Nachdem ich davon ausging, dass JD Vance bei der Münchener Sicherheitskonferenz die Rede des Jahres gehalten hatte, lieferte der Februar mit Selenskis Besuch im Weißen Haus noch ein weiteres Medienhighlight. Ich vermerke in meinem inneren Notizbuch, dass man in diesem „hyperabsurden“ (Snicklink) Jahr 2025 vorsichtig sein sollte mit Superlativen. Das Medienecho auf den Eklat (oder war es eine „Demonstration der Stärke“, eine „entwürdigende Zurechtweisung“, ein „peinliches Schauspiel“ – hier gehen die Meinungen schon auseinander) war groß und die Reaktionen hätten nicht unterschiedlicher ausfallen können. Da Trump entweder geliebt oder gehasst wird, waren die impulsiv abgesetzten Tweets der Journalisten entlarvend.
Die Reaktion von Jürgen Elsässer (Compact) war so boulevardesk wie sein Magazin: „Der Feind steht im Inneren“, konkludierte der studierte Lehrer, nachdem sich der Ukrainekrieg von einem Konflikt zwischen dem Westen und Russland nun auch noch zu einem zwischen der EU und den Vereinigten Staaten auszuweiten droht. Elsässer, der im vergangenen Jahr zum Angriffsziel der Faeserschen Demokraturbehörden wurde, wünscht sich statt eines Krieges mit gleich zwei Atommächten die russische und amerikanische Besatzung zurück: „Ami stay here, Ivan come back“ lautet sein Petitum. What a time to be alive.
Der Weltwoche-Chef Roger Köppel hegte im Ukrainekonflikt der vergangenen drei Jahre stets Sympathien mit Russland. Diese Linie kostete ihn unter anderem die Freundschaft und Autorenschaft von Hendryk M. Broder, der der Weltwoche als Kolumnist den Rücken kehrte. Erwartbar also, dass sich Köppel zum Showdown am 28. Februar pro Trump positionierte:
„Unglaublich, wie respektlos sich Selenski gegenüber seinem größten Unterstützer verhält. Undankbar. Trump hat es hervorragend gemacht. Vernünftig. Aber Selenski will keinen Frieden, er will Krieg führen, bis Russland militärisch besiegt ist. Größenwahn. Brandgefährlich.“
Später legte Köppel nach, Trump habe Selenski zur Kenntlichkeit entstellt und verwies, eine Bild-Meldung zur Wiederaufnahme von Nordstream 2 durch Trump zitierend, darauf hin, dass er das schon vor zwei Wochen prophezeit habe.
Ebenfalls skurril wurde es bei der streng transatlantischen Welt, wo man sich tröstend in die Arme nahm, um nicht in Schockstarre zu fallen. Als die Washington-Korrespondentin Stefanie Bolzen ihren Artikel zum Eklat veröffentlicht hatte, wurde dieser auf X wie folgt gepostet: „Selenski hat mit seinem Verhalten die Sicherheit Europas aufs Spiel gesetzt“. Dieses Wording sorgte offensichtlich für redaktionsinterne Streitereien, erzürnte einige Springer-Mitarbeiter und nötigte diese zu einem Treuegelöbnis: Dagmar Rosenfeld, ehemalige Chefredakteurin von Welt und Welt am Sonntag, inzwischen bei The Pioneer, kommentierte den Post mit den Worten:
„Nein, Selenskyij verteidigt die Freiheit Europas. Das war auch immer die Position der Welt, wie ich sie kannte.“
Prompt kam Ex-Kollege, Podcastpartner (Machtwechsel) und Alpha-Journalist Robin Alexander zur Hilfe, der ihr mit dem Kommentar „Dagmar Rosenfeld hat recht“ beipflichtete. Dieser Post wurde von Bild-Reporter Paul Ronzheimer aufgegriffen, der nun kommentierte, dass Robin Alexander und Dagmar Rosenfeld recht haben. Drei, die gar nicht mehr zusammenarbeiten, sich in Zeiten allgemeiner Verunsicherung aber stützen, als wären es Solidaritätsbekundungen europäischer Politiker mit der Ukraine. Hier zeigt sich exemplarisch, wie blind sich Meinungsmacher über Redaktionsgrenzen verstehen und wie tief die transatlantische Prägung in den Köpfen verankert sind.
Wie weitreichend Trumps „Fallenlassen“ der Ukraine wirklich ist, verdeutlicht Punkt drei der Springer-Satzung: „Wir befürworten das transatlantische Bündnis zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa.“ Was bedeutet das in Hinblick auf Russland, EU und Ukraine?
Um zu verdeutlichen, dass der Streit um diese Frage in diesen Tagen erst Fahrt aufnimmt, muss man einen weiteren Springer-Zögling hinzunehmen. Julian Reichelt. Der Unterschied zu Rosenfeld, Ronzheimer und Alexander? Reichelt ist ein Paria, einer, der rausgeworfen wurde und den die Verbannung aus einer der lukrativsten Gesellschaften dieses Landes bis heute nicht kalt lässt. Wie wird Reichelt, ein Mann, der eine „Trump 2024“-Fahne in der Nius-Redaktion hängen hat, den transatlantischen Spagat meistern?
Dafür ein kleiner Rückblick auf das Medienportal Nius. Es handelt sich um ein Projekt des CDU-nahen Milliardärs Frank Gotthardt, das sich seit Gründung 2023 zwischen Mainstream und Gegenöffentlichkeit eingependelt hat und großer Beliebtheit freut. Es war anzunehmen, dass das Portal in der Motivation gegründet wurde, Friedrich Merz ins Bundeskanzleramt zu verhelfen. Das ist ein Interesse, das den Grünenhasser Reichelt und den Unternehmer Gotthardt eint. Es machte auch genau diesen Anschein, bis die Brandmauer-Politik von Merz offenbarte, dass der Wähler mit einer Stimme für die CDU in jedem Fall eine linke Regierung bekommen würde. Seitdem sendet Reichelt deutlich selbstbewusster, autonomer und weniger parteigebunden.
So viel Kontext musste sein, um jetzt zu Selenski zu kommen, wo sich bestätigte, was sich angedeutet hatte: Reichelt geht in die Offensive:
„Die gesamte deutsche Politik wendet sich gerade gegen den wichtigsten Verbündeten, […] Selenskyj war nur Minuten von einem Deal mit Donald Trump entfernt, der womöglich hätte Frieden bringen können. Aber er wählte die vollkommen unnötige Eskalation.“
Scharfe, deutliche Worte. Weiter fuhr er in einem späteren Beitrag fort, für die Verteidigung der Ukraine ohne die USA gebe es in Deutschland keine politische und gesellschaftliche Mehrheit. Das ist ein Knall, denn für jeden, der zwischen den Zeilen lesen kann, bedeuten Reichelts Worte eine weitere, deutliche Abkehr von seinen Springer-Weggefährten.
Zum Abschluss noch ein Ex-Meinungsmacher, der nicht mehr zu den relevantesten Schreibern der Nation gehört, Jan Fleischhauer:
„Es heißt, Trump agiere wie ein Mafiaboss. Das ist Unsinn. Ein Mafiaboss bewegt sich in einem festen System von Regeln und Zusagen. Trump benimmt sich wie ein Strassenschläger, der nur den momentanen Vorteil sieht.“
Später folgt ein Video des Pianisten Igor Levit (den ich persönlich nur als Kämpfer für das „Current Thing“ aus sozialen Netzwerken kenne). „Igor Levit ist zurück“ schreibt Fleischhauer und konstatiert: „Nicht alles ist schlecht“. Na immerhin. So hat jeder seine Maßstäbe und sein Niveau.
Selenskis Besuch im Weißen Haus war ein historisches Ereignis, ein U-Turn im europäisch-amerikanischen Verhältnis und – nach drei Jahren - hoffentlich der Beginn von Friedensverhandlungen. Das Medienecho zu diesem Ereignis verdient auch deshalb eine Betrachtung, weil die unterschiedlichen Reaktionen von Journalisten und Medienhäusern auch eine ungeahnte Abkehr von jahrzehntealten Loyalitäten bedeuten. Trump zwingt die Wankelmütigen zu einem Offenbarungseid.
Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. Frühere Stationen: RT Deutsch und Nuoviso. Heute: Stichpunkt Magazin, Manova, Milosz Matuschek und seine Liveshow "Addictive Programming".
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