Der studierte Historiker und Kulturwissenschaftler Mirko Drotschmann alias MrWissen2Go spricht quasi über alles: Kriege, Konflikte, Kleopatra. Die DDR, die Templer und der Papst. Die Titanic, Fidel Castro und der Völkermord in Ruanda. Kann ein Mensch über all das Bescheid wissen? Sicher nicht, auch wenn Drotschmann, Jahrgang 1986, in der Tat über erstaunlich viele Themen kompetent aufklärt: immer um Neutralität bemüht, nie aufgeregt, meist sehr sachlich und ausgewogen. Kein Wunder also, dass Funk den Badener „vom Markt nahm“, denn als Drotschmanns Videos ab 2017 vom ÖRR-Jugendangebot produziert wurden, war der Wissenskanal schon fünf Jahre auf Sendung.
Seitdem ist Drotschmann die Allzweckwaffe schlechthin – mit MrWissen2Go/Geschichte/Terra X ist er sogar Gesicht eines weiteren Funk-Kanals mit Millionen Abonnenten. Erstaunlich ist, wie schnell Drotschmann und sein vermutlich riesiges Recherche- und Redaktionsteam auf Ereignisse reagieren. Als Israel in der Nacht vom 12. auf den 13. Juni den Iran angriff, war die Aktion bereits am Morgen des 13. Juni mit einem Video versehen. Das lässt sich nur so erklären, dass das MrWissen2Go-Team für den Fall besonderer Ereignisse Frühschichten und Sonderarbeitszeiten einlegt. Ob es zum Arbeitsauftrag des in Deutschland unbeliebten Rundfunks gehört, die „schneller, aktueller, viraler“-Logik des Netzes zu bedienen, sei an der Stelle stark angezweifelt.
Nach dem Schauen des Videos war ich etwas unzufrieden. Irgendwie war mir das zu glatt, zu oberflächlich und zu sehr um die wirklich dringenden Fragen gewunden, die Israels Vorgehen implizieren. Wer zum Beispiel die Analysen des großartigen Nahostexperten Michael Lüders kennt, der kommt nicht umhin, Drotschmanns Ausführungen als unzureichend und naiv zu entlarven. Ich stellte mir also die Frage, wie Drotschmanns Einordnung denn in einem sehr vergleichbaren Fall ausfiel – dem russischen Angriff auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022. Damit sind wir also beim Thema und schauen uns „Wording“ und „Framing“ des Wissenskanals in beiden Fällen einmal genauer an.
„Es herrscht Krieg in der Ukraine, in der gesamten Ukraine“: Das sind Drotschmanns Einstiegsworte im Video „Russland greift Ukraine an! Die Folgen“. Weiter heißt es:
Zum ersten Mal seit dem deutschen Überfall auf Polen wurde ein Land in Europa von einem anderen militärisch angegriffen.
Das ist zumindest stark geframt und irreführend. Für die jüngere Zielgruppe (an die der Kanal sich richtet) bleibt außen vor, dass die 1990er von zahlreichen Kriegen im ehemaligen Jugoslawien geprägt waren. Einen Überfall im klassischen Sinne gab es dort zwar deshalb nicht, weil die Souveränität vieler neugegründeter Staaten des zusammenfallenden Landes ungeklärt war, Drotschmann impliziert hier aber trotzdem, dass bis Februar 2022 alle europäischen Nachbarn ohne Konflikte, Kriege und Blutvergießen Händchen gehalten hätten.
Weiter erklärt er, Russlands Überfall sei ein „Angriff auf einen souveränen Staat“. „Weil auch zivile Opfer in Kauf genommen werden, spricht man von einem Angriffskrieg.“ Das ist korrekt. Ebenfalls wichtig ist, dass sich MrWissen2Go auf das Völkerrecht bezieht: „Das wird im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs nicht nur scharf verurteilt, sondern auch unter Strafe gestellt.“ Weiter wird US-Präsident Biden zitiert: „Russland allein ist verantwortlich für den Tod und die Zerstörung, die dieser Angriff bringen wird […]. Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen“. Abschließend werden Möglichkeiten der Sanktionierung Russlands gezeigt (SWIFT, wirtschaftliche und politische Isolation) und Folgen für Deutschland skizziert (Gas, Reisen nach Russland werden nicht mehr möglich sein).
Verlagern wir den Blick auf die jüngste Einordnung des Kanals zum Angriff Israels auf den Iran, geschehen vor zwei Wochen. Hier heißt es zunächst, Israel habe einen massiven Angriff gegen den Iran durchgeführt. Weiter:
Das Ziel waren iranische Atomanlagen, aber auch mächtige Einzelpersonen. Der Iran wertet die Angriffe als Kriegserklärung.
Man merkt den Spin, den die Geschichte bekommen soll. In der Ukraine, wir erinnern uns, „herrscht Krieg“, im Iran werden Dinge „durchgeführt“. Und im Iran maßt sich die bombardierte Partei zudem an, die Angriffe als Kriegserklärung zu werten, könnte man zynisch anmerken.
Diese, sagen wir: kleinen, aber feinen Unterschiede in der Formulierung ziehen sich weiter durch. Die israelischen Angriffe, erklärt Drotschmann, „kann man jetzt nicht isoliert betrachten, das ist Teil eines größeren Geschehens, das schon seit Langem in der Region anhält“. Aha. Schön! Ein Verweis auf Kontext und komplexe Zusammenhänge? Mitnichten, denn weiter heißt es, die Geschichte würde jetzt den Rahmen sprengen, man finde aber einen Link dazu in der Videobeschreibung. Dort werde ich zu einem Artikel des Deutschlandfunks weitergeleitet, wo die Geschichte des Iran … na, raten Sie mal, wann beginnt? 1979, mit der Machtübernahme Ayatollah Chomeinis. Dieser habe Israel und die USA zum Erzfeind erklärt. Kein Wort über einen US-Putsch gegen Mossadegh, keine CIA, keine Operation Ajax. Das muss ich geträumt haben.
Nun geht es weiter im Video von Mirko Drotschmann. Ich weise noch einmal darauf hin, dass er schon relativ viel erzählt und eingeordnet, aber noch kein Wort über das Völkerrecht verloren hat. Stattdessen: „Der Iran lehnt das Existenzrecht Israels ab“ und „arbeitet mit Proxys zusammen: Hisbollah, Huthis, Hamas“. Dann wird Netanjahu zweimal ohne Kritik oder Einordnung zitiert. Der Angriff sei notwendig gewesen, um Schlimmeres zu verhindern. Das ewig bemühte Meme vom „Iran, kurz vor der Bombe“ wird hier also unkritisch bedient.
Zum Abschluss dann doch noch ein Hauch von Kritik. Macron habe sich kritisch zu den Angriffen geäußert, heißt es, und auch UN-Chef Guterres. Dann wird Netanjahu aber noch einmal zitiert und dem rechtsextremen Politiker freie Fahrt gewährt: „Wir greifen hier nur das iranische Regime an, wir reichen dem iranischen Volk die Hand“. Das wäre der Moment gewesen, wo Drotschmann auf Gaza hätte verweisen können, wo das angebliche Bekämpfen der Hamas 50.000 zivile Menschenleben gekostet hat.
Alles in allem ist diese Einordnung des völkerrechtswidrigen israelischen Angriffskrieges gegen den Iran (wie das Wording objektiv lauten müsste) mehr als nur stümperhaft. Sie ist journalistisch in vielen Punkten inkorrekt. Mirko Drotschmann verzerrt, verdreht und framt, wenn auch sicher ohne böse Absicht und auch wenn das alles ganz sachlich, freundlich und lieb vorgetragen wird. Die Tatsache, dass die Vorgeschichte des Iran bewusst weggelassen wird, ist ein Armutszeugnis, das Auslassen jeglichen Verweises auf das Völkerrecht eine Bankrotterklärung.
Im Vergleich mit der Einordnung des russischen Überfalls auf die Ukraine werden viele Kritikpunkte, die man mir noch als Haarspalterei oder Unterstellung ankreiden könnte, überdeutlich. Der vorgeblich neutrale und sachliche Kanal MrWissen2Go, der Klassenbeste mit dem schnipsenden Finger, der sich immer als erstes meldet, kommt seinem Bildungsauftrag nicht nach. Statt UN-Charta, der Erklärung der Menschenrechte oder dem (im Falle Russlands herangezogenen) Römischen Statut gelten subjektive Kriterien der Moral und der Ethik: das Gesülze vom „Wertewesten“ und „unseren Verbündeten“ sowie der ideologische Kult um Deutschlands „Verhältnis zu“ und „Verantwortung für“ Israel trüben jeden klaren Blick.
Aron Morhoff studierte Medienethik und ist Absolvent der Freien Akademie für Medien & Journalismus. In seiner Liveshow "Addictive Programming" geht es um Popkultur, Medienkritik und Bewusstseinserweiterung.
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