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Welt-Tresen: Bulgarien | 03.06.2025
Lev = Demokratie
In Bulgarien soll der Euro kommen, obwohl die Mehrheit dagegen ist. Ein Referendum ist nicht geplant. Jetzt meldet sich der Präsident zu Wort.
Text: Rumen Milkow
 
 

Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Rumen Radev ausgerechnet am 9. Mai sein Statement zum Euro abgab. Der 9. Mai ist in Bulgarien der „Tag des Sieges“ und gleichzeitig „Europatag“. Im Programm der staatlichen Rundfunkanstalten wurde Radevs Forderung nach einer Volksbefragung zur Einführung des Euros besonders hervorgehoben. Der Präsident schlägt folgende Frage vor: „Sind Sie damit einverstanden, dass Bulgarien 2026 die einheitliche europäische Währung Euro einführt?“

Rumen Radev sagt, er sei davon überzeugt, dass der Euro nur mit einem überzeugenden nationalen Konsens und mit der inneren Überzeugung der Menschen kommen kann und nicht mit einer Missachtung ihres Willens. Dem parteilosen Staatsoberhaupt, das 2017 als Kandidat der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) ins Rennen ging und im Westen gerne als prorussisch bezeichnet wird, geht es nicht an erster Stelle um die Beibehaltung der bulgarischen Währung Lev. Ihm geht es um die Demokratie. Und er wird in der Sache deutlich:

Es ist überraschend, dass Menschen, die als die größten Demokraten bezeichnet werden, sich gegen die Demokratie aussprechen.

Die Partei „Wiedergeburt“, mit knapp 14 Prozent im bulgarischen Parlament vertreten, hatte schon in der Vergangenheit eine Volksabstimmung zum Euro gefordert und dafür 600.000 Unterschriften gesammelt. Sowohl das Parlament als auch das Verfassungsgericht lehnten dieses Ansinnen jedoch als verfassungswidrig ab. Auch die aktuelle Forderung Radevs wurde vom Parlament umgehend zurückgewiesen. Boshidar Boshanov vom Parteienbündnis „Wir setzen den Wandel fort – Demokratisches Bulgarien“ (PP-DB) bezeichnete den Vorgang sogar als ein „unverantwortliches Vorgehen des Präsidenten“ und warf Radev vor, „den Beitritt Bulgariens zur Eurozone zu sabotieren“.

Befürworter des Euros versprechen sich vor allem mehr ausländische Investitionen und mehr Kredite von der EU. Letzteres würde allerdings zu einer höheren Verschuldung des ärmsten Landes der Gemeinschaft führen. Bulgarien gehörte Ende 2024 mit 24,1 Prozent Staatsschulden im Verhältnis zum BIP mit Estland (23,6) und Luxemburg (26,3) zu den am wenigsten verschuldeten Ländern der EU. Spitzenreiter waren hier Griechenland (153,6 Prozent), Italien (135,3) und Frankreich (113). Deutschland lag mit 62,5 Prozent im Mittelfeld.

Nicht wenige Bulgaren sind überrascht, dass Radev nun plötzlich dasselbe fordert wie die Partei „Wiedergeburt“. Manche halten ihn deswegen für mutig. Für andere ist das Ganze nur ein Schachzug auf dem Weg zu einer eigenen Partei. Radevs zweite und zugleich letzte Amtszeit endet im nächsten Jahr. Im Gegensatz zu Deutschland wird der Präsident in Bulgarien direkt vom Volk gewählt, obwohl er auch hierzulande eine überwiegend repräsentative Funktion hat. Infolge unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten der Volksvertreter musste Radev in der Vergangenheit aber immer öfter ins politische Tagesgeschäft eingreifen und Minister oder gar ganze Regierungen ernennen. Aus diesem Grund wurde bereits eine Präsidialdemokratie ins Gespräch gebracht wurde.

Radevs Statement kam allerdings nicht ganz überraschend, weil er sich in der Vergangenheit kritisch gegenüber Volksvertretern geäußert hatte, die dem Westen in seinem Ukraine-Kurs blind folgen, ohne die Folgen für das eigene Land zu bedenken. Der Generalmajor der Reserve, der Cicero nannte ihn einmal „Starfighter-Pilot“ und seine Amtsführung „unkonventionell“, hat von Anfang eine friedliche Beilegung des Ukraine-Krieges angemahnt und vor einem europäischen Flächenbrand gewarnt.

Indirekt greift er dieses Thema nun erneut auf, indem er sagt, man könne erst über Auslandseinsätze sprechen, wenn die Regierenden vor allem die Interessen ihrer Bürger verteidigen, um die inneren Spannungen abzubauen. Auch in Bulgarien gibt es seit Jahren eine schleichende Spaltung der Gesellschaft, die aber noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Deutschland. Bezüglich der Auslandseinsätze kann man Radevs Aussage auch so verstehen, dass er diese in Zukunft für möglich hält.

Doch zurück zum Euro: Eine Meinungsumfrage ergab Anfang des Jahres, dass 57,1 Prozent der Bulgaren gegen diese Währung in Bulgarien sind und nur 39 Prozent dafür. Trotzdem hält die Regierung an ihrem Plan fest, den Euro zum 1. Januar 2026 einzuführen, nachdem dies bereits mehrfach verschoben werden musste. Meine Presseanfrage, warum der Präsident sich erst jetzt für ein Referendum ausspricht, blieb unbeantwortet.

Teilnehmer der Demonstration für die Erhaltung des Lev am letzten Mai-Samstag in Sofia sagten mir, dass der Zeitpunkt für diese Wortmeldung genau richtig gewesen sei. Auch wenn die Veranstaltung nicht unter dem Dach einer bestimmten Partei stattfand, gab es Parteien, die dies unterstützten. Die größte von ihnen war die „Wiedergeburt“, aber auch linke Parteien und Organisationen waren unter ihnen.

Nicht nur in der Hauptstadt, sondern auch in vielen anderen Städten versammelten sich Menschen, um gegen den Euro zu protestieren, so zum Beispiel in Plovdiv, Varna, Smoljan, Jambol, Sliven, Veliko Tarnovo, Gabrovo, Blagoevgrad, Kjustendil und Stara Zagora. Über die Proteste wurde in den hiesigen Medien vergleichsweise neutral berichtet. Im staatlichen bulgarischen Nationalradio war beispielsweise von einer „zwangsweisen Einführung des Euro ohne Referendum und ohne Zustimmung des bulgarischen Volkes“ die Rede.

Schild

Ausgangspunkt des Protestes in Sofia war das sogenannte Machtdreieck, der „Platz der Unabhängigkeit“ zwischen Ministerrat, Präsidenten-Sitz und Volksversammlung (Foto oben). Die bei sonnigem Wetter zahlreich erschienenen Teilnehmer, offiziell wurde von Tausenden gesprochen, einte die Forderung nach einem Referendum und dem Rücktritt der Regierung. Zahlreiche Plakate mit Aufschriften wie „Referendum = Freedom“, „Brussels! Are You Blind?“ und „Wir wollen keinen Euro!“ wurden in die Höhe gehalten. Die Menge skandierte dazu „Rücktritt!“, „Referendum!“ und „Wir wollen den Lev!“.

Schild

Mit dem Lev, der sich seit der Hyperinflation Ende der 1990er als stabil erwiesen hat, verbinden die Bulgaren Unabhängigkeit und Souveränität. Viele haben Angst,in fiskalische Abhängigkeit zu kommen und dann wie das Nachbarland Griechenland aus Brüssel regiert zu werden. Auf Preiserhöhungen, so wie nach der Euroeinführung in Deutschland, möchte man ebenfalls verzichten. Die Preise sind in Bulgarien in den letzten Jahren bereits stark angestiegen, Butter zum Beispiel ist teurer als in Deutschland.

Viele verstehen nicht, warum man nicht denselben Druck auf Länder macht, die den Euro ebenfalls noch nicht eingeführt haben, obwohl sie dies laut Vertrag von Maastricht müssten. Auch Rumänien, Polen, Ungarn, Tschechien, Dänemark und Schweden sind bisher nicht der Euro-Zone beigetreten. Dänemark nimmt für sich eine so genannte Opt-out-Klausel in Anspruch. Nach dieser ist das Land nicht verpflichtet, den Euro einzuführen. Schweden will bis zur offiziellen Zustimmung durch ein Referendum seine Währung behalten. Also genau das umgedrehte Szenario, das aktuell in Bulgarien stattfindet: Kein Referendum, weil ein solches angeblich verfassungswidrig ist, und dafür Zwangseinführung.

Zug

Die Einführung des Euros musste in Bulgarien bereits mehrfach verschoben werden, zuletzt vom 1. Juli 2025 auf den 1. Januar 2026. Und das trotz angebotener illegaler „Schleusung“ durch Ursula von der Leyen bereits vor drei Jahren. Laut einer geleakten Tonaufnahme hatte die Präsidentin der Europäischen Kommission dem damaligen Ministerpräsidenten Kyrill Petkov Bulgariens Beitritt zum Euro unter „Umgehung der Regeln“ in Aussicht gestellt. Wie Telepolis und auch bulgarische Medien berichteten, hatte von der Leyen von Petkov allerdings gefordert: „Zitieren Sie mich nicht!“

Aktenkundig ist die Aussage von der Leyens zu dem von der Partei „Wiedergeburt“ organisierten Protest im Februar, als mit roter Farbe gefüllte Eier auf das Gebäude des Europäischen Parlaments geworfen wurden und Glasscheiben zu Bruch gingen. Auf Twitter sprach die Präsidentin der Europäischen Kommission von „unerhörten Szenen in Sofia“. Das Gebäude, ein Glaspalast im Zentrum von Sofia, war am vergangenen Samstag von Polizisten in Kampfausrüstung weiträumig gesperrt und somit für die Demonstranten unerreichbar, die vom Machtdreieck mehrere Kilometer durch die Stadt zogen. Der Protest, der eine Viertelstunde brauchte, um einmal komplett an mir vorbeizuziehen, blieb bis zum Ende friedlich.

Zug

Diese Woche will die bulgarische Regierung einen Konvergenzbericht veröffentlichen, der zeigen soll, dass Bulgarien die Anforderungen der Eurozone erfüllt und ihr beitreten wird. Aus diesem Anlass hat die Partei „Wiedergeburt“ bereits zum nächsten Protest für morgen aufgerufen. Präsident Rumen Radev, der zuletzt in Japan weilte, äußerte sich am Samstag am Rande des Nationalen Festivals der Schafzüchter so zum Thema:

Mein Anliegen als Präsident ist die Demokratie. Ich möchte, dass die Menschen Gehör finden, denn sie sind mit Preisen konfrontiert, die der Staat offensichtlich nicht kontrollieren kann. Erst vor wenigen Tagen teilte die Führung der zuständigen Kommissionen mit, dass sie viel mehr Personal und ein größeres Budget benötigen, da sie weder über die personellen noch die finanziellen Kapazitäten verfügen, um umfassende Maßnahmen gegen den unregulierten Preisanstieg zu ergreifen. Sowohl die Proteste, die wir beobachten, als auch die soziologischen Umfragen – die gesamte Debatte innerhalb eines Monats – zeigen deutlich, dass die Menschen Gehör finden wollen. Genau das ist Demokratie.

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Bildquellen: Rumen Milkow