Für uns ist das nichts Neues. Die Meinungsfreiheit in Deutschland ist in Gefahr. Welche Meinungsfreiheit? Die Frage ist berechtigt und bringt das ganze Problem auf den Punkt. Denn klar, man kann vieles in Deutschland äußern, auch hier aktuelle Entwicklungen kritisieren. Bestimmte Dinge gehen aber nicht. Und andere erreichen nur eine kleine Minderheit. Wen es an den Medien-Tresen der Freien Medienakademie verschlagen hat, der weiß um Zensur, um die Definitionsmacht der Leitmedien und kennt die Kritik am verengten Debattenraum. Vielleicht stimmen viele Leser auch der These zu, dass gar nicht so wenige Medienkritiker in einem „trotzigen Idealismus“ stecken bleiben.
Für uns am Medien-Tresen braucht es also keinen US-Vizepräsidenten und auch keinen Economist. Nach den deutlichen Worten von J.D. Vance zur Meinungsfreiheit auf der Münchener Sicherheitskonferenz haben nun die britischen Journalistenkollegen über die Probleme mit der freien Rede hierzulande berichtet. Wie gesagt, für uns ist das nicht wirklich etwas Neues. Aber für viele der 1,2 Millionen Leser des Magazins wahrscheinlich schon.
The Economist ist ein klassisches Mainstream-Medium aus dem Land, in dem Julian Assange lange Jahre in Einzelhaft saß. „Der Warnruf kommt aus einem Glashaus. Aber vielleicht hört man dort das Klirren besser“, schreibt Boris Reitschuster. Treffender kann man es kaum ausdrücken. Wir unterlassen deshalb an dieser Stelle weitere satirische Überspitzungen und verweisen stattdessen darauf, dass unsere Politiker die Stimmen aus einem Medium für die Entscheider weltweit vermutlich nicht so leicht ignorieren können – anders als die Kritiken von der Außenposition eines oppositionellen, alternativen Mediums.
Deswegen hier zunächst eine kurze Zusammenfassung des Textes, den der Focus in nicht besonders gutem Deutsch veröffentlicht und den beispielsweise Multipolar zusammengefasst hat. Dort finden sich auch einige mediale und politische Reaktionen aus Deutschland. Dabei fällt auf: Die Kollegen von der Insel haben die Kernprobleme mit der freien Rede hierzulande gut zusammengefasst.
Ausgangspunkt ist das Urteil gegen David Bendels, Chefredakteur beim AfD-nahen Deutschland Kurier. Er hatte ein Bild von Nancy Faeser soweit verändert, dass sie ein Schild mit der Aufschrift „Ich hasse die Meinungsfreiheit“ in die Kamera hielt. Der Umgang mit dieser satirischen Bildmanipulation gibt dem Manipulator Recht. Das haben auch die Kollegen aus London erkannt:
Solche Bilder gibt es in den sozialen Medien wie Sand am Meer. Doch Frau Faeser schien entschlossen, Herrn Bendels Recht zu geben. Sie erstattete Anzeige, und Anfang dieses Monats verurteilte ein Gericht Herrn Bendels zu sieben Monaten Haft auf Bewährung, einer saftigen Geldstrafe und der Aufforderung, sich zu entschuldigen.
Viele Beobachter in einem Land, dessen Verfassung die freie Meinungsäußerung und -verbreitung (ausdrücklich auch von Bildern) garantiert, seien schockiert gewesen, heißt es im Text. Das (noch nicht rechtskräftige) Urteil mag eine neue Qualität der Verfolgung kritischer Stimmen darstellen, das stimmt. Aber es steht ja nicht für sich allein. Das weiß auch The Economist, der ferner den Fall eines Rentners aus Franken aufgreift, der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck per Internet-Meme als „Schwachkopf“ titulierte und deshalb eine Hausdurchsuchung über sich ergehen lassen musste. Faeser und Habeck sind als Politiker spätestens seit 2021 besonders geschützt. Paragraf 188 des Strafgesetzbuches verfolgt „Beleidigungen“ und „üble Nachrede“ gegen öffentliche Personen schärfer als gegen unsereins. Kritiker dieser Regelungen wie der Rechtsprofessor Josef Franz Lindner fühlen sich an die frühere Majestätsbeleidigung erinnert .
Neben der vermeintlich rechten Kritik, gegen die der deutsche Staat vorgeht, betrifft die Bedrohung der freien Rede auch linke Regierungskritiker. Noch einmal The Economist:
In Berlin löste die Polizei Konferenzen und Demonstrationen auf, um Hassreden zu verhindern. Wissenschaftlern, die pro-palästinensische Studenten unterstützten, wurde mit dem Verlust von Fördergeldern gedroht. Die Gefahren für die Meinungsfreiheit beschränken sich nicht auf eine Seite.
Gerade also weil der Artikel einmal das ganze Spektrum in den Blick nimmt, ist er diese Kolumne wert. Schließlich zitiert er auch den neuen Koalitionsvertrag mit dem Passus, dass eine Behörde ermächtigt werden solle, gegen die „vorsätzliche Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen“ vorzugehen. Nach der Wiederbelebung der Majestätsbeleidigung könnten nun also auch andere Gesetze, die wir längst in der Mottenkiste der Geschichte verschlossen geglaubt hatten, wieder in neuer Gestalt erscheinen. Konkrete Vergleiche sollten an dieser Stelle unterbleiben, die Gründe ergeben sich aus dem Gesagten. Worum es bei dem „Lügenverbot“ der neuen Regierung offenkundig geht, schreibt der Jurist Ralf Höcker in einem Gastbeitrag in der Berliner Zeitung:
Die künftige Regierung scheint sich vor allem selbst vor lästiger und „unbotmäßiger“ Kritik schützen zu wollen. Dieser Wunsch kann jedoch erst recht keine Rechtfertigung für massive Grundrechtseingriffe darstellen.
Und die Strafrechtsprofessorin Frauke Rostalski schrieb angesichts der in dieser Kolumne bereits genannten Fälle und der Vorhaben der Bundesregierung diese Woche in einem sehr lesenswerten Text in der Legal Tribune Online:
Es entsteht schnell der Eindruck, dass kritische Stimmen mit strafrechtlichen Mitteln zum Schweigen gebracht werden sollen – und zwar durch genau jene, die sich durch diese Kritik hinterfragt sehen.
Vermutlich werden solch vernünftige und konsistent argumentierende Stimmen wie Höcker oder Rostalski nicht gehört werden. Dann schon eher jemand wie der Spiegel-Rechtsexperte Dietmar Hipp. Er fordert die ersatzlose Streichung von Paragraf 188 des Strafgesetzbuches. Dieser sei zum „Bumerang für den Rechtsstaat“ geworden, denn er erlaube der AfD und ihren Anhängern, „solche Fälle für ihre Systemkritik zu nutzen – und schadet damit dem Ansehen der Justiz und unserer Demokratie“. Man kann auch anmerken, dass jene Demokratie, die sie als „unsere“ für sich reklamieren, genau damit zur Kenntlichkeit kommt. Allerdings soll es uns (vorerst) egal sein, auf welche Weise diese Bedrohung der freien Rede zu Fall kommt. Wir können sowohl Hipp, Höcker, Rostalski als auch den wie üblich anonymen Kollegen von The Economist für ihre Beiträge danken. Und hoffen, dass sie gehört werden. Darauf trinken wir am Tresen heute ein schönes Fuller‘s London Pride. Ein typisch englisches Bier. Prost!
Helge Buttkereit ist Historiker, freier Journalist und derzeit in der Öffentlichkeitsarbeit tätig.
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