen ins Abseits, die sich gesund ernähren wollen.
Text: Felix Feistel
 
 

Vor Kurzem stolperte ich über eine Reportage des öffentlich-rechtlich finanzierten Y-Kollektivs. In der Folge über „Clean-eating, Gottes Nahrung, rohe Leber – Zwischen Verschwörungstheorie und Ernährungshype“ begleitete die Reporterin hauptsächlich einen jungen Ernährungs-Influencer, der sich einer möglichst gesunden Ernährung verschrieben hat und diese auch auf seinen Kanälen thematisiert. Sein Credo: Man sollte Nahrungsmittel wählen, die möglichst nah an einer natürlichen Ernährung sind. Also: keine verarbeiteten Lebensmittel, auf Zucker und Saatenöle verzichten, Bioprodukte und Rohmilch wählen sowie kurze Garzeiten einhalten. Er bezeichnet diese Ernährungsweise als „Gottes Nahrung“ – ein Begriff, den er von anderen Influencern übernommen hat und der natürlich provoziert.

Nun lässt sich über Ernährung trefflich streiten. Immer wieder gibt es neue Trends. Was an einem Tag noch für gesund gehalten und propagiert wird, kann am nächsten schon als Irrweg verschrien sein. Und selbst wenn man die Ansichten des jungen Mannes nicht teilen muss – rohe Eier und beinahe rohes Fleisch würde ich persönlich auch nicht essen –, so könnte man doch jedem Menschen selbst überlassen, welche Nahrungsmittel er sich zuführt.

Nicht so die Öffentlich-Rechtlichen. Die Reporterin versucht zwar nicht, den Mann zu bekehren, aber man merkt anhand ihrer Fragestellung und ihrer Kommentare doch, was sie von seinem Ansatz hält. Auf Teufel komm raus wird versucht, jeden Aspekt seiner Ernährung zu problematisieren. Suggestiv wird er nach den Ausgaben für seine Nahrungsmittel gefragt – die meines Erachtens gar nicht so überzogen sind, wie dargestellt werden soll. Verbunden wird das mit der Bemerkung, dass dieses Geld dann für andere Aktivitäten nicht zur Verfügung stehe. Zudem erklärt die Reporterin, dass der junge Mann noch bei seinen Eltern lebe, was es ihm als Azubi erst ermöglicht, sich seine Ernährung leisten zu können. Als würden nicht viele Azubis noch bei ihren Eltern leben. Und wofür man sein Geld ausgibt, ist ja immer noch eine Frage der eigenen Prioritäten, keine Kollektiventscheidung. Wenn er also statt auszugehen, Alkohol und Drogen zu konsumieren, sein Geld lieber für gesunde Nahrung – oder eben das, was er dafür hält – ausgeben will, erscheint mir das eigentlich sehr begrüßenswert.

Die Öffentlich-Rechtlichen dagegen versuchen, menschliches Handeln an einer ungeschriebenen Norm auszurichten. Dass der Mann sich durch seinen Fokus auf gesunde Ernährung von Drogen und Alkohol lösen konnte, wird dann auch umgehend zumindest implizit psychologisiert. Ernährung als Ersatz für Drogen, eine andere Sucht. Er sucht nur verzweifelt nach Halt. Mag sein, aber dann doch lieber auf diese Weise. Psychologisiert wird das Bemühen gesunder Ernährung dann auch im nächsten Teil. Hier spricht die Reporterin mit einer Psychologin über Orthorexie, eine angenommene psychologische Störung. Deren Krankheitsbild ist zwar überhaupt nicht anerkannt und weist gar keine einheitliche Symptomatik auf, aber es wird deutlich gemacht: Wer auf seine Ernährung achtet, der hat sie nicht mehr alle.

Zu Wort kommt dann auch eine ehemalige Betroffene. Hier wird deutlich gemacht, wie sehr sich die Menschen mit einer vorgeblich pathologischen Fixierung auf Ernährung in ihrem Alltag einschränken. So habe sie viel Zeit für den täglichen Einkauf benötigt, da sie ihre Produkte auf ungesunde Inhaltsstoffe überprüfen musste. Das ist natürlich eine manipulative Darstellung. Denn erstens kann man auch beim Einkauf schnell seine Routinen entwickeln – irgendwann weiß man, welche Produkte einem entsprechen und welche man lieber meiden will. Zweitens wird hier auf der individuellen Ebene problematisiert, was eigentlich auf die gesellschaftliche Ebene gehört: Nicht diejenigen schränken sich ein, die versuchen, sich gesund zu ernähren. Sie werden von einer Gesellschaft eingeschränkt, die den Menschen Ungesundes und Gift als Nahrung verkauft und die naturbelassenen, gesunden Lebensmittel immer weiter einschränkt und verdrängt.

Aber statt das Thema auf diese Weise anzugehen, pathologisiert der Beitrag die Individuen, die in dem Dschungel aus Gift und Dreck ein bisschen Bewusstsein entwickeln und sich auf die Suche nach einer gesunden, naturnahen Ernährung machen.

Freie Akademie für Medien & Journalismus

Unterstützen

Newsletter

Bildquellen: Screenshot Video: Clean Eating, Gottes Nahrung, rohe Leber – Zwischen Verschwörungstheorie und Ernährungshype