Harald Walach singt. Gute Freunde wissen um seine Leidenschaft für klassische Musik, die meisten kennen den Psychologen und Philosophen allerdings eher als Vorsitzenden des Vereins Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie (MWGFD), als Autor medizinischer Studien und Kritiker der Corona-Maßnahmen. Gesangsunterricht, so verrät das Programmheft, nimmt Harald Walach seit 2017. Erst in Berlin, später in Basel. In vielen Vokalensembles wirkte er mit, auch als Solist. Heute erleben wir sein erstes Konzert als Liedersänger.

Auf der Bühne im Plattlinger Bürgersaal steht Harald Walach im dunkelblauen Anzug und mit weißem Hemd, neben ihm am Flügel sitzt Michael Kapsner. Draußen geht ein kühler Herbstsonntag zu Ende, drinnen lauschen um die 40 Gäste Schumann-Liedern. Hin und wieder klappert Geschirr, und das Licht bleibt zu hell für die gewohnte Konzertatmosphäre. Aber es dauert nur wenige Minuten, und diese leichte Irritation ist vergessen. Tenorstimme und Klavier präsentieren den Liederzyklus „Dichterliebe“, den Robert Schumann als 30-Jähriger schrieb. 1840, als er Clara Wieck endlich heiraten konnte. Vorangegangen ein Rechtsstreit mit dem künftigen Schwiegervater. Während Walach von Liebeswonne, Tränen, Blumen und dem heiligen Strome Rhein singt, erinnere ich mich an den Musikunterricht: Clara Wieck, hochtalentierte Pianistin. Der Vater sieht die schillernde Karriere in Gefahr, wenn die Tochter den, so sieht es dieser Herr, nun ja, weniger genialen Robert heiratet. Ein zweitklassiger Komponist kommt als Schwiegersohn nicht infrage, Liebe hin oder her. Dass diese doch gewinnt, entscheidet ein Richterspruch. Und entfacht in Robert ganz neue kreative Kräfte: Er komponiert die 16 Lieder der „Dichterliebe“.
Harald Walach und Michael Kapsner verzaubern mit fein abgestimmtem Zusammenspiel. Zum Magier wird Walach bei „Ich grolle nicht“. Die Stimme gewinnt an Stärke, die Hände werfen die Liedzeile energisch ins Publikum. Später gibt es dieses Lied als Zugabe – nach kurzem Beraten, weil beide wohl nicht mit diesem Ruf aus dem Saal gerechnet haben. „Ich grolle nicht“ klingt beim zweiten Mal noch stärker und wie ein persönliches Credo des Sängers.
Als politisches Statement kann die Werkwahl Harald Walachs für sein erstes öffentliches Konzert allemal gesehen werden. Schumann komponierte seine „Dichterliebe“ zu Texten Heinrich Heines – in Preußen damals kategorisch verboten. Für Schumanns politisch liberalen Geist kein Hindernis, gerade diese Gedichte zu vertonen.
„Ich hab im Traum geweinet“ weckt eine Assoziation zu einem „umstrittenen“ Künstler unserer Zeit. Heine weint zuerst über den geträumten Tod der Geliebten, dann darüber, dass sie ihn verlassen hat, und mit wunderbarem Gefühl singt Harald Walach die dritte Strophe:
Ich hab`im Traum geweinet, / mir träumte du wärst mir noch gut. / Ich wachte auf, und noch immer / strömt meine Tränenflut.
Bei Till Lindemann geht das so:
Ohne dich kann ich nicht sein, ohne dich. / Mit dir bin ich auch allein, ohne dich.
Warum fällt mir das ein? Heine, Schumann, Rammstein – Rebellen ihrer Zeit? Zu Harald Walachs Konzert versammelt sich nicht das Plattlinger Bürgertum. Nur eine Mini-Ankündigung in einem der beiden Lokalblätter. Vielleicht ein Bericht im Nachgang, wer weiß. Zwei Reporterinnen saßen rechts von uns. „Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht“: Heinrich Heine protestierte gegen die politische Ordnung seiner Zeit, emigrierte nach Paris, auch um der Zensur zu entgehen. Wer Parallelen zur Aktualität finden will, muss nicht lange suchen. Dass Konzerte wie das beschriebene überhaupt in einem öffentlichen Raum stattfinden können, ist längst die Ausnahme. Trotzdem oder gerade deshalb bildet sich in der Gegenöffentlichkeit eine neue, eigene Kulturszene. Künstler wie Alexa und Jens Fischer Rodrian treten in Privaträumen auf, Lisa Fitz stand vor kurzem im Nothaft-Gewölbe in Hengersberg auf der Bühne.
Harald Walach und Michael Kapsner kommen nach kurzer Pause zum zweiten Teil des Abends. Den „Liederkreis“ mit Gedichten von Joseph von Eichendorff komponierte Schumann im selben Schaffensdrang wie die „Dichterliebe“. Wie aus Text durch Musik ein völlig neues Kunstwerk entsteht, zeigen die beiden Männer auf der Bühne mit Hingabe. Gesang und Klavier spielen miteinander, verbinden sich und offenbaren eine neue Dimension des Geschriebenen. „Wer im Begleitheft nur die Gedichte liest, erlebt eine ganz andere Wirkung“, sagt Harald Walach nach dem Konzert. „Wir haben extra das Licht angelassen, damit die Leute mitlesen können. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ich den Gesang so meistere, dass der Text verständlich wird.“ Eine unbegründete Sorge.
Dass Michael Kapsner Profi im Musikgeschäft ist, spürt man. Er war Professor für Orgelimprovisation in Graz und Wien, gewann Preise, komponiert, unterrichtet und gibt Konzerte – inzwischen auch als Pianist. Mit Harald Walach verbindet ihn eine lange Freundschaft: „Wir waren beide Stipendiaten der Stiftung Cusanuswerk, haben schon vor 40 Jahren zusammen Musik gemacht, blieben immer privat verbunden. Und als Harald einen Begleiter für dieses Konzert suchte, habe ich sofort zugesagt.“
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