Eine bewegende Dokumentation über die Kraft der Verständigung und des Handelns. Ein Kinoabend im Museum Ludwig, der Erkenntnisse, Handlungen und Hoffnungen des letzten sowjetischen Staatschefs in den Mittelpunkt rückt. Ein Plädoyer für Dialog, Empathie und die Möglichkeit einer gewaltfreien Welt. Ein Film, der die Zuschauer nachdenklich und zugleich hoffnungsvoll zurücklässt. Ein Muss für Friedensbewegte und Geschichtsinteressierte, die nach inspirierenden Gegenentwürfen zur Logik des Krieges suchen.
Köln. Ein voller Kinosaal im Filmforum Museum Ludwig: 300 Zuschauer lauschen gebannt, als Michail Gorbatschow auf der Leinwand mit ruhiger Stimme über die zerstörerische Kraft des Krieges und die Pflicht zum Frieden spricht. Die Premiere der Dokumentation „Gorbatschow und Gödelitz – Frieden“ am 13. November wird zu einem emotionalen Appell für Verständigung. Die Zuschauer spüren Ehrfurcht vor dem Mann, der den Kalten Krieg beendete, und Sorge um die Gegenwart: Kann sein Vermächtnis uns heute den Weg weisen? Der Abend, geprägt vom letzten sowjetischen Staatschef, wird zu einer bewegenden Reise zwischen Hoffnung und Mahnung.
Der Film beginnt mit einem eindringlichen Moment der Erkenntnis: Gorbatschow erzählt von seiner Kindheit, als seine Mutter ihn im Krieg vor deutschen Soldaten versteckte, und von seinen Eindrücken als junger Student, der nach Kriegsende durch die Ruinen von Stalingrad reiste.
Was ich aus dem Zugfenster sah, hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt: grauenhafte Verwüstung, Brandstätten, Trümmer. Diese Erlebnisse prägten meine entschiedene Ablehnung des Krieges.
Diese Einsicht, geboren aus persönlichem Erleben, treibt Gorbatschows politisches Handeln an: Wenn eine Handlung in eine Katastrophe mündet, ist sie moralisch falsch. Diese Erkenntnis zieht sich wie ein roter Faden durch sein Lebenswerk.

Der Film bleibt nicht abstrakt: Axel Schmidt-Gödelitz, eine weitere Schlüsselfigur (oben im Bild), zieht Konsequenzen. Von seinem Parteifreund Egon Bahr lernte er, die Perspektive zu wechseln und die Interessen des Anderen zu sehen, denn „jeder Konflikt, jeder Krieg hat eine Vorgeschichte“. Dieses Geschichtsbewusstsein und Empathievermögen durchziehen den Film als zentrales Erkenntnismoment.
Gorbatschows größte Verdienste liegen in Taten, nicht in Worten: Er hatte den Mut zur Abrüstung, zum politischen Wandel und zum Brückenschlag zwischen Ost und West. Der Film trägt diesen Geist weiter: Die Familie Schmidt-Gödelitz wartete nicht auf die Politik, sondern kaufte nach 1990 ihr Gut zurück und machte es zu einem Ort der Begegnung für Ost- und Westdeutsche. Die Dokumentation selbst ist ein Produkt engagierten Handelns: Filmemacher Ralf Eger und seine Protagonisten handeln nach Gorbatschows Prinzip – für den Frieden aktiv werden, „ernsthaft und mit vollem Einsatz“. Der Film zeigt implizit, was zu tun ist: Dialog suchen, Verantwortung übernehmen, Begegnungen schaffen und dem Frieden Gestalt geben.
Vergleicht man die Gegenwart mit Gorbatschows Ära, könnte Verzweiflung aufkommen – doch der Film spendet Hoffnung, ohne in Nostalgie zu verfallen. Er erinnert an einen Moment der Geschichte, in dem die Welt aufatmete: 1989/90 stand die Konfrontation still, Feinde reichten sich die Hand, und eine gewaltige Hoffnung auf eine friedliche Zukunft lag in der Luft. Dieses Gefühl lässt der Film mit Originalaufnahmen jener Zeit aufleben. Vor allem persönliche Episoden vermitteln Zuversicht: Gabriele Krone-Schmalz berichtet, Gorbatschow habe ihr die Hoffnung gegeben, „dass Politik jenseits von Partei- und Eigeninteressen möglich ist“. Gorbatschows Menschlichkeit und visionäre Kraft machen es möglich, trotz heutiger Rückschläge an einen neuen Aufbruch zu glauben. Die Botschaft lautet: Was einmal real war (Abrüstung, Entspannung, Dialog), kann wieder Realität werden, wenn genügend Menschen daran festhalten.

Die Dokumentation zeichnet das Porträt eines integren Staatsmanns und feiert ein Menschenbild, das dem heutigen Zynismus etwas entgegensetzt. Gorbatschow erscheint nicht als machtversessener Taktierer, sondern als zugewandter, aufrichtiger Mensch: offen in seinen Worten, konzentriert im Zuhören und bereit, sich bei besseren Argumenten zu korrigieren – Eigenschaften, die man bei Spitzenpolitikern selten findet. Sein Charme entwaffnete selbst einen Antikommunisten wie Franz Josef Strauß. Wo andere auf Feindbilder setzten, vertraute Gorbatschow auf den guten Willen der Menschen: 1990 erklärte er vor deutschem Publikum, er sehe „keine Gegner“ mehr und halte das Ziel einer „atomwaffenfreien und gewaltfreien Welt“ für erreichbar. Diese optimistische Sicht teilen auch die Protagonisten in Gödelitz. Ihr Motto lautet „anständig streiten“ – Differenzen respektvoll austragen und leidenschaftlich um die beste Lösung ringen. Der Film vermittelt ein humanistisches Menschenbild: Jeder ist lernfähig, Verständigung ist möglich, und Verantwortung beginnt bei uns selbst.
In gängigen Erzählungen steht meist Gorbatschows Beitrag zur Einheit und zum Ende des Kalten Kriegs im Vordergrund, verbunden mit einem Lob für die Entspannungspolitik. Gewiss, viele Dokumentationen, Bücher und Filme beleuchten Gorbatschows Vermächtnis. Was macht „Gorbatschow und Gödelitz – Frieden“ dann besonders?
So entsteht kein neues Faktenwissen über Gorbatschow, wohl aber ein einzigartiger Blickwinkel – ein Alleinstellungsmerkmal, das das Publikum ins Geschehen zieht.
Ohne belehrenden Unterton entfaltet „Gorbatschow und Gödelitz – Frieden“ eine leise, aber eindringliche Wirkung. Diese Dokumentation ist kein neutraler Geschichtsunterricht, sondern ein Plädoyer für Vernunft – und genau das macht sie kraftvoll. Ohne Effekthascherei zeigt der Film, wie anders die Welt aussehen kann, wenn Mut, Empathie und Dialogbereitschaft die Politik leiten. Die Perspektivwechsel von Vergangenheit und Gegenwart gelingen, die Schnitte sind gekonnt gesetzt. Man verlässt das Kino nachdenklich und wehmütig: Was wäre, wenn wir Gorbatschows Lektionen beherzigt hätten? Doch zugleich keimt Zuversicht auf. Solange es Menschen wie die Gödelitzer gibt, ist die Idee der Entspannungspolitik nicht totzukriegen. Die Quintessenz: Frieden ist keine Utopie, sondern eine reale Möglichkeit – wenn wir sie ergreifen.
Langer Applaus nach 100 Minuten Film und eine lebhafte Diskussion mit Ralf Eger und Gabriele Krone-Schmalz rundeten die Kinopremiere ab. Friedensbewegte und alle, die an die Kraft von Dialog und Verständigung glauben, geschichtsbewusste Zuschauer, die Gorbatschows Vermächtnis aus einer neuen, persönlichen Perspektive erleben möchten, und Menschen, die in krisenhaften Zeiten nach inspirierenden Gegenentwürfen zur Logik des Krieges suchen, sollten den Film sehen. Diese Dokumentation übersetzt Weltpolitik in persönliche Beziehungen und Alltagserfahrungen und zeigt Weltgeschichte aus der Perspektive eines ostdeutschen Begegnungsortes. Eine Inspiration, die weit über diesen Film hinausreicht. Nächste Gelegenheit: Mittwoch im Berliner Kino Babylon.
Bastian A. Werner hat im März 2025 am Kompaktkurs Journalismus an der Freien Akademie für Medien & Journalismus teilgenommen.
Kontakt zu Ralf Eger: ralf-eger@web.de
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