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Kommentar | 18.11.2025
Gesinnungsdemokratie?
Paternalistisch erklärt der Bundespräsident, wie wir uns von Antidemokraten befreien und so weiter in Frieden und Freiheit leben können.
Text: Donar Rau
 
 

Am 9. November 2025 stand Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue vor auserwählten Zuhörern und sprach über die Gefahren von Extremismus sowie Antisemitismus. Licht und Schatten der deutschen Geschichte, so der Bundespräsident, würden sich an diesem historisch bedeutsamen Datum vereinen.

  • 1918: Beginn der Demokratie (Weimarer Republik),
  • 1938: Pogromnacht (Abgrund deutscher Geschichte),
  • 1989: Fall der Mauer (Wiedervereinigung).

Steinmeier nutzte den Tag, um eine Bestandsaufnahme der deutschen Demokratie vorzunehmen und zu Wachsamkeit und Engagement aufzurufen. In seiner Rede vertritt er einige Thesen, die vordergründig durchaus plausibel erscheinen, bei genauerer Betrachtung aber aufhorchen lassen. Ich möchte im Folgenden zwei wesentliche Aspekte aufgreifen, die es verdienen, kritisch hinterfragt zu werden. Man könnte Steinmeiers Rede als einen Angriff auf die Meinungsfreiheit interpretieren und ihm unterstellen, dass er das Wörtchen „Extremismus“ als Kampfbegriff gebraucht.

Seine zentrale These besagt, dass die Demokratie in Deutschland heute erneut unter Druck stünde. Er argumentiert, dass Populismus und Extremismus zunehmen und Antisemitismus seit dem 7. Oktober 2023 auch bei uns wieder deutlich ansteigen. Des Weiteren konstatiert er, dass die Ost-West-Entfremdung und die gesellschaftliche Verunsicherung wachsen würden.

Aus diesem Grund müsse Deutschland nun seine „wehrhafte Demokratie“ aktiv nutzen, so die Folgethese. Steinmeier betont, dass das Grundgesetz Instrumente bereithielte, um die oben genannten Phänomene aktiv bekämpfen zu können. Er lanciert, dass Demokratie nicht wehrlos sein dürfe. Sie müsse sich gegen ihre Gegner verteidigen: Strafverfolgung, Parteiverbote, Ausschluss von Verfassungsfeinden aus öffentlichen Ämtern. Steinmeier postuliert, dass es keine Zusammenarbeit mit Extremisten geben dürfe, und plädiert dafür, die Brandmauer unter allen Umständen aufrechtzuerhalten.

Mit Extremisten darf es keine politische Zusammenarbeit geben. Nicht in der Regierung, nicht in den Parlamenten. (…) Den Erfolg des Extremismus zu verhindern, statt ihn zu ermöglichen, darum geht es jetzt. Ja, und da sind Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Brandmauern ein Signal.

Ich muss gestehen: Ich habe Schwierigkeiten, den Extremismus-Begriff eindeutig zu interpretieren. Es handelt sich hierbei nicht um einen wissenschaftlichen Begriff. Das Problem mit diesem Stigmawort ist doch folgendes: Wer definiert, was extrem ist, und welche Interessen verbergen sich möglicherwiese hinter einer solchen Zuschreibung? Wenn jede fundamentale Kritik an Machtverhältnissen oder Ideologien als „extrem“ bezeichnet wird, kann der Begriff leicht als Waffe gegen Dissidenten eingesetzt werden. Die eigentliche Stärke der Demokratie besteht doch gerade darin, dass sie unbequeme Meinungen aushält und das Diskutieren des Radikalen ermöglicht. Mit Hannah Arendts Worten:

Freiheit ist nicht, Recht zu haben. Freiheit ist, handeln zu dürfen.

Es versteht sich von selbst: Wer die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnt oder aktiv bekämpft, kann strafrechtlich verfolgt werden. Extremismus im engeren Sinne ist demokratiefeindlich, wenn er Gewalt propagiert. Ich frage mich nur: Haben wir gemäß dieser Auffassung Extremisten in der Regierung? In den Parlamenten?

Steinmeier spricht aber nicht allein von Strafverfolgung und Parteiverbot. Er möchte auch den digitalen Raum reinhalten und von falschen Ansichten sowie verbalem Gift befreien. Dabei geht es selbstredend nur um Jugendschutz. Nun denn! Den Digital Services Act haben wir ja schon. Man muss ihn einfach nur konsequent anwenden. O-Ton Steinmeier: „Worauf warten wir eigentlich noch?“

Die Zukunft unserer Demokratie, da bin ich mir sicher, wird sich im Netz entscheiden. Behaupten wir unseren Anspruch, demokratische Regeln im Internet durchzusetzen, dann wird sich auch die Demokratie behaupten!

Tja, was soll man dazu sagen? Es ist nicht zu leugnen, dass es bei dieser Forderung um Informations- und Kommunikationskontrolle geht. Diejenigen, die aus der Perspektive der Political-Correctness-Repräsentanten auf der anderen Seite stehen, würden in diesem Kontext wahrscheinlich von einem ideologischen Umerziehungsprogramm sprechen. Das Postulat der diskriminierungsfreien Sprache ist ein schönes Ideal, aber nicht unproblematisch, wenn man bedenkt, welche politischen Steuerungsmöglichkeiten mit der Informationsfilterung einhergehen. Die alles entscheidende Frage in diesem Kontext ist: Wer hat die Filtersouveränität?

Es ist nicht einfach mit der Demokratie. Geht es wirklich nur darum, wie man etwas sagt? Kann man in unserem Land alles sagen, wenn man es nur anständig sagt? Nein! Es geht nicht nur um das Höflichkeitsgebot. Es geht auch um Inhalte, die vielleicht noch gedacht, aber keinesfalls gesagt werden dürfen. Dann ist schnell die Rede von „Volksverhetzung“ oder man nennt es wie Steinmeier „Verbreitung von Inhalten, die zum Hass gegen Minderheiten aufstacheln“. Aber auch hier stellt sich eine entscheidende Frage: Wer hat die Deutungsmacht?

Steinmeiers Rede ist ein Zeugnis dafür, dass er dem demokratischen Prinzip und der mit ihm verknüpften Freiheit kein Vertrauen schenkt. In seiner Ansprache kommt die Krise „unserer Demokratie“ deutlich zum Ausdruck. Aus der Freiheit, anders zu denken, wird die Pflicht, richtig zu denken. Anstelle des Ideals eines mündigen Bürgers tritt Misstrauen gegenüber jenem Teil der Bevölkerung, der mit der gerade propagierten Ideologie nicht einverstanden ist. Seine Rede verrät eine tiefe Unsicherheit. Steinmeier zweifelt daran, dass Freiheit sich selbst behaupten kann. Er spricht von Vertrauen, aber seine Worte spiegeln das Verlangen nach Kontrolle:

Vertrauen wir uns selbst! Tun wir, was getan werden muss!

Er ruft zu Gemeinschaftssinn auf, aber grenzt mit moralischer Schärfe einen Teil der Gesellschaft aus. Er glaubt, die Demokratie gegen vermeintliche Feinde verteidigen zu müssen. Die eigentliche Bewährungsprobe besteht aber nicht darin, die Demokratie zu verteidigen, sondern der Kritik und dem Widerspruch standzuhalten.

Der Bundespräsident nimmt für sich in Anspruch zu wissen, was Demokratie ausmacht und welche Haltung richtig ist. Leider ist es ihm nicht gelungen, den Teufelskreis der gegenseitigen Abwertung zu durchbrechen und eine Brücke zu bauen. Mit seiner Rede hat er die Fronten eher verhärtet und zur Polarisierung beigetragen. Dafür hat er im Schloss Bellevue rauschenden Beifall erhalten.

Dr. Donar Rau hat an der Freien Akademie für Medien & Journalismus am Kompaktkurs Journalismus teilgenommen.

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Bildquellen: Steinmeier 2018 im Kulturwerk in Wissen. Foto: Bodow, CC BY-SA 4.0