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Medien-Tresen | 31.10.2025
KI in der Buchbranche
Die neue Technologie schafft bei der Veröffentlichung von Romanen zwei Filter – einen kommerziellen und einen ideologischen.
Text: Eugen Zentner
 
 

Die Künstliche Intelligenz (KI) durchdringt gerade sämtliche Gesellschaftsbereiche und verändert sie nachhaltig. Die Technologie bringt durchaus einen Nutzen, hat aber auch Schattenseiten. Die Auswirkungen sind schwer abzuschätzen. Als sicher gilt nur, dass das Rad nicht mehr zurückgedreht werden kann. Die Büchse der Pandora ist offen. Selbst kreative Berufe stehen vor einem Paradigmenwechsel, was gerade Künstler, Musiker und Schriftsteller erzittern lässt.

In der Buchbranche etwa gibt es bereits Entwicklungen, die Grund zur Sorge geben. Schon jetzt können mit der KI Texte im Stil namhafter Literaten geschrieben werden, mit den typischen Eigenheiten in Satzbau, Metaphorik oder Wortwahl. Werden also Schriftsteller künftig von der Maschine ersetzt? Das ist die Befürchtung vieler Autoren, die schon jetzt kaum noch von ihrer Kunst leben können.

Abgesehen davon, dass die KI zum jetzigen Zeitpunkt noch keine ganzen Romane schreiben kann: Sie wird es wohl auch nie gut können. Was Kunst im Allgemeinen ausmacht, gilt auch für die Literatur. Ihre Qualität misst sich nach dem Innovationscharakter, vor allem in formaler Hinsicht. Die KI greift hingegen immer auf Bestehendes zurück und reproduziert nur, anstatt Neues zu schaffen. Diese Erkenntnis bringt aber nichts, wenn Verlage in Zukunft nur noch auf KI-Tools vertrauen, mit denen innerhalb von Sekunden ermittelt werden kann, wie gut sich ein Buch verkauft.

Das Marktforschungsunternehmen Media Control etwa verspricht, mit seinem Programm den Absatz von Neuveröffentlichungen prognostizieren zu können. Die Trefferquote soll bei 82 Prozent liegen, in manchen Warengruppen sogar noch höher. Die ersten Verlage arbeiten bereits mit dem Tool, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Und die ist hart. Jährlich erscheinen in Deutschland bis zu 120.000 neue Titel, während gleichzeitig die Kaufkraft aufgrund von Inflation, höherer Energiepreise und steigender Sozialversicherungsabgaben kontinuierlich schwindet. Also springen die Verlage auf den Zug auf und greifen zum KI-gestützten Programm, um das Risiko zu umgehen, keinen Umsatz zu erzielen.

Denkt man das zu Ende, schreibt die KI irgendwann nicht nur selbst Bücher, sondern auch nur noch solche, die sie als gut verkäuflich prognostiziert. Damit bestimmt die Maschine, was wir zu lesen bekommen. Statt Vielfalt und originelle Gedanken gibt es konfektionierte Marktware. Ein Riegel in Buchform, dessen Oberfläche glitzert und dessen Inhalt überzuckert ist, der aber den Massengeschmack trifft – nachdem dieser per Konditionierung künstlich geschaffen worden ist.

Das Problem hat aber nicht nur eine kommerzielle, sondern auch eine gesellschaftspolitische Dimension: Solche KI-gestützten Programme werden mit Verkaufsdaten gefüttert, die verzerrt sind, weil sich mancher Titel wohl besser verkauft hätte, wenn es keine Cancel Culture geben würde. Bücher, die beispielsweise einen anderen Blick auf die Corona-Politik oder den Ukraine-Krieg werfen, landen nur selten in den Vitrinen oder auf den Büchertischen großer Fachläden. Sie werden nicht in den Sendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgestellt und auch nicht in reichweitenstarken Zeitungen rezensiert. Im Gegenteil: Der alternative Blick auf jene Themen ist tabuisiert.

Zahlreiche und sich wiederholende Kampagnen haben das so tief ins öffentliche Bewusstsein hineingeimpft, dass Buchläden solche Titel nicht ins Sortiment nehmen. Und eigentlich müssen sie sich mit dieser Entscheidung auch gar nicht abquälen, weil die größeren Verlage sie erst gar nicht drucken. Deshalb weiß niemand, wie die Verkaufszahlen ausgesehen hätten, wenn der gesellschaftspolitische Rahmen ein anderer wäre. Doch diesen Parameter wird das Programm von Media Control wohl kaum berücksichtigen.

Vielleicht reicht irgendwann auch tatsächlich nur der Titel aus, um den zu erwartenden Absatz zu ermitteln. Geradezu ein Horrorszenario, jedenfalls aus künstlerischer Sicht. Die Energie würde dann mehr in die Benennung eines Romans fließen als in die erzählte Geschichte. Für die Literatur wäre das mehr als ein Rückschritt, ja geradezu verheerend, auch dann, wenn man beginnt, den Werken aus kommerziellen Gründen Titel zu geben, die mit dem Inhalt rein gar nichts zu tun haben und die Leser möglicherweise sogar in die Irre führen.

KI-gestützte Tools verleiten Verlage somit zum ideologischen oder kommerziellen Pragmatismus, bei dem der ästhetische Anspruch auf der Strecke bleibt. Kritische, engagierte oder dissidentische Literatur könnte dann ohnehin nicht entstehen. Viel wahrscheinlicher ist hingegen der Aufbau einer gewaltigen Echokammer, in der die KI nur noch auf das zurückgreift, was sie selbst produziert. Irgendwann muss das zwangsläufig Vielfalt und Qualität reduzieren, weil die Maschine nur noch von sich selbst lernt. Was dann am Ende herauskommt, sind immer mehr Klischees, abgegriffene Phrasen, schiefe Bilder. Im Fachjargon spricht man auch von KI-Demenz.

Noch aber greifen KI-Programme auf die Werke wirklicher Menschen zurück, allerdings nicht selten über Piraterie-Portale, vor allem wenn es um Gegenwartsautoren geht. Das zieht das Problem Urheberrecht nach sich, weil Entwickler in den meisten Fällen keine Lizenzen für das KI-Training erwerben. Für Schriftsteller aus dem Bereich Belletristik, deren Einkommen in den letzten Jahren stark gesunken ist, stellt diese Praxis eine existenzielle Bedrohung dar, weshalb zumindest in den USA die Authors Guild reagieren musste. Zusammen mit 17 namhaften Autoren reichte die Schriftstellerorganisation eine Sammelklage ein und forderte Entschädigung.

In Deutschland hingegen liegt die Branche noch in einem tiefen Schlaf. Die Akteure begnügen sich zunächst mit der Beobachterrolle und wissen nicht recht, wie sie vorgehen sollen, zumal aus der Politik kaum Interesse für derlei Probleme zu vernehmen ist. Was soll sie aber auch machen? Die Lage ist unübersichtlich und die KI-Entwicklung nur schwer vorherzusehen. Dementsprechend unbeholfen fallen die Lösungsansätze aus. Die US-amerikanische Authors Guild will nun die „zunehmende Flut von KI-generierten Büchern“ auf Online-Marktplätzen mit einem Gütesiegel stoppen. Daran sollen Leser erkennen, dass das jeweilige Werk tatsächlich von einem Menschen geschrieben worden ist. Ob das die Rettung bringt? Die von der Authors Guild vertretenen Schriftsteller dürften daran zweifeln.

Eugen Zentner, Jahrgang 1979, ist Journalist, Sachbuchautor und Erzähler.

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Bildquellen: Frankfurter Buchmesse 2025. Foto: Dr. Thomas Liptak, CC BY-SA 4.0